„Der letzte linke Kleingärtner“ kann manchmal auch etwas rabiater werden
Was geht ab im Garten? Ja, ja, die Zucchini wachsen mal wieder im sprichwörtlichen „S…galopp“. Einige Schlauköpfe sind mächtig stolz darauf, wenn sie einem via Facebook zwei, drei, vier Kilo große Früchte zeigen können. Das zeugt nur von Dummheit, denn große Zucchini schmecken schlecht – sofern sie überhaupt noch Geschmack haben. Zucchini erntet man möglichst klein, sobald sie 15 bis 20 Zentimeter lang sind. All die Kleingärtner, die sich mit großen Zucchini präsentieren, ruinieren den Ruf unserer Branche. Hier stimmt es tatsächlich: „Die dümmsten Bauern haben die dicksten Kartoffeln.“
Manchmal ist der menschliche wie kleingärtnerische Drang nach dicken Gartenfrüchten leider Ausdruck von Dummheit. Gut, zugegeben: Manchmal passiert es auch mir aus Unachtsamkeit, und die Zucchini werden riesig. Dann stelle ich mich aber nicht mit der Frucht hin, glotze grinsend in die Kamera und mache ein Selfie oder Reel für Social Media. Andererseits ist die Maßeinheit „dick“ im Garten eigentlich schön und erstrebenswert. Im Mittelalter war sie dies sogar für uns Zweibeiner. Und wer freut sich nicht über dicke Früchte, dicke Erdbeeren, dicke Johannisbeeren, dicke Zwiebeln, dicke Möhren und eben auch dicke Kartoffeln?
Bei Busch- und Stangenbohnen verhält es sich ähnlich wie bei den Zucchini. Denn wenn ich dick ernte, dann habe ich schlichtweg zu spät geerntet. Das Prinzip ist denkbar einfach: Wenn ich die Bohnen früh ernte, profitiere ich als Kleingärtner doppelt: Zum einen schmecken sie besser, und zum anderen wird die Pflanze so angespornt, viele Schoten zu produzieren. So habe ich mehr Ertrag. Denn die Pflanze produziert ihren Samen – in dem Fall eben Bohnen – um sich zu reproduzieren. Als nerviger Kleingärtner dränge ich mich lediglich in den Zyklus von Wachstum und Reproduktion hinein, stehle mir von den Pflanzen das, was mir zusteht, und bin dann wieder weg.
Während sich die Gesellschaft außerhalb meines gärtnerischen Horizonts mal wieder ordentlich zofft über den Umgang mit den Fremden, also denen, die anders sind – was dann wahlweise Nachbarn, Kunden, Mitmenschen, Verbraucher oder andere Geflüchtete sein können –, werde auch ich misstrauischer gegenüber Fremden. Außerhalb meines Kosmos wappnet man sich mit allerhand juristischem Zeugs gegen die Fremden und betreibt das Spiel mit den armen fragilen Grenzen, die geschützt werden müssen, immer hektischer und vor allem martialischer. Nur mir hilft mal wieder keiner, wenn die Fremden kommen und alles kahlfressen.
Diese Woche hatte ich wieder ungebetenen Besuch, also Rehe in meinem Gemüsegarten, aber keinen Schengener Vertrag, um mich zu schützen. Ohne Erlaubnis und ohne anzuklopfen schlichen sie sich frühmorgens in der Dämmerung in den Garten und fraßen ratzfatz die Blätter meiner Roten Beten und meines Grünkohls ziemlich kahl. Fehlen der Roten Bete die Blätter, wird das nichts mehr mit dem Wachstum der Knolle.
Das wurde mir zu bunt und ich habe aufgerüstet. Wenn Grenzanlagen aus Stahl gegen zweibeinige Fremden helfen, dann muss das auch im Garten gegen Vierbeiner möglich sein. Ich zäunte meine Rote Bete und meinen Grünkohl mit Stahlgittern ein. Das wäre doch gelacht, wenn ich mir von süßen Rehböcken auf dem Kopf herumtanzen ließe. Stahl hilft. Seit ich die Zäune hochgezogen habe, habe ich Ruhe vor dem Vieh. Ich hätte übrigens bei der Rehplage noch eine sinnstiftende Anwendung für Stahl im Angebot: Schießen. Ja, richtig – die Freunde der Jagd. Also die Jäger sollen mehr Rehwild schießen. Das ist allerdings in befriedeten Bezirken, wie es Wohngebiete nun mal sind, aus gutem Grund nicht erlaubt, aber außerhalb schon.
Gleichzeitig vergießen Ökos gerne das ein oder andere Tränlein, ob des armen Rehs, das von Jägern zu Manitou in die ewigen Jagdgründe befördert wird. Nur sind die netten Ökos nicht die, die mühsam Rote Bete und Grünkohl kultivieren und die Früchte dann kampflos den Rehen schenken. Nun denn, manchmal hat eine Aufrüstungsspirale ihr Gutes. My home is my castle.