Drei Fragen
„100 Milliarden Euro Schaden“
Würde man konsequent Finanzdelikte verfolgen, hätte Deutschland keine Haushaltsprobleme, rechnet die finanzpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Katharina Beck, vor.
Frau Beck, wie hoch ist der Schaden durch Steuerhinterziehung in Deutschland?
Nur allein der Schaden durch Steuerhinterziehung beläuft sich insgesamt auf unvorstellbare 100 Milliarden Euro. Das kann man sich ja mal gar nicht vorstellen. Allein die großen Fälle wie Cum-Ex mit ungefähr zehn Milliarden und Cum-Cum mit ungefähr 28 Milliarden sprechen für sich. Das sind organisierte Betrugsfälle aus der Wirtschaft, wo Geld zurückerstattet wurde, was uns allen gehört. Das ist ein Skandal und da muss mehr passieren. Wir müssen nicht fünf Milliarden beim Bürgergeld einsparen, sondern einfach dieses Geld der Steuerbetrüger zurückholen.
Doch ganz so einfach scheint das ja offensichtlich nicht zu sein, woran hakt es?
Das sind hoch komplizierte Hintergehungen, die die Ermittler nicht so einfach durchdringen. Ein Thema wird tatsächlich dann erst konsequent angegangen, wenn es wirklich die Breite der Masse interessiert. Die Schwelle haben wir längst überschritten. Jetzt ist es wichtig, dass tatsächlich die aktuell regierende Koalition das, was wir Grünen während der Ampel vorangetrieben haben, umsetzt. Dazu gehört auch, dass die Belege, mit denen man das noch länger aufdecken kann, auch wirklich länger aufbewahrt werden müssen, damit es die Behörden länger nachverfolgen können. Die Behörden müssen jetzt wirklich priorisiert diese riesige, organisierten Steuerhinterziehungs- und Steuerraubfälle angehen. Es geht hier nicht um den normalen Bürger, der 3,95 Euro widerrechtlich abgerechnet hat.
Inwieweit spielt der Personalmangel bei den Steuerbehörden, Staatsanwaltschaften oder dem Zoll eine Rolle?
Also in der Tat gibt es ja überall in Deutschland ein Fachkräftemangel, auch bei den Steuerbehörden und die Personalgewinnung ist natürlich auch Thema beim Zoll, die ja im Schwerpunkt gegen Schwarzarbeit vorgehen. Dazu kommt natürlich die Prioritätensetzung in den Staatsanwaltschaften, in den Bereichen der Finanz-, Steuerfahndung und Betriebsprüfung. Es ist jetzt wichtig, die Prioritäten auf das Nachverfolgen von Cum-Ex, Cum-Cum und ähnlichen schwerwiegenden Steuerbetrug zu setzen. Da steht dann wirklich der Aufwand absolut im Verhältnis der zurück zu fordernden Summen. Wie gesagt, wir sprechen von Milliardensummen und nicht Millionen. Interview: Sven Bargel
Gasspeicher für Wintersaison gefüllt
Laut der Initiative Energie Speichern (INES) werden die deutschen Gasspeicher bis zum 1. November vollständig befüllt sein, also einen Füllstand von über 80 Prozent erreicht haben. Dieser Füllstand reicht für einen moderaten Winter wie in den vergangenen Jahren sicher bis zum Ende der Heizperiode, so INES in seiner Prognose Mitte September. Deutschland ist dabei mit einem vergleichsweise niedrigen Füllstand von knapp 30 Prozent zum 1. April dieses Jahres in das neue Speicherjahr gestartet, so die Initiative. Über den Sommer wurde die Befüllung bis zum ersten September auf einen Füllstand von 75 Prozent gebracht. Allerdings zeigen die aktuellen Szenarien weiterhin deutliche Risiken bei einem extrem kalten Winter. Verantwortlich dafür ist auch der höhere Gasverbrauch, der in den vergangenen zwei Monaten zu beobachten war, so INES in seiner Analyse.
Musikfestspiele am Tag der Deutschen Einheit
Der Tag der Deutschen Einheit wartet mit einem Kulturprogramm für viele Geschmäcker auf. Ein Publikumsmagnet werden die Musikfestspiele sein. In der Basilika St. Johann in Saarbrücken spielen und singen am 3. Oktober unter anderem viele junge Künstler ab 9.30 Uhr die Maîtrise de Notre-Dame de Paris, das Kammerorchester der Großregion, Chöre und sowie der französische Chansonnier Yves Duteil. Um vorherige Anmeldung wird gebeten unter musikfestspielesaar.de. Auf dieser Webseite finden sich auch weitere Highlights: Am 2. Oktober eröffnet das ukrainische Streichensemble „Victoria“ der Nationalen Musikakademie „Mykoly Lyssenka“ aus Lemberg das Programm in der Basilika, in der Congreshalle spielt die Deutsche Radiophilharmonie. Hierfür sind gesondert Tickets zu erwerben.
Mehr zum Kulturprogramm unter www.tag-der-deutschen-einheit.de/kulturprogramm
Studie: Sondervermögen stopft Haushaltslöcher
Laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) will die Bundesregierung einen Teil des 500 Milliarden Euro schweren Sondervermögens für Infrastruktur zum Stopfen von Haushaltslöchern nutzen. Bei der Verkehrsinfrastruktur sollen zehn Milliarden als Haushaltsspielraum, weitere zwei Milliarden beim Breitbandausbau vorgesehen sein, so das IW. Auch sollen Milliarden der Ländermittel und des Klimafonds eingeplant sein. Die entsprechenden Gelder müsste „die Koalition nicht an anderer Stelle sparen“, so IW-Steuerexperte Tobias Hentze. Das ganze Ausmaß bleibe aber „im Dunkeln, weil die Verschiebung der Ausgaben zwischen Kernhaushalt, Sondervermögen und dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) schwer nachvollziehbar ist“. Die Bauwirtschaft kritisiert, anders als versprochen gebe es kaum zusätzliche Investitionen, so der Präsident des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie (HDB), Peter Hübner. Mehr dazu auf Seite 62.
Zahl syrischer Rückkehrer weiter niedrig
Seit dem Machtwechsel in Syrien vor knapp einem Jahr sind nur wenige Tausend Syrer aus Deutschland in ihre ursprüngliche Heimat zurückgekehrt, wobei die genauen Zahlen je nach Quelle und Stichtag mit Stand 1. September variieren. Von dem deutschen Rückkehrförderungsprogramm haben bislang rund 4.000 Menschen profitiert, von denen etwa 1.300 syrische Rückkehrer tatsächlich eine finanzielle Unterstützung erhalten haben. Derzeit leben etwa eine Million Syrer in Deutschland, die meisten von ihnen kamen 2014 und 2015, also vor dem Bürgerkrieg, so Recherchen des ARD-Politikmagazins Panorama. Von den angekündigten und geplanten Abschiebungen hat es dabei noch keine gegeben, alle Rückkehrer haben dies freiwillig getan. Viele Syrer trauen sich trotz des Sturzes des ehemaligen Machthabers Assad nicht zurück, weil die Lage für sie weiterhin zu instabil erscheint.
Deutsche Bahn
Palla neue Bahnchefin
Bis 24 Stunden vor der offiziellen Verkündung konnte Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) das Geheimnis für sich behalten: Evelyn Palla wird neue Bahnchefin. Die 52-Jährige ist zwar der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt, innerhalb der Bahn AG ist die gebürtige Südtirolerin eine feste, vor allem erfolgreiche Größe. Seit Juli 2022 sitzt Palla im Bahn-Vorstand als Chefin der DG Regio, dem einzigen Zweig der Bahn, der Gewinne einfährt und obendrein weitgehend pünktlich fährt. Obendrein wird Evelyn Palla die erste Frau sein, die der Bahn vorsteht. Noch dazu ist sie Lokführerin, hat also einen Triebfahrzeugführerschein. „Für mich war es wichtig zu spüren, was meine Mitarbeiter und Mitarbeiterin da jeden Tag auf dem Zug machen. Das schwierigste als Triebwagenführerin ist übrigens das Bremsen, da merkt man, wieviel Kraft und Energie so ein Zug auf die Schiene bringt“, so Palla in einem Video der Bahn. Doch zunächst geht es nicht ums Bremsen, sie muss die schwerfällige Deutsche Bahn AG in Fahrt bringen. Auf sie wartet ein Sammelsurium von Problemen: hohe Verluste, Unpünktlichkeit, Personalmangel und vor allem überalterte Infrastruktur.
Bischof: „Zölibat aufheben“
Priester der katholischen Kirche sollten laut dem Bischof von Speyer, Karl-Heinz Wiesemann, nicht mehr in Ehelosigkeit leben müssen. „Ich plädiere dafür, den Pflichtzölibat als Bedingung für den Priesterberuf aufzuheben“, sagte er in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Der Vatikan besteht bislang darauf, dass Priester und Nonnen Ehelosigkeit und sexuelle Enthaltsamkeit leben. Der Zölibat bleibe ein wichtiger geistlicher Lebensentwurf für Ordensleute oder Weltpriester, sagte Wiesemann kurz vor Beginn der Herbst-Vollversammlung der katholischen deutschen Bischöfe. „Aber ich glaube, dass es auch andere Weisen geben kann, dieses sich ganz Christus und seiner Kirche Zur-Verfügung-Stellen auszudrücken und zu leben. Das geht auch in einer Ehe und kann darin noch einmal andere Aspekte zum Leuchten bringen.“ Der Grund: „Wir verzeichnen einen Verlust vieler sehr guter Leute, die den Zölibat nicht leben können oder wollen. Und wir verlieren ebenso viele gute Leute, die sich wegen des Zölibats erst gar nicht für den Priesterberuf entscheiden.“
Klimaschäden kosteten Europa fast 130 Milliarden
Der ausklingende Sommer 2025 war für einige Volkswirtschaften Europas teuer. Wissenschaftler der Uni Mannheim haben in Zusammenarbeit mit der Europäischen Zentralbank die finanziellen Auswirkungen von Hitzewellen, Dürren und Überflutungen auf die Wertschöpfung der EU-Staaten berechnet. Die Kosten liegen laut Modell bei insgesamt mindestens 126 Milliarden Euro. Besonders betroffen sind Spanien, Frankreich und Italien mit Summen zwischen 34 und 35 Milliarden Euro. Dort wüteten in diesem Jahr Sturzfluten wie Waldbrände gleichermaßen. Für die Überschlagrechnungen wurden nicht nur die direkten Kosten, also zerstörte Gebäude, Verkehrsinfrastruktur oder Ernten erfasst, sondern auch indirekte finanzielle Auswirkungen, wie geringere Produktivität während Hitzewellen oder der Wegzug von Menschen aus betroffenen Gebieten. Solche Kollateralschäden wirken sich meist erst Jahre später aus, darum beziehen sich die errechneten Kosten auf den Zeitraum bis 2029. Deutschland gehört laut Uni Mannheim mit einem volkswirtschaftlichen Verlust von etwa 2,5 Milliarden Euro zu den weniger betroffenen Ländern.
Reform
Vorschlag zum Wahlrecht
In Kürze nimmt die Wahlrechtskommission des Bundestags ihre Arbeit auf. Sie will das erst 2023 von der Ampel geänderte Wahlrecht erneut reformieren. Dazu gibt es jetzt einen Vorschlag: Dieser sieht eine Reduzierung der Zahl der Wahlkreise vor. Sie soll von 299 auf 270 verringert werden, zugleich soll die Zahl der Listenmandate auf 330 steigen. „Somit liegt die Sollgröße des Bundestages bei 600 Sitzen“, sagte der Stuttgarter Mathematik-Professor Christian Hesse. Sein Modell sieht ferner vor, dass es wieder Überhang- und Ausgleichsmandate gibt, die die Ampel von SPD, Grünen und FDP mit ihrer Wahlrechtsreform 2023 abgeschafft hatte, weil sie zur Aufblähung des Bundestages auf zuletzt 736 Mandate geführt hatten. Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei über die Erststimmen mehr Direktmandate gewinnt als ihr nach ihrem Zweitstimmergebnis zustehen. Sie darf diese behalten, die anderen Parteien bekommen aber Ausgleichsmandate dafür. Union und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, das erst 2023 von der Ampel eingeführte neue Bundestagswahlrecht zu ändern.
Wiegand will's wissen
Blickpunkt Europa
Es wirkt wie ein Schulausflug, wenn sich die europäischen Staats- und Regierungschefs zur „Europäischen Politischen Gemeinschaft“ (EPG) treffen, dieser Tage im schönen Kopenhagen. Dann werden alle 47 brav die Hand bei guten Vorsätzen heben – und danach ihren eigenen Weg gehen.
Aber wissen Sie überhaupt, was die EPG ist? Wohl die wenigsten werden jetzt „Ja!“ rufen. Die EPG wurde 2022 gegründet und versammelt praktisch alle Staatsspitzen Europas, EU-Mitglieder und Nicht-Mitglieder. Themen: Sicherheit, Energie und Zusammenarbeit. Die Runde hat aber keinen verbindlichen Rahmen, sondern dient dem Austausch.
Die Agenda des Treffens am 2. Oktober klingt nach Weltrettung: Sicherheit, Energie, Konfliktbewältigung. Doch wer die bisherigen Gipfel verfolgt hat, weiß: Am Ende dominieren Gesten, warme Worte, Familienfotos.
Das Grundproblem: Weil die EPG kein offizielles Gremium ist, fehlen verbindliche Instrumente. Statt Durchsetzungskraft bleiben Rituale. Führende Köpfe nutzen die Bühne zur Selbstinszenierung. Reale Lösungen, etwa zum Krieg in der Ukraine, werden vertagt oder in Arbeitsgruppen verlagert.
Europa kann sich solche Schönwetterveranstaltungen an sich nicht leisten. Angesichts von Konflikten, Wettbewerbsdruck und internen Rissen müssten greifbare Beschlüsse her. Stattdessen feilt man an Formulierungen, die zu Hause niemandem wehtun. Und doch: Es bleibt der Wert, dass die Mächtigen miteinander reden. Ein Schulausflug also – aber einer, bei dem man miteinander im Gespräch bleibt, statt schweigend in der Ecke zu sitzen.
Wolf Achim Wiegand ist freier Journalist mit EU-Spezialisierung.