Die Universität des Saarlandes profitiert von den Mitteln des Transformationsfonds und will selbst eine treibende Rolle in der Entwicklung des Landes spielen, betont Uni-Präsident Ludger Santen. Die Start-up Factory ist dabei eine große Chance, den Transformationsprozess zu fördern.
Herr Santen, das Saarland steckt bekanntlich mitten im Transformationsprozess. Welche Rolle kann und will die Universität des Saarlandes dabei spielen?
Das ist ein Thema, das an der Universität immer größer geworden ist. Wir sind schon seit längerer Zeit recht erfolgreich bei Gründungen. So konnten wir beim Gründungsradar des Stifterverbandes immer wieder Spitzenplätze einnehmen. In diesem Jahr haben wir noch einmal einen draufgesetzt: Unsere Start-up-Factory „Southwest X – The Bridge to Innovation“ ist im Bundeswettbewerb gekürt worden. „Southwest X“ ist ein starker Verbund, bei dem Partner aus Frankreich und der weiteren Großregion mitmachen, aber auch die WHU – Otto Beisheim School of Management, eine renommierte, privat finanzierte Wirtschaftshochschule in Vallendar, Rheinland-Pfalz. Ich glaube, es gibt kaum eine größere Chance im Saarland, die Transformation zu fördern, als genau diese Start-up-Factory. Wir werden Jahr für Jahr neue interessante Firmen hinzugewinnen. Das ist ein Anspruch sowohl an die Factory als auch an das Saarland selbst: Wir können die jungen Start-ups betreuen und ihre Gründung begleiten. Danach sind Investitionen von anderer Seite nötig. Neu an der Start-up-Factory ist, dass wir die Unternehmen auch nach der Gründung betreuen und die Wachstumsphase begleiten können. Wir haben dafür viel Rückenwind aus der Politik erhalten, auch viele Unternehmen haben ihre Unterstützung zugesagt. Wir gehören mit „Southwest X“ zu den Konsortien, bei denen das Geld nicht nur aus einer Hand kommt, etwa von einer vermögenden Person oder Stiftung, die die notwendigen Millionen bereitstellt. Wir erhalten stattdessen Finanzmittel von verschiedenen Seiten. Die RAG- und die SHS-Stiftung haben den Grundstein gelegt, aber auch zahlreiche Unternehmen haben substanzielle Beiträge geleistet. Dies ist ein klares Zeichen dafür, dass die Start-up-Factory in der Region angekommen ist.
Was genau verbirgt sich hinter dieser „Start-up-Factory“?
Das Zentrum für Gründung und Innovation der TU München („UnternehmerTUM“) gilt als führend in Europa. Deshalb wurde „UnternehmerTUM“ als Rollenmodell für Gründungs-Ökosysteme oder sogenannte Start-up Factories ausgewählt. Dies bedeutet insbesondere, dass auch privates Geld zur Finanzierung der Factories notwendig ist. Damit bricht man aus der üblichen Förderroutine aus. Der Gedanke ist, dass von Beginn an unternehmerisch gedacht wird. Wir wollen potenziell erfolgreiche Technologien nicht nur für den Markt entwickeln, sondern den Versuch unternehmen, diese auch am Markt unterzubringen. Wir bringen aber auch Know-how ein, das bestehende Unternehmen bei den eigenen Produkten voranbringt. Wir haben dafür eine breite Forschungslandschaft in der IT, wir wollen aber noch technologischer werden. Ich sehe vor allem im Bereich der Biotechnologie große Chancen, Unternehmen zu entwickeln. Wir tun daher aktuell viel dafür, dass auch in dieser Community noch stärker unternehmerisch gedacht wird.
Sie haben gesagt: Die Gründungsaktivitäten gewinnen immer mehr an Bedeutung auf dem Campus. Was heißt das für die Uni-Entwicklung insgesamt?
Für die universitäre Entwicklung heißt das, dass wir uns stärker als bisher als Partner für die saarländischen Unternehmen verstehen. Das heißt nicht, dass wir unsere Studiengänge auf bestimmte Firmen zuschneiden. Aber wir wollen die Kontaktmöglichkeiten erhöhen und Vernetzungstreffen anbieten, damit junge Unternehmen sowie Gründerinnen und Gründer auch die etablierten Firmen kennenlernen. Wir wollen zudem verstärkt Praktika ermöglichen. Dazu haben wir noch ein zweites innovatives Projekt: die Scheer School of Digital Science, die wir gerade aufbauen. Dort wird es darum gehen, dass wir verstärkt Fallbeispiele aus den Unternehmen aufgreifen, um anhand dieser echten Fälle neue Methodiken und Lösungen zu erarbeiten. Es ist eine andere Art des Lernens, nicht nur digitaler, sondern auch praxisnäher, indem reale Problemstellungen aus dem Unternehmensalltag analysiert werden. Gleichzeitig will ich betonen, dass unsere Absolventinnen und Absolventen unserer „klassischen“ Studiengänge auch heute schon erfolgreich am Arbeitsmarkt sind. Wir wollen aber den Studierenden, die unternehmerisches Interesse haben, ermöglichen, diese Welt relativ früh kennenzulernen.
Verschiebt das die Schwerpunkte innerhalb der Universität?
Das sehe ich nicht. Wir haben vier Schwerpunkte: Es ist offenkundig, dass die Informatik sehr stark ist. Das gilt für unsere Fachrichtung selbst, aber auch für die renommierten Forschungsinstitute im Umfeld. Dazu zählen das Max-Planck-Institut für Informatik und das Max-Planck-Institut für Softwaresysteme, aber auch das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) sowie das neue und schnell wachsende Helmholtz-Zentrum für Cybersicherheit (CISPA). Es ist einzigartig in Deutschland, dass wir eine solche Dichte an renommierten Forschungsinstituten zu Themen der Informatik haben. Darüber hinaus arbeitet die Universität im Biomed-Bereich erfolgreich mit dem Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) und dem Leibniz-Institut für Neue Materialien (INM) zusammen. Auch das Universitätsklinikum (UKS) am Campus Homburg ist eng eingebunden. Das Ziel ist hierbei, neue Wirkstoffe und Biomaterialien zu entwickeln und sie mithilfe von Unternehmen, auch von Neugründungen, an den Markt zu bringen.
Der dritte Schwerpunkt der Universität ist Europa. Dieser Schwerpunkt ergibt sich aus unserer Gründungsgeschichte. Die im Schwerpunkt Europa vorhandene Expertise ist angesichts der aktuellen Konflikte in Europa gefragter denn je. Der Schwerpunkt ist ein Leuchtturm in einer Zeit, in der wieder kulturelle Gräben gezogen werden, politisches Handeln von nationalem Kalkül bestimmt ist und problematische, vielleicht sogar demokratiegefährdende Entwicklungen hervorbringt. Da können und müssen wir uns an unsere eigene Geschichte erinnern, an unsere Entwicklung in Europa, die ich auch anderen wünschen würde, nämlich Grenzen abzubauen und befreundete Nachbarn zu werden.
Als vierter Schwerpunkt kam an der Universität die Nachhaltigkeit neu hinzu. Nicht nur, weil es ein gesellschaftlich relevantes Thema ist, sondern weil immer mehr unserer Forscherinnen und Forscher begonnen haben, sich damit auseinanderzusetzen. Es geht etwa darum, sparsam mit Energie umzugehen, nicht mehr so viel Müll zu produzieren und eine echte Kreislaufwirtschaft einzuführen. Denn der Klimawandel, die Klimaveränderung oder, vielleicht noch treffender gesagt, die Klimadestabilisierung ist eine zentrale Zukunftsfrage. Wir sind also, wenn man sich das Zusammenspiel der verschiedenen Schwerpunkte ansieht, aus der Universität heraus sehr modern aufgestellt. Wir adressieren viele Dinge, die für Politik und Gesellschaft höchst relevant sind und die für uns bedeutsam geworden sind, weil sie sich als Themen aus der Universität heraus entwickelt haben.
Der vierte Schwerpunkt, Nachhaltigkeit, ist eng mit Ihrer Präsidentschaft verbunden.
Zumindest korreliert es. Der Transformationsfonds des Landes hat substanziell neue Chancen für die Entwicklung der Universität eröffnet. Das deckt eine Bandbreite von Themen ab, zu denen auch die Nachhaltigkeit gehört. In diesem Bereich haben wir zwei große Projekte anstoßen können: Das eine widmet sich den Energiematerialien und Energiestoffen („EnFoSaar“), das andere konzentriert sich auf die Kreislaufwirtschaft („CircularSaar“). Die Projekte sind so angelegt, dass wir auch in die praktische Anwendung gehen wollen. Darin sehen wir große Chancen für die regionale Wirtschaft, die sich derzeit in einem schwierigen Transformationsprozess befindet und zukunftssicher aufgestellt werden muss. Dafür greifen wir auch auf die Expertise in den Wirtschafts- und Rechtswissenschaften zurück.
Der Klimawandel ist darüber hinaus auch für uns als Universität unmittelbar ein Thema. Es geht dabei um energieeffizienteres Heizen und Kühlen. Wir wollen zudem die klimafreundliche Mobilität stärken. Seit es E-Bikes gibt, ist das Saarland „flacher“ geworden. Es kann sich also niemand mehr damit herausreden, dass die Universität in Saarbrücken und Homburg nur bergauf zu erreichen ist. Auch der Campus wird davon profitieren, wenn dort nur noch wenige Autos unterwegs sind.
Es gehört auch zu Ihrer Ambition, wieder Leben auf den Campus zu bringen?
Ja, das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Wir würden eine besondere Dimension des Studiums verlieren, wenn wir das Studium nur von zu Hause organisieren. Deshalb haben wir uns dazu bekannt, Präsenz-Uni zu sein, und wollen das auch bleiben. Es ist wichtig, dass Menschen sich begegnen und man sich austauschen kann. Diskutieren und Debattieren gelingt immer noch besser „face to face“. Dafür wollen wir Anreize schaffen. Es werden etwa eine ganze Reihe neuer Wohnheimplätze am Campus entstehen, 200 aktuell, 300 weitere sollen in einem schon genehmigten Bauabschnitt folgen. Vielleicht können wir auf dem Campus noch Platz für 250 weitere Plätze finden, um dem gemeinsam mit unserem Wissenschaftsminister Jakob von Weizsäcker formulierten Ziel, rund 1000 Wohnheimplätze auf dem Campus zu schaffen, ein Stück weit näher zu kommen.
Ein Punkt bei den Entwicklungsplänen ist umstritten, Stichwort „Hanni bleibt“, also die Inanspruchnahme von einem Stück Stadtwald.
Das ist eine noch offene juristische Frage, die vor Gericht zu klären ist. Für uns ist wesentlich dabei, dass ein attraktiver Campus ein echter Standortvorteil für die Universität ist. Wir können mit den buchstäblich kurzen Wegen Vieles zusammenführen: Wir haben zahlreiche Forschungseinrichtungen, die von der Nähe profitieren. Für Start-ups ist es gerade in der Anfangsphase wichtig, dass sie in engem Austausch mit Studierenden stehen, denn das sind die künftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ein Start-up gegebenenfalls dann auch groß machen. Dafür benötigen wir campusnahe Flächen, um eine Community für Start-ups zu erzeugen, damit diese hierbleiben und nicht etwa nach Berlin gehen. Das ist für die Transformation des Saarlandes sehr wichtig.
Wir haben zudem Pläne, weitere außeruniversitäre Forschungseinrichtungen anzusiedeln. Wir verfügen mit dem Stadtwald über ein Geschenk für diese Stadt. Nichtsdestotrotz gilt es aber, Wachstumschancen der Universität und der Forschungseinrichtungen nutzen zu können. Wir benötigen Platz für Ideen. Dieser Platz muss von der Stadt Saarbrücken und dem Land bereitgestellt werden. Ich würde mir wünschen, dass wir gemeinsam eine Lösung finden. Wir sollten uns dabei vor Augen halten, dass wir keine Waldflächen wegnehmen, sondern Wald auf Ausgleichsflächen verlagern, bestenfalls mit einem Baumstand, der den Klimaänderungen robuster gegenübersteht.
Das Stichwort „Transformation“ ist jetzt mehrfach angesprochen worden. Es gibt viel Geld auch für die Universität. Kann man sagen, das Land hat seine Uni neu entdeckt?
Ich sehe es so, dass das Land uns spannende strategische Möglichkeiten gegeben hat, mit denen wir die Entwicklung der Universität beschleunigen. Wir werden ein neues Zentrum für Quantentechnologie aufbauen, mit dem wir unsere Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum Jülich dauerhaft auf eine neue Ebene heben. Die UdS beteiligt sich an dem Projekt mit Kolleginnen und Kollegen aus der Informatik, Mathematik und Physik. Das Zentrum bietet uns Chancen, die wir ohne den Transformationsfonds nicht gehabt hätten. Wir haben eine herausragende Informatik, die sich auch den Grundlagen zuwendet, wir haben hervorragende Forscherinnen und Forscher in der Mathematik und Physik. Dieses Zusammenspiel hat das Interesse des Helmholtz-Zentrums in Jülich geweckt und damit das Projekt erst möglich gemacht. Mit den Mitteln aus dem Transformationsfonds waren wir handlungsfähig, und das ist eine gewaltige Chance.
Das Projekt „Sounds“ (Societal Observatory Using Novel Data Sources) ist ein weiteres Zukunftsprojekt, das aus dem Transformationsfonds finanziert wird. Dort werden große Datenmengen genutzt, um politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen auf großer Skala zu beobachten und gegebenenfalls darauf zu reagieren. Zum Beispiel werden Kampagnen auf Social Media analysiert, damit Entscheidungsträger wissen, über welche Kanäle Fake News verbreitet werden. Es geht aber auch um die Frage, wie sich Klimadaten für die Landwirtschaft nutzen oder wie sich Migrationsbewegungen anhand von Satellitenbildern verfolgen lassen.
Gelegentlich wird kritisiert, dass Gründungen und Start-ups, zumal in der Anfangsphase, keine großen Beschäftigungseffekte haben. Wie hilft das dem Land?
Wir sind ein Bundesland mit einer Million Einwohner, und da sind einige tausend Arbeitsplätze mehr oder weniger ein großer Unterschied. Die Start-up-Factory ermöglicht uns, eine Vielzahl von Unternehmen im Saarland zu gründen. Dabei entstehen eine Reihe von kleinen und mittleren Unternehmen, die gemeinsam eine große Wirkung entfalten können. Auf diese Weise wurden im Bereich der Biotechnologie, weitgehend unbemerkt, 300 Arbeitsplätze geschaffen, weitere werden folgen. Eine ähnliche Struktur finden wir im IT-Bereich, wo es viele erfolgreiche kleinere Firmen gibt, die eher 50 als 5000 Mitarbeitende beschäftigen. Also sollten wir nicht immer nur an die Ansiedlung von Großunternehmen denken. In einer bunten Unternehmenslandschaft mit vielen Unternehmen ergeben sich viele Chancen. Dies sieht man am Beispiel von Baden-Württemberg, wo über die Hälfte der Beschäftigten in Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitenden tätig ist.
Sie haben die vielfältigen Kooperationen beschrieben. Mit wem hat der Uni-Präsident eigentlich mehr zu tun, mit dem Wissenschaftsminister, dem Wirtschaftsminister oder dem Finanzminister?
(lacht) Also gleichauf liegend mit dem Wissenschafts- und Finanzminister (Jakob von Weizsäcker verantwortet in Personalunion beide Ressorts, Anm. d. Red.). Tatsächlich sehen viele Akteure in der Landesregierung, dass die Universität für das Saarland eine hohe Bedeutung hat. Wir haben viel über die impulsgebende Rolle der Universität gesprochen. Man darf aber auch nicht die Rolle des Universitätsklinikums in Homburg außer Acht lassen. Ich glaube, es wäre äußerst schwierig, das gute Niveau in der Patientenversorgung im Saarland ohne das UKS aufrechtzuerhalten. Dieses hohe Gut wird in der Politik auch erkannt.