Theaterkritik
Der Fall McNeal
Jacob McNeal ist ein Plünderer. Er beutet das Leben anderer Menschen aus. Sie dabei zu verletzen, verbucht er als Kollateralschaden im Kampf für die ganz große Literatur. Und seit Künstliche Intelligenz es schafft, Tagebücher, Weltliteratur und jeden anderen Text in Sekundenschnelle zu erfassen, beutet er auch diese Quellen aus – mit dem Befehl ans KI-Schreibprogramm, die Geschichte „im Stil von Jacob McNeal“ neu zusammenzusetzen. Das läuft gut. So gut, dass Jacob McNeal den Literaturnobelpreis bekommt. Was ihn nicht davon abhält, mit seinem Leben und den Menschen, die es bevölkern, zu hadern. Aber das gehört dazu, findet er, denn: „Selbstmitleid ist nur ein anderes Wort für Literatur.“
Ein alter weißer amerikanischer Mann, Ende 60, ein Musterbeispiel für toxische Männlichkeit, ein Charismatiker mit einem Alkoholproblem, das seine Gesundheit zugrunde richtet und seinem Leben wohl bald ein Ende setzen wird. Ein Typ, der verstörend ehrlich erzählen kann, dass er den mächtigen Hollywood-Produzenten, der Frauen missbraucht und ausgenutzt hat, eigentlich immer ganz sympathisch fand – bevor alles ans Licht der Öffentlichkeit kam, natürlich. Das wirkt dick aufgetragen – und könnte deshalb schiefgehen auf der Bühne. Im Deutschen Theater tut es das nicht – im Gegenteil. So wie Regisseur András Dömötör den „Fall McNeal“ erzählt und so, wie Ulrich Matthes diesen Menschen spielt, entsteht da eher der Wunsch, etwas zu lesen von diesem Star-Autor, der, wie er sagt, Lügen schafft, die zur Wahrheit weisen, als Zweifel anzumelden an dieser irren Geschichte. Einer Geschichte, die in einem von Julia Plickat und Ann-Christin Müller geschaffenen faszinierenden Bühnenbild menschliche Abgründe öffnet und davon erzählt, wie weit die KI bereits Teil unseres Alltags ist. Einer Geschichte, in der Jacob McNeal aber auch die Grenzen der KI aufzeigt, wenn er erklärt, dass KI das „Wesen von Geschichten nicht versteht, weil sie den Tod nicht begreift.“
„Der Fall McNeal“, Deutsches Theater, Karten: www.deutschestheater.de
Kulturverführung vom 10. Oktober 2025
Kunst: Die Jugendkunstschule Friedrichshain-Kreuzberg bietet auch in diesem Jahr wieder eine Akademie während der Herbstferien an. Unter dem Motto „Herbstleuchten“ können die Teilnehmenden verschiedene Maltechniken kennenlernen, im Tuften-Kurs einen eigenen Teppich gestalten, elektronische Klangobjekte bauen oder ihren eigenen Halloween-Horrorfilm drehen. Die Akademie läuft vom 27. bis zum 31. Oktober, jeweils von 10 bis 14 Uhr. Jugendkunstschule Fri-X Berg, Tempelhofer Ufer 18-19, 10963 Berlin, Informationen und Anmeldung: www.frixberg.de
Ausstellung: Im Museum für Kommunikation wird über Sex geredet. „Sexualität ist Identität, Spaß und mit Worten schwer zu beschreiben. Kultur, Erziehung und Bilder aus Film und Fernsehen prägen unsere Vorstellung davon“, schreibt die Museumssprecherin. „Apropos Sex“, die neue Ausstellung des Museums, erzählt, wie über Sexualität gesprochen, gestritten und gedacht wurde und wie sich dies im Laufe eines Jahrhunderts gewandelt hat. In sieben interaktiven Bereichen begegnen die Besucherinnen und Besucher Themen wie „Sprache und Sexualität“, „Aufklärung“, „Grenzziehung“ und „Mediale Lust“. Sie können sich damit auseinandersetzen, wie Sexualität von der Gesellschaft wahrgenommen wird und wie Medien und gesetzliche Bestimmungen das persönliche sexuelle Leben beeinflussen. Museum für Kommunikation, Leipziger Straße 16, 10117 Berlin, Informationen: www.mfk-berlin.de
Theater: Bis zum 30. November läuft im Maxim Gorki Theater und im Palais am Festungsgraben der 7. Berliner Herbstsalon mit über 100 Werken von rund 60 Künstlerinnen und Künstlern. Geplant sind eine Ausstellung, fünf Uraufführungen auf Theaterbühnen und zahlreiche kleinere Formate. Intendantin Shermin Langhoff lädt Künstlerinnen und Künstler sowie das Publikum dazu ein, mit gegenwärtigen Perspektiven und Geschichten „Geschichte persönlich zu nehmen“ und „uns Vorstellungen zu machen von einer Zukunft, in die wir aufbrechen wollen“. Maxim Gorki Theater, Am Festungsgraben 2, 10117 Berlin, Karten und Informationen: www.gorki.de
Kabarett: Wenige Wochen nach der Premiere von „Zu Risiken fragen Sie Ihre Nebenwirkungen“ steht im Kabarett-Theater „Die Stachelschweine“ bereits die nächste neue Produktion an. Ab 25. Oktober spielt das Ensemble „Die Zukunft ist vorübergehend nicht erreichbar“, eine Revue von Frank Lüdecke und Sören Sieg. Noch wird daran gearbeitet, aber so viel wird verraten: „Haben Sie Probleme, die deutsche Politik zu verstehen? Oder die internationale? Trump? Putin? Fragen Sie sich, was wird die Zukunft bringen? Wir haben für Sie schon mal die wichtigsten Entwicklungen hochgerechnet. Wir wissen vielleicht nicht alles besser, aber dafür sind unsere Prognosen witziger.“ Kabarett-Theater „Die Stachelschweine“, Tauentzienstraße 9-12, 10789 Berlin, Karten und Informationen: www.diestachelschweine.de Martin Rolshausen