Tandemfliegen – klingt einfach, wird aber zum Abenteuer, wenn man vorher mit Sack und Pack via Klettersteig zum Gipfel wandert, um dann mit dem Akrobatik-Weltmeister „Mad Mike“ Küng abzuheben.
Die Gondelbahn nehmen, die paar Meter zum Startplatz schlappen und dann einfach runterfliegen? „Langweilig“, meint Mike Küng, der in seiner rund 30-jährigen Paraglidekarriere auf 10.000 bis 15.000 Flüge kommt und sich durch diverse spektakuläre Aktionen den Beinamen „Mad Mike“ ersprungen hat. So stellte der 1968 geborene Vorarlberger den Höhenflugweltrekord im Paragliden auf, indem er aus einer Höhe von 10.100 Metern mit seinem Gleitschirm von einem Heißluftballon absprang. 2004 war das. 2008 landete er in einem Ferrari-Cabrio, nachdem er aus einem 300 Meter über dem Bodensee fliegenden Zeppelin NT hüpfte. Spektakulär waren auch die Überquerung des Ärmelkanals oder Absprünge mit dem Gleitschirm von Hubschraubern, Bergbahnen und Brücken. Ach ja, Akrobatik-Weltmeister – freilich in der Luft – darf sich Mike auch nennen. Und jetzt macht er mit uns „Hike & Fly“ in Tirol.
Will man mit so jemandem einen Tandemflug unternehmen? Man sollte sogar, denn das mit dem „mad“ bezieht sich nicht auf etwaige fehlende Vorsicht – der Mann, eine echte Gleitschirm-Koryphäe, nimmt die Sache insbesondere bei der Vorbereitung und beim Absprung sehr ernst. Um dann beim Flug – Stichwort Steilspiralen, Wing-Over und sonstige Scherze – alle Spaßregister zu ziehen. Rollercoasterfeeling at its best! Doch bevor man in den Genuss kommt, muss man sich diesen erarbeiten: Vor dem an sich gemütlichen Flug steht echte körperliche Anstrengung in Gestalt einer Wander- und Klettertour.

Und so wird ein interessantes Kombi-Angebot daraus, dass Küng mit dem Achenseer Bergführer Andreas Nothdurfter seit Herbst 2016 anbietet. Es heißt „Hike & Fly“, sprich: Vor dem eigentlichen Flug wird gewandert und geschwitzt. Zum Beispiel von der Rofan-Bergstation hinauf zum 2.261 Meter hohen Spieljoch. Und da der „normale“ Weg auch noch zu langweilig wäre, führt uns Andreas über einen Klettersteig – mit einigen unförmigen Gepäckkilos hintendrauf – schließlich will der rund fünf Kilo schwere Gleitschirmgurt transportiert werden. Eigentlich sollte das Programm „Hike & Climb & Fly“ heißen ...
Alle Spaßregister ziehen
Nach dem obligatorischen Gipfelfoto folgt Teil zwei. Während alle anderen Teilnehmer mit drei, vier ballettartigen Tappern über den Wiesenhang laufen und dann wie im Lehrbuch abheben und in den Tiroler Himmel gleiten, soll es bei mir ganz anders kommen. Der Schuldige: klar, das Wetter! Frischt aber auch wirklich unerwartet rasch auf. Vom strahelnd-blauen Himmel, bis gerade eben noch Grund zur hellen Freude, ist nur noch wenig übriggeblieben. Der Wolkenanteil nimmt minütlich zu, am Guffert ein paar Kilometer weiter regnet es bereits. Und die begleitenden Winde rascheln ordentlich durch die Strippen unseres gar nicht mehr am Boden liegen bleiben wollenden Schirms und machen den Start am geplanten Platz unmöglich. Auch ein paar Meter weiter unten wird nichts daraus, einen geschmeidigen Abflug hinzulegen. Also weichen wir auf ein Plateau aus. „Es wird ein unkonventioneller Start“, warnt Mike mich vor.

In der Tat. Denn wir laufen gegen den Hang – aufgrund der veränderten Windverhältnisse. Doch selbst der Plan, nach links abzuheben, um dann in engem Bogen Richtung Tal und Achensee zu gleiten, wird spontan geändert. „Rechts, weiter nach rechts“, dirigiert Mike mich. Vorher hat er mich schon instruiert: „Wenn ich beim Start ,Lauf‘ sage, meine ich eigentlich ,Renn‘“ Von Laufen ist jedoch keine Rede mehr, mittlerweile brüllt er: „Renn! Nach rechts!“
Äh, wollten wir nicht nach links, denke ich, tu aber wie geheißen. Auch wenn da ein Schneefeld das Rennen erschwert, ein kleiner Felshaufen umkurvt werden will und die Kräfte des Windes in Gestalt des wild hüpfenden Schirmes für einen derart großen Widerstand sorgen, dass ich mir nicht vorstellen kann, noch länger als, sagen wir, 30 Sekunden diesen Kraftakt durchzuhalten.
Letzter Schritt in den Abgrund
Muss ich auch nicht. Denn jetzt kommt da eine Kante. Eine Kante?! „Renn weiter“, macht Mike jede Spontanbremsgedanken zunichte. Vertrauen ist jetzt alles. Also renne ich weiter und so wird dieser Abflug ein Absprung. Denn der letzte Schritt geht ins Leere, darunter gähnt ein etwa 100 Meter tiefer Abgrund. Und endlich fliegen wir. Selten bin ich so erleichtert gewesen. Und so glücklich.
Der Blick auf Karwendel, Rofangebirge und den in verschiedenen Grün- und Blautönen schimmernden Achensee ist einfach atemberaubend. Und die Spezialeinlagen des Akrobatikweltmeisters setzen dem Ganzen die Krone auf. Ein großartiger Vormittag – und alles andere als langweilig!