Viele der Kinder, deren Eltern im Ronald McDonald Haus wohnen, werden in der Kinderklinik des Universitätsklinikums Homburg behandelt. Professor Michael Zemlin, Direktor der Kinderklinik, legt auf die reibungslose Vernetzung der verschiedenen Fachrichtungen genauso viel Wert wie auf Empathie und Verständnis.
Fiete hat gerade getrunken und liegt zufrieden im Arm seiner Mutter Franzi. Die große Schwester sitzt gegenüber. Sophie ist vier Jahre alt und sehr stolz auf ihren kleinen Bruder. Mindestens genauso stolz ist sie auf ihren schwebenden Ballon mit Disney-Prinzessinnen, den sie festhält. Das Band des Ballons hat sie unten mit einem Haargummi beschwert, damit er nicht unter die Decke abhebt, falls sie ihn aus Versehen loslässt. Fiete, Sophie, Franzi und Vater Timo sind in Homburg, seit Fiete auf der Welt ist. Geplant war das so nicht, aber die Familie macht einen entspannten Eindruck.
Fiete leidet an Neugeborenen-Gelbsucht. Eigentlich keine seltene oder komplizierte Angelegenheit, in einigen Fällen muss sie aber intensiver behandelt werden. Schuld ist ein zu hoher Bilirubin-Spiegel im Blut, der von der Leber nicht schnell genug abgebaut werden kann. Sinkt der Wert zu langsam, kann eine medizinische Behandlung wie eine Lichttherapie oder seltener eine Bluttransfusion nötig werden, um das Risiko einer Schädigung des Gehirns zu vermeiden. Bei Fiete hat eine Lichttherapie gute Resultate gezeigt. Wann er nach Hause kann, weiß man trotzdem nicht. Der Wert im Blut wird regelmäßig gemessen, es kann sein, dass er nun schnell sinkt – oder eben auch nicht. Also heißt es abwarten.
Seine Eltern und seine Schwester sind froh, einen Platz im Ronald McDonald Haus bekommen zu haben. Bei Fietes engem Zeitplan aus Therapie, Schlafen und Trinken wäre es auch anders gar nicht möglich, bei ihm in der Klinik zu sein, wenn es darauf ankommt. Von zu Hause aus würden sie eine Stunde bis nach Homburg brauchen, jetzt sind sie in kürzester Zeit auf der Neugeborenenstation. Und einen Vorteil hat das Elternhaus außerdem noch, sagt Sophie: Es gibt ein riesiges Spielzimmer, in dem sie alles machen kann, was sie möchte.
Vielleicht zwei Minuten dauert es, bis man zu Fuß vom Ronald McDonald Haus zum Gebäude Nummer 9 gelangt, das direkt nebenan liegt. Schaut man aus der Vogelperspektive auf das Klinikgelände, sticht es deutlich hervor. Von oben hat es die Form eines großen W und zählt zu den größten Gebäuden auf dem Gelände. Hier, in der Kinderklinik, die offiziell Klinik für Allgemeine Pädiatrie und Neonatologie heißt, spielt sich das ab, weshalb die meisten Eltern einen Platz im Ronald McDonald Haus brauchen. Das eigene Kind benötigt eine Untersuchung, ist krank, hatte einen Unfall oder muss nach der Geburt medizinisch betreut werden. Gründe dafür können schwere Erkrankungen, schlimme Diagnosen, aber auch verhältnismäßig leichte und komplikationslos zu behandelnde Krankheiten wie in Fietes Fall sein. Jede Familie in der Kinderklinik hat ihr ganz eigenes Schicksal und doch bilden sie eine Art Gemeinschaft.
Große Bandbreite an Behandlungen und Diagnose-Möglichkeiten
Bei unserem Besuch sind wir mit Professor Michael Zemlin verabredet. Der Direktor der Kinderklinik holt uns persönlich am Eingang ab. Wir warten auf ihn direkt neben einem Kiosk, in dem es, anders als auf anderen Stationen, zusätzlich ein großes Regal mit bunten Stofftieren gibt. Als Professor Zemlin um die Ecke kommt, werden wir von einem freundlichen, offenen, aber auch viel gefragten Mann empfangen. Das wird schnell klar, als wir – im krankenhaustypischen Tempo einer Person, die hier alle Wege in- und auswendig kennt –
durch bunte Flure vom Eingang bis zu seinem Büro gehen. Unterwegs grüßt er, hält er an, bespricht Organisatorisches. Es geht um Zahlen, um Listen, um Dateien. Das ist der Klinikalltag abseits der direkten Patientenbetreuung, zu tun gibt es immer etwas. „Das nennt man auch Management by walking around“, sagt Professor Zemlin. Ansprechbar zu sein, unkompliziert mit Mitarbeitenden in Kontakt zu kommen, sich auszutauschen, das hat positive Auswirkungen auf Abläufe und auch das Miteinander.
Zemlin ist gebürtiger Berliner, arbeitete bereits in den USA und in Marburg. Seit neun Jahren ist er nun an der Uniklinik Homburg, die für ihn einen besonderen Reiz hatte. In Homburg sind unterschiedliche Fachbereiche unter einem Dach vereint. Das ist nicht üblich, viele Kliniken spezialisieren sich eher auf eine einzelne Fachrichtung.
Professor Zemlin erklärt, dass sein Aufgabengebiet aufgrund dieses breiten Spektrums nicht nur seinen ursprünglichen Schwerpunkt, die Neugeborenen-Intensivmedizin, umfasst, sondern auch Kinder-Intensivmedizin, Neuropädiatrie, Pneumologie, Endokrinologie, Gastroenterologie und andere Bereiche. Dazu kommen die Kliniken für Kinderonkologie und Kinderkardiologie. Damit wird in Homburg eine große Bandbreite an Behandlungen und Diagnosemöglichkeiten abgedeckt.
Die Intensivstationen bieten beispielsweise Frühgeborenen, Babys mit Entwicklungsfehlern oder auch schwer kranken älteren Kindern einen Platz. In der Neuropädiatrie stehen Krankheiten des Nervensystems im Mittelpunkt wie Entwicklungsstörungen, Bewegungsstörungen, Muskelerkrankungen oder Folgen von Hirnschädigungen, während sich Pneumologie, Endokrinologie und Gastroenterologie jeweils mit Lungen- und Atemwegserkrankungen, Hormon- und Stoffwechselerkrankungen wie der Zuckerkrankheit, Schilddrüsenerkrankungen, Wachstumsstörungen sowie Magen-Darm-, Leber- und Verdauungskrankheiten beschäftigen.
Wer nach Homburg kommt, soll gut versorgt werden. Eine reibungslose Vernetzung der verschiedenen Fachrichtungen ist wichtig und kommt dabei vor allem auch den Kindern zugute. „Kinder haben tolle Sensoren und merken genau, wenn im Team etwas nicht richtig läuft“, sagt Professor Zemlin. Das Miteinander statt Gegeneinander der verschiedenen Disziplinen sei nicht überall selbstverständlich.
Er selbst als Leiter der kompletten Kinderklinik müsse dazu nicht auf jedem Spezialgebiet Fachmann sein. Als eine seiner Aufgaben sieht der Leiter es vielmehr, die jeweiligen Spezialisten dabei zu unterstützen, sich zu entfalten und Expertise aufzubauen. „Es ist ein tolles Gefühl, ein Team und Mitarbeiter zu haben, die auf den Spezialgebieten viel mehr davon verstehen als ich selbst“, sagt er.
Die Klinik ist auch auf Sach- und Geldspenden angewiesen
Damit es diese Spezialisten überhaupt gibt, muss allerdings schon an einem früheren Punkt angesetzt werden. Als Dozent und Lehrender setzt sich der Leiter zusätzlich dafür ein, Studierenden die Kindermedizin näherzubringen, die bei der Spezialisierung manchmal etwas in Vergessenheit gerät. Auch in der Pflege sei das wichtig. Bei Zemlins Visite sind deshalb immer auch Pflegeschülerinnen und -schüler sowie Studierende mit dabei, die sich noch nicht festgelegt haben.
Am Homburger Universitätsklinikum wird zusätzlich auch geforscht. Das Themengebiet mag überraschen, ist aber völlig logisch, wenn man näher darüber nachdenkt. „Einer unserer Schwerpunkte liegt in der schmerzfreien Feindiagnostik. Wir versuchen also, Blutentnahme und schmerzhafte Kabel, Sensoren und so weiter zu ersetzen mit allem, was dem Kind nicht wehtut: also optische Systeme, Wärme, Wärmebildkameras, Radar, Geruchssensoren. Wir entwickeln gerade einen Brutkasten für Frühgeborene, der eine Wellnessoase mit ansprechender Geräuschkulisse und kindgerechter Lichtausstattung sein soll.“
Auf dem Weg zu Fiete begegnet uns im Flur eine Mitarbeiterin mit einem Verband am Arm. Was sie denn da gemacht habe, fragt Professor Zemlin. „Thrombozytenspende“, ruft sie im Vorbeigehen. Professor Zemlin findet das gut und erzählt, dass Blutspenden immer dringend gebraucht werden. Eine Thrombozytenspende beispielsweise kann einem Kind mit Leukämie oder während einer Chemotherapie helfen, wenn sein Körper selbst nicht genug eigene Thrombozyten bilden kann.
Von Spenden dieser Art einmal abgesehen, ist die Klinik, wie auch das Elternhaus, immer auch auf Sach- oder Geldspenden angewiesen. Die bunte und kindgerechte Dekoration der Stationen beispielsweise wurde überwiegend gespendet oder durch Spendengelder finanziert. So auch die Liegestühle auf der Neugeborenenstation – wie etwa der Stuhl, auf dem Fietes Mutter Franzi mit ihrem Sohn kuschelt, als wir sie besuchen.
Die Flure sind bunt, hier ist eine Raumstation mit einem Sternenhimmel aufgebaut, da lacht „Die Maus“ von der Wand. Lichterketten, bunte Wandbilder, Fotografien von Kindern, die hier behandelt worden sind, schmücken die Flure. Im Pflegestützpunkt der Neugeborenen-Intensivstation fällt der Blick allerdings auch auf eine Wand, an der mehrere Monitore zentral die einzelnen EKG-Linien der kleinen Patienten anzeigen. Ein Krankenhaus bleibt dieser Ort eben immer noch.
Gerade in der Kinderklinik gibt es immer wieder die Situationen, vor denen Angehörige, aber auch Mediziner sich am meisten fürchten. In Momenten, in denen das Leben eines Kindes auf dem Spiel steht oder trotz der medizinischen Möglichkeiten nicht mehr zu retten ist, sind eine sensible Betreuung und Begleitung wichtig.
Für Professor Zemlin gehört das zu seinem Beruf, zur Routine wird es aber nie. Wenn er inmitten des Klinikalltags über den Tod eines Kindes oder kritische Behandlungen sprechen muss, ist ihm dabei wichtig, so offen wie möglich mit den Eltern zu sein, ohne sie dabei zu überfordern oder mit Fragen und Unklarheiten allein zu lassen. In Situationen wie diesen wünschen sich Angehörige und Patienten Empathie und Verständnis, das weiß auch der Leiter der Kinderklinik. Und das tut er nicht nur aus der Perspektive des behandelnden Arztes, sondern auch aus der Perspektive der Angehörigen. Vor mehr als 25 Jahren war er selbst in der Situation, ein schwer krankes Kind zu haben. Ein Schicksal, das ihn mit vielen hier verbindet. Auch wenn es hart klingt, aber das ist ein großer Vorteil.
Eltern von Fiete sind froh über die räumliche Nähe zu ihrem Kind
Deshalb versteht er umso mehr die Notwendigkeit von Elternhäusern wie dem Ronald McDonald Haus. „Das Schlimme ist der Kontrollverlust für die Eltern, die ihr Kind im Krankenhaus abgeben müssen. Es ist erstens nicht gesund und zweitens nicht zu Hause. Das ist schwierig. Deshalb ist es für uns wahnsinnig wichtig, dass es in dieser Krisensituation eine Nähe zwischen Kindern und Eltern gibt und dass aber gleichzeitig auch eine Balance möglich ist. ‚Me time‘ sagt man heute dazu. Einfach mal joggen gehen, einkaufen oder ins Café gehen, weil man weiß, das Kind ist gut aufgehoben.“ Diese Vorteile sehen auch Fietes Eltern, Franzi und Timo. Sie sind froh über die räumliche Nähe und über die Last, die ihnen abgenommen wird, und freuen sich über den Austausch mit anderen Eltern.
Auch im Alltag von Professor Zemlin geht es derweil weiter. Wir sitzen in seinem Büro, und spätestens als von nebenan seine Mitarbeiterin um die Ecke schaut und Menüvorschläge für die Weihnachtsfeier unterbreitet, wird klar: Hier laufen wirklich die unterschiedlichsten Fäden zusammen. Es sind genau die Fäden, die die Kinderklinik ausmachen. Wahrscheinlich wird es Ente geben, das entscheidet Professor Zemlin spontan aus den vorgegebenen Möglichkeiten, stellt aber im selben Atemzug klar: „Mir wäre Gemüse am liebsten.“