„Sich aufeinander verlassen können. Einander haben“: So beschreiben Jugendliche das Leben innerhalb einer DBT-A-Wohngruppe. Hier lernen sie Schritt für Schritt, ihren Alltag zu meistern – unterstützt von engagierten Erziehern und Therapeuten.
Von außen betrachtet wirkt es fast unscheinbar: ein großes Wohnhaus an der Hauptstraße des Stadtteils, Autos rauschen vorbei, Stimmen hallen vom Gehweg herüber, ein ganz normaler Alltagsort. Nichts deutet darauf hin, dass sich hinter diesen Mauern eine besondere Einrichtung verbirgt. Der Eingang liegt etwas versteckt auf der Rückseite des Hauses. Als die Tür aufgeht, fällt mein Blick auf ein helles Treppenhaus, Holz unter den Füßen, frischer Lack auf der Treppe, der Parkettboden glänzt. Es riecht leicht nach Putzmittel, aber auch nach etwas Gekochtem, nach Alltag. „Sieht eigentlich ganz normal aus“, denke ich, während ich die Stufen hinaufsteige – fast wie in einem Einfamilienhaus. Doch ich weiß: Hier, wo ich gleich begrüßt werde, beginnt für manche Jugendliche ein völlig neuer Lebensabschnitt.
Der Weg in die Selbstständigkeit
Oben angekommen trete ich in ein Büro, freundlich eingerichtet, helles Licht, moderne Möbel. Es ist ruhig, bis jemand die Tür öffnet und mich mit einem Lächeln empfängt. Ich bin zu Besuch in einer besonderen Wohngruppe der Jugendhilfe, einer sogenannten intensivpädagogischen DBT-A-Wohngruppe des Caritas Margaretenstifts in Saarbrücken. DBT-A – Dialektisch-Behaviorale Therapie für Adoleszente – ist ein spezielles Konzept, das Jugendlichen helfen soll, die mit schweren psychischen Belastungen leben: mit starken Stimmungsschwankungen, Impulsivität, selbstverletzendem Verhalten, Dissoziationen oder Suizidgedanken.
Derzeit wohnen hier fünf junge Menschen: vier junge Frauen zwischen 17 und 19 Jahren und ein 17-jähriger Transmann. Sie alle tragen Traumata in sich, Erfahrungen, die sie aus der Bahn geworfen und in psychische Krisen gestürzt haben. Borderline ist die häufigste Diagnose. Für manche ist es der erste Aufenthalt in einer Wohngruppe, für andere eine von vielen Stationen, die ihr Leben geprägt haben. Manche bleiben nur neun Monate, andere mehrere Jahre – alles hängt von der individuellen Stabilität ab. Ziel ist es immer, die Jugendlichen in ein eigenständiges, selbstbestimmtes Leben zu entlassen.
Julian (alle Namen der Bewohner wurden von der Redaktion geändert), einer der Bewohner, erzählt mir von seiner Vergangenheit. Er wirkt gleichzeitig zurückhaltend und erstaunlich reflektiert, als er sagt: „Regelwohngruppen sind ganz anders als hier. Früher war ich froh, wenn ich nur ein Dach über dem Kopf hatte und nicht auf der Straße schlafen musste. Hier ist es ein Miteinander. Wir achten aufeinander. Ich bin dankbar, dass ich hier einen Platz gefunden habe.“ Seine Worte klingen nach Erleichterung, aber auch nach dem Wissen, wie fragil dieser Halt sein kann.
Struktur ist der Schlüssel
Um in diese Gruppe aufgenommen zu werden, braucht es vor allem eines: die Bereitschaft, neue Wege zu gehen. „Therapiert werden kann nur, wer das auch möchte“, sagt Tanja Fedick, eine der Erzieherinnen. Freiwilligkeit ist die Voraussetzung, alles andere würde scheitern. Die Jugendlichen müssen sich darauf einlassen, ihr Leben in eine Struktur zu bringen. Denn Struktur ist der Schlüssel – für Menschen, deren Alltag bisher von Chaos, Unstetigkeit oder ständiger Krise geprägt war. Dreimal pro Woche gibt es gemeinsame Unternehmungen, gegessen wird immer zusammen, am großen Holztisch mit gemütlichen Stühlen. Daneben das Wohnzimmer, eine große Couch, Sitzkissen auf dem Boden, fast wie in einer typischen WG. Fast – denn es gibt Unterschiede: Nachts verschwindet die Küche hinter einer Rollwand, Messer und gefährliche Gegenstände sind unzugänglich. Sicherheit hat hier oberste Priorität. Die Einrichtung wird rund um die Uhr betreut. Tagsüber kümmern sich vier Vollzeitkräfte um die Jugendlichen, nachts sind vier Teilzeitkräfte im Wechsel da. „In einer DBT-A-Gruppe ist der Betreuungsschlüssel wesentlich höher als in einer Regeleinrichtung“, erklärt Einrichtungsleiter Dr. Stefan Eisenbeis. „So können wir wirklich da sein, wenn eine Krise auftritt, und gleichzeitig genug Stunden für intensive Arbeit mit den Bezugsbetreuern sicherstellen.“ Er wirkt nachdenklich, als er ergänzt: „Die Jugendhilfe wird oft in die Schmuddelecke gestellt. Wenn es um Kita-Plätze geht, ist der Aufschrei groß. Wir hingegen arbeiten im Stillen, fast unter dem Radar, und kämpfen darum, dass diese Jugendlichen die Unterstützung bekommen, die sie dringend brauchen.“
Wie lange jemand bleibt, entscheidet sich in regelmäßigen Hilfeplangesprächen mit dem Jugendamt. „Man kann vereinfacht sagen: Alle bleiben so lange, wie sie es brauchen“, erklärt Fedick. Ziele und Bedürfnisse werden immer wieder neu festgelegt. Eine Rückkehr in die Familie ist genauso möglich wie der Übergang in eine andere Wohneinheit, in der die Jugendlichen noch eigenständiger leben. Manche, wie Veronika, sind schon seit zwei Jahren hier. Bei ihr ist das Training für ein Leben allein schon in der Planung, behutsam und Schritt für Schritt.
Das pädagogische Herzstück der Gruppe ist das Skillstraining. Dafür gibt es einen eigenen Raum: ein großer Tisch, bunte Sitzkissen, kleine Hocker – eine fast spielerische Atmosphäre, in der etwas sehr Ernstes geübt wird. Hier lernen die Jugendlichen, mit Gefühlen umzugehen, die sie überwältigen können. „Ein gesunder Mensch reguliert seine Emotionen oft instinktiv“, sagt Fedick. „Diese Jugendlichen konnten es nie lernen und müssen es sich bewusst aneignen.“ Schreien, Boxen, Trommeln, Joggen, Baden, Kreuzworträtsel lösen, ein Knautschbällchen drücken, saure Bonbons lutschen – all das können sogenannte Skills sein. Manche greifen im Notfall sogar zu extremen Reizen wie Ammoniak-Riechstäbchen. Alles, was hilft, sich selbst nicht zu verletzen, ist erlaubt. „Es ist viel Programm, das sagen sie auch selbst. Aber es bringt sie auf einen Weg, der langfristig trägt“, betont Fedick.
Dazu kommen Achtsamkeitsübungen. Was löst Gefühle aus? Wie fühlen sie sich an? Was kann ich tun, wenn sie mich überwältigen? Diese Fragen begleiten die Jugendlichen in der Gruppe – ergänzt durch erlebnispädagogische Angebote wie Klettern, Radtouren oder gemeinsame Ausflüge, die Zusammenhalt fördern. Nach den Ferien sammeln die Jugendlichen selbst Ideen für neue Aktivitäten – ein Mitspracherecht, das spürbar motiviert.
Rückzugsort ist allen wichtig
Doch so viel Freiraum es gibt, Regeln sind unerlässlich. Jeder Gegenstand, mit dem man sich verletzen könnte, ist in den Zimmern verboten. Ausgänge müssen abgesprochen und Heimfahrten eingehalten werden, Mahlzeiten sind verpflichtend – auch, weil viele mit Essstörungen kämpfen. Handys gibt es nicht rund um die Uhr. Regelverstöße werden im Team besprochen, Konsequenzen abgestimmt. Besonders schwer wiegen Suizidversuche ohne vorheriges Krisengespräch. „Das klingt hart“, sagt Fedick, „aber wenn die Sicherheit der Gruppe gefährdet ist, müssen wir reagieren.“
Platz gibt es für sieben Jugendliche, jeder hat sein eigenes Zimmer, einen Rückzugsort. Bedingung ist, dass sie einer Beschäftigung nachgehen – sei es Schule, Ausbildung, Praktikum oder auch der Besuch einer Tagesklinik. „Wir sind wie ein familiärer Haushalt, nur eben mit vielen Kindern und mehreren Betreuern statt Eltern“, sagt Fedick. „Wir wollen die Eltern nicht ersetzen, sondern eng mit ihnen zusammenarbeiten.“ Dazu gehören Besuche bei den Eltern am Wochenende oder in den Ferien genauso wie Gespräche mit Eltern und Großeltern.
Die Nachfrage ist hoch, denn DBT-A-Wohngruppen sind in Deutschland selten. Kliniken aus dem ganzen Land empfehlen die Einrichtung in Saarbrücken als Anschlussmaßnahme. Doch nicht jeder Jugendliche kann aufgenommen werden. „Ein gewisses Maß an Stabilität muss schon da sein“, sagt Fedick. „Sonst ist zunächst ein stationärer Klinikaufenthalt besser.“
Am Ende bleibt der Eindruck eines Hauses, das nach außen hin gewöhnlich wirkt, innen aber voller Geschichten steckt. Geschichten von Jugendlichen, die schon viel durchgemacht haben und hier eine zweite Chance bekommen. Geschichten von Rückschlägen, aber auch von kleinen Erfolgen, die Mut machen. Julian bringt es auf den Punkt: „Hier habe ich nicht nur ein Dach über dem Kopf. Hier habe ich eine Chance.“
Die Jugendlichen haben hier ihr eigenes Zimmer. Bett, Schrank, Schreibtisch, Kommode – die Grundausstattung wird gestellt, doch wie es darin aussieht, entscheidet jeder selbst. Poster, Lichterketten, ein Stapel Zeitschriften und Bücher oder liebevoll arrangierte Deko: kleine Reiche, die ihre Besitzer widerspiegeln. Manche winken ab – „zu unaufgeräumt“ – andere lassen mich neugierig eintreten. Ich sehe Legoblumen in Vasen, bunte Accessoires, Räume, die Wärme ausstrahlen.
Gemeinsames Kochen
Johanna, 17, empfängt mich mit wachen Augen. Sie wirkt nachdenklich, zugleich klar. „Ich bin seit etwa einem Jahr hier. Bei mir war weniger der familiäre Hintergrund ausschlaggebend, dass ich hierher kam, als vielmehr meine Erkrankung.“ Ihre Stimme ist ruhig, fast erwachsen. „Ich möchte vor allem meinen Abschluss erreichen und mir war bewusst, dass ich es ohne Hilfe nicht hinbekomme. Ich habe selbst vorgeschlagen, noch mal in eine Wohngruppe zu gehen. Abgesehen davon glaube ich, dass das DBT-A das beste Programm für Borderliner ist. Zumindest nehme ich es so wahr. Und es erstaunt mich auch immer wieder, dass viele gar nicht wissen, dass es das gibt. Man kann sich aus anderen Therapie-Modellen, die ich auch schon durchlaufen hatte, immer hier und da etwas rausziehen und mitnehmen. Aber alles, was ich hier mache, hat bei mir einen Wow-Effekt ausgelöst, weil es wirklich hilft.“ Sie lächelt. „Die Kommunikation hier stimmt einfach, und das erleichtert den Alltag. Zudem versteht man hier einander, weil wir alle eine ähnliche mentale Erkrankung und das Verständnis dafür und füreinander teilen.“
Annika, ebenfalls 17, ist seit über zwei Jahren hier. „Bei mir war es ganz anders. Ich wusste am Anfang selbst nicht, wieso ich hier bin. Bei mir wurde schon vor vielen Jahren vorgeschlagen, dass ich in eine Wohngruppe gehe. Ich habe mich aber lange dagegen gesträubt, wollte einfach nicht. Nach einem Aufenthalt in einer Tagesklinik habe ich aber selbst realisiert, dass meine familiären Probleme der Hauptgrund meiner Erkrankung sind. Testweise, so für ein, zwei Monate, kam ich dann her und ja, daraus wurde eine lange Zeit. Mittlerweile habe ich das größte Zimmer. Immerhin.“ Sie grinst, schaut sich in ihrem Reich um. „Es wirkt nicht steril oder karg, sondern wohnlich. Manchmal sogar besser als zu Hause.“ Nur wenn zu viele gleichzeitig da sind, wird es schwierig. „Es wird sonst alles schon überfüllt. Das merkt man beim Essen am meisten. Auch beim gemeinsamen Kochen, wenn dann jeder was anderes will und wir verschiedene Gerichte kochen müssen. Das ist dann schon anstrengend.“
Julian, 17, hat schon vieles gesehen – Heime, Internate, die Straße. Er ist ein Transmann, zart gebaut, das Gesicht von Narben gezeichnet, die seine Borderline-Störung hinterlassen hat. Und doch wirkt er gefasst, scharf im Denken. „Ich bin schon seit meiner Kindheit im Jugendhilfe-System und ganz ehrlich, war diese Wohngruppe hier, die einzige, da mich keine Schutzstelle aufnehmen wollte.“ Er schmunzelt, dann sagt er ernst: „Mein Schulabschluss und eigenständigeres Wohnen sind meine derzeitigen Ziele. Auch wenn ich sozusagen nehmen musste, was ich kriege, hatte ich mich sehr gefreut, dass ich nicht nur aufgenommen werde, sondern auch noch das Glück hatte, in eine Wohngruppe zu kommen, die auf Borderline spezialisiert ist. Man lernt andere, neue und gute Wege, sich abzulenken und zu beschäftigen.“
„Regelwohngruppen sind personell deutlich schlechter besetzt“, erklärt Sozialpädagogin Tanja Fedick. „In der Regel sind es neun bis zehn Jugendliche und im Tagdienst ist dann ein Erzieher, maximal ein zweiter, vor Ort.“ Eine Bewohnerin ergänzt: „Da wacht man morgens auf und fragt sich am Frühstückstisch, wer das neue Kind ist.“ Kinder, die nachts gebracht werden, manchmal von der Polizei. Harter Tobak für junge Seelen.
In dieser Einrichtung ist es anders: Therapie gibt es direkt vor Ort. Frau Heil, die Therapeutin, begleitet alle, die zu ihr kommen möchten. „Das ist meistens ganz praktisch, da die Warteliste für Therapieplätze lang ist.“ Viele bleiben bei ihr, wenn die Wellenlänge stimmt.
Im Haupthaus – dem „Mutterhaus“, der Keimzelle der Einrichtung seit Anfang der 70er-Jahre – empfängt mich Dr. Stefan Eisenbeis, Einrichtungsleiter des Caritas-Margaretenstifts in Saarbrücken. Leidenschaftlich spricht er über Jugendhilfe, über ihre Entwicklung und darüber, wie er sie Schritt für Schritt verbessern möchte. „Denn letztlich geht es darum, für die Kinder und Jugendlichen immer wieder bessere Bedingungen herauszuholen.“
Ein Satz, der die Spannweite seiner Arbeit gut auf den Punkt bringt: zwischen Ideal und Finanzierung, zwischen fachlichem Anspruch und politischer Realität. Denn was hier vor den 70er-Jahren noch als „Heim für gefallene Mädchen“ begann, wirkt heute wie eine ferne, fast befremdliche Erinnerung. Inzwischen umfasst das Margaretenstift ein beeindruckendes Spektrum: Neben zwei weiteren Häusern – einer Kindergruppe sowie der sogenannten Beginner-Gruppe mit Diagnostik und Erstaufnahme – gibt es eine intensivpädagogische Jungengruppe mit sechs Plätzen, eine klassische Jugendwohngruppe für Mädchen, eine 24/7-Verselbstständigungsgruppe für junge Frauen sowie eine Trainingswohnung zum selbstständigen Wohnen in Saarbrücken. Hinzu kommen 49 weitere dezentrale Standorte.
Wir aber richten unseren Blick auf die therapeutische Wohngruppe, in der das DBT-A-Konzept Anwendung findet. Dr. Eisenbeis, selbst approbierter psychologischer Psychotherapeut und seit über 25 Jahren in der Verhaltenstherapie tätig, erläutert den Ansatz: „DBT-A ist eine angepasste Form der Dialektisch-Behavioralen Therapie, die speziell für Jugendliche entwickelt wurde, um ihnen bei der Emotionsregulation und der Bewältigung von Verhaltensproblemen zu helfen.“
Seine Stimme wird fester, wenn er von den Ursprüngen erzählt: Entwickelt wurde DBT von der US-amerikanischen Psychotherapeutin Marsha M. Linehan. Sie kombinierte klassische Elemente der Verhaltenstherapie mit Techniken der Zen-Meditation. Ziel war es, jungen Menschen konkrete Fertigkeiten – die sogenannten Skills – zu vermitteln, damit sie mit überwältigenden Emotionen und hochstressigen Situationen konstruktiv umgehen können. „Gerade Jugendliche, die Schwierigkeiten mit Emotionsregulation haben oder Verhaltensweisen zeigen, die ihre persönliche Entwicklung gefährden, profitieren davon“, so Eisenbeis. Die Hauptindikationen reichen von Borderline-Störungen über Traumafolgestörungen bis hin zu Essstörungen oder Drogenmissbrauch. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Einbeziehung der Eltern oder anderer Bezugspersonen, damit die erlernten Fähigkeiten auch im Alltag angewandt und gefestigt werden.
In der Praxis bedeutet DBT-A eine Kombination aus Einzel- und Gruppentherapie sowie Telefoncoaching, Intervision und Supervision. In den Gruppensitzungen werden zentrale Themen vermittelt: Achtsamkeit, Stresstoleranz, Emotionsregulation und zwischenmenschliche Fertigkeiten. So entsteht ein strukturierter Fahrplan, der Jugendlichen Halt gibt.
Ein erfolgreiches Wohnmodell
Eisenbeis blickt zurück: „Mitte der 90er gab es in den USA eine erschreckend hohe Rate erfolgreicher Suizide. Dem sollte entgegengewirkt werden – und genau dafür wurde das Programm entwickelt.“ In Deutschland fand DBT-A zunächst in Freiburg Eingang in den stationären Bereich, etabliert durch Alec Miller und Jill Rathus. Doch Eisenbeis erkannte ein Manko: Die Jugendlichen wurden zu oft zwischen verschiedenen Settings hin- und hergeschoben – mal Klinik, mal Jugendhilfe, dann wieder zurück. „Für die Betroffenen bedeutete das eine permanente Zerrissenheit, die dem Genesungsprozess im Weg stand.“ Also wagte man in Kleinblittersdorf einen neuen Schritt: DBT-A sollte fest in der Jugendhilfe verankert werden. Einfach war das nicht, erinnert sich Eisenbeis. „Die Finanzierung war – wie könnte es anders sein – zunächst ein Problem, politisch nicht durchsetzbar.“ Doch er und sein Team hielten durch. Heute zeigt sich, dass sich diese Ausdauer gelohnt hat. Denn die therapeutische Wohngruppe arbeitet erfolgreich mit Jugendlichen, die andernorts oft durchs Raster gefallen wären.
„Die Verteilung der Krankheitsbilder ist eigentlich 50:50 bei Jungen und Mädchen. Mädchen sind nur therapieaffiner“, erklärt Eisenbeis. „Bei männlichen Jugendlichen spielen dagegen häufiger externalisierende Verhaltensauffälligkeiten eine Rolle – und dann landen sie eher im Jugendstrafvollzug, statt in einer Tagesklinik oder stationär aufgenommen zu werden.“ Was in den 70er-Jahren mit einem Heim für „gefallene Mädchen“ begann, hat sich also zu einer hochspezialisierten Einrichtung entwickelt, die moderne Therapieformen wie DBT-A erfolgreich in der Jugendhilfe etabliert. Wenn Eisenbeis von der Zukunft spricht, klingt durch, dass für ihn längst nicht Schluss ist: Es geht weiter – für jedes Kind und jeden Jugendlichen, die hier eine neue Chance erhalten.