Fanatische Fans und Stalker treiben ihre Opfer in den Wahnsinn, und manchmal kann es sogar richtig gefährlich werden. Was steckt dahinter? Eine psychologische Spurensuche.
Wenn du am Spieltag beerdigt wirst, kann ich leider nicht kommen.“ So hat Autor Christoph Biermann sein Buch über Fußballfans betitelt. Das Zitat stammt von einem Fan, der diesen Satz zu seiner Mutter sagte. Was zunächst lustig klingt, kann problematische Züge annehmen. Dann nämlich, wenn aus dem normalen Fan ein Fanatiker wird. Solche extremen Fans sind eher die Ausnahme. Zehn Prozent der Teilnehmer einer Studie der Freien Universität Berlin zu „Fans und Fantum“ beantworten die Frage „Würdest du sagen, dass das Fanobjekt deinen Alltag bestimmt?“ mit ja.
In diesen Fällen ist die Liebe zum Fanobjekt so stark ausgeprägt, dass negative Konsequenzen drohen. Extreme Fans neigen dazu, ihren Freundeskreis zu kategorisieren und entsprechend auszusortieren: Wer nicht für das Fanobjekt ist, es gar infrage stellt oder kritisiert, gilt nicht länger als Freund. In manchen Fällen leben diese Menschen nur noch in einer „Fanblase“, haben kaum oder gar keine anderen Kontakte. Gerade bei Jugendlichen zeigt sich dieses Phänomen häufiger.
Der Fan wird zum Fanatiker
Die meisten Fans jedoch sind davon weit entfernt. Drei Kriterien müssen für den Begriff „Fan“ erfüllt werden, so Studienleiter Dr. Mike Schäfer. Eine soziale Beziehung zum Fanobjekt, ein überdurchschnittliches Maß an Leidenschaft und eine große Investition ins Fanobjekt. Fantum, aus dem in manchen Fällen auch Fanatismus werden kann, entsteht meist im Zuge der Pubertät. Während bislang die Eltern als Bezugspersonen galten, suchen sich die Jugendlichen nun neue Vorbilder. Das können Sportler, Musiker oder berühmte Stars sein. Ein solches Fanobjekt ist oftmals der Versuch, sich von den traditionellen Werten der Familie, der Gesellschaft oder auch der Religion abzugrenzen und an seiner eigenen Identität zu basteln. Vielfach würde das Interesse der jungen Menschen mit dem Ende der Pubertät wieder abflachen, so Schäfer.
Wenn nicht, können sie gefährlich werden. Manche extremen Fans mutieren zum Stalker. „Ein Fan ist jemand, der eine andere Person bewundert. Normalerweise findet er verschiedene Popgruppen, Schauspieler oder Sportvereine gut. Das heißt, es gibt keine Fixierung auf eine Person. Stalker, vor allem solche, die Prominente stalken, sind meist nur auf diese Person fixiert. Sie nehmen häufig eine Beziehung an, die nicht existent ist: bestimmte Lieder seien für sie geschrieben, ein Schicksal, das verbindet, ein Auftrag, den es zu erfüllen gilt“, sagt Kriminal-Psychologin Justine Glaz-Ocik vom Institut für Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt.
Das Schlagerduo Marianne und Michael etwa wurde zum Opfer eines solchen Fans. Ein Jahr lang erhielten sie Drohbriefe, ein Unbekannter brach in ihr Haus ein, wohnte gar eine Zeit lang darin und nahm persönliche Gegenstände mit. Acht von zehn Stars wurden laut einer Studie des Kriminalpsychologen Jens Hoffmann bereits belästigt. Aber wie wird der Fan zum Stalker? „Das kann sich über die Zeit entwickeln, muss aber nicht. Häufig liegt bei Prominenten-Stalking eine psychische Erkrankung oder eine Lebenskrise zugrunde. Bei der Entwicklung eines Wahns gibt es fließende Übergänge zwischen der Wahnwahrnehmung und der Realitätswahrnehmung. Die Wahnwahrnehmung beginnt dann zunehmend das Leben zu bestimmen“, so Glaz-Ocik. Meist handele es sich um psychotische Erkrankungen, Wahnerkrankungen wie ein paranoider Wahn, ein Liebeswahn oder auch andere Wahnwahrnehmungen, die eine unreale Beziehung zwischen Stalker und Prominenten als real erklären, erläutert die Kriminalpsychologin.
„Im Zuge des paranoiden Wahns haben Stalker mitunter das Gefühl, die Welt oder das eigene Leben gerate aus den Fugen und die prominente Person sei dafür verantwortlich.“
Stalker mit Wahnerkrankungen und psychotischen Erkrankungen, die durch Lebenskrisen und Drogen ausbrechen können oder genetisch bedingt sind, sehen die Psychologen häufig. Daneben gibt es aber noch andere Faktoren: „Was wir grundsätzlich sagen können: Die Personen führen einen eher isolierten Lebensstil, beschäftigen sich tagein, tagaus mit dem Prominenten, reisen ihm hinterher oder wissen, wo sich die betroffene Person aufhält. Bei Stalking geht es immer um Beziehung – um Aufrechterhaltung oder Stärkung einer Beziehung, unabhängig davon ob diese existiert oder nicht.“ Wie gefährlich ein Stalker sei, habe auch mit der Nähe zum Opfer zu tun. „Statistisch betrachtet sind die gefährlichsten Personen unsere Intimpartner und unsere Eltern. Es gibt aber auch Prominentenstalker, die gefährlich sind. An bekannte Personen kommt man nur nicht so leicht heran“, erläutert Glaz-Ocik.
Tatsächlich wird jeder achte Deutsche in seinem Leben Opfer von Stalking. Die durchschnittliche Dauer beträgt dabei zwei Jahre. Das ist das Ergebnis einer epidemiologischen Studie für Deutschland, die das Mannheimer Institut für Seelische Gesundheit veröffentlicht hat. Und Stalking hat viele Gesichter: Die Täter bombardieren ihre Opfer mit SMS, belästigen Familie und Freunde, lauern ihnen auf, im Extremfall verletzen oder töten sie diese gar. Fünf verschiedene Typen von Stalkern unterscheiden Wissenschaftler: Der Stalker, der zurückgewiesen wurde – etwa die Hälfte aller Täter sind Expartner der Opfer. Sie fühlen sich durch die Trennung abgewiesen, wollen sich rächen oder die alte Liebe zurückgewinnen. Der Stalker, der Liebe sucht – er kennt sein Opfer nicht, ist jedoch davon überzeugt, diese Person zu lieben und von ihr ebenfalls geliebt zu werden. Der Stalker, der Gefühle falsch versteht – manche Menschen deuten das Verhalten des Opfers falsch, fehlinterpretieren tatsächliche Zurückweisung und schätzen Gefühl und Situation falsch ein. Der Stalker, der Rache sucht – der Täter glaubt, dass ihm Unrecht geschehe und sucht die Schuld dafür bei seinem Opfer. Und der Stalker, der einen Übergriff plant – er ist in besonderem Maße gefährlich, denn er stellt seinem Opfer nach, weil er es missbrauchen will. Stalking dient ihm dazu, die Gewohnheiten des Opfers kennenzulernen: Wann hält sich die Person wo auf, welche Wege geht sie, ist sie dabei in Gesellschaft oder alleine.
Warum tun sich Menschen so etwas an? Dieser Frage ging eine Studie der Technischen Universität Darmstadt nach. Die Täter nannten als Motive etwa Fürsorge, eine schicksalhafte Verbindung zum Opfer sowie Rache und Macht. Eine „Stalking-Persönlichkeit“ gibt es laut dem Berliner Psychologen Wolf Oritz-Müller nicht. Er leitet „Stop Stalking“, eine Beratungsstelle für Täter in Berlin-Steglitz. Faktoren, die Stalking begünstigen können, sieht er dennoch: ein fragiles Selbstwertgefühl, ein instabiles soziales Umfeld, ein Job, der nicht erfüllend ist oder auch nie verwundene frühkindliche Trennungen. In der Beratungsstelle versucht er zusammen mit seinem Team, die Täter so zu stabilisieren, dass sie ihr Stalking aufgeben.
Stalking kann zwar grundsätzlich jeden treffen, dennoch geht aus verschiedenen Studien hervor, dass die Opfer in der Regel weiblich und die Täter männlich sind. Ein berühmter Fall ist der der amerikanischen Schauspielerin Rebecca Schaeffer. Seit dem Beginn ihrer Karriere wird sie von Robert John Bardo verfolgt, der vorgibt, ihr Fan zu sein. Regelmäßig schreibt er Briefe, auf einen antwortet Schaeffer ihm. Bardo genügt das nicht, er findet ihre Adresse heraus und fährt zu ihr. Als er die damals 21-jährige antrifft, schießt er ihr in die Brust. Der Schuss trifft Schaeffer mitten ins Herz, die junge Frau stirbt. Bardos Tat 1989 löste in den USA eine große Debatte über den Umgang mit Stalking aus. Die Polizei in Los Angeles, dem Wohnort von Schaeffer, richtete eine Anti-Stalking-Einheit ein. Es folgten schärfere Gesetze – zunächst für Kalifornien, dann für sämtliche Bundesstaaten.
In Deutschland wird Nachstellen bestraft
In Deutschland steht Nachstellung seit 2007 unter Strafe (§238 StGB). Wer einem anderen über einen längeren Zeitraum nachstellt, kontaktiert oder bedroht, kann zu einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren verurteilt werden. Voraussetzung dafür ist der Nachweis, dass der Täter das Leben des Opfers „schwerwiegend beeinträchtigt“. Das Strafmaß erhöht sich auf bis zu zehn Jahre, wenn der Täter das Opfer in die Gefahr des Todes bringt oder dessen Tod verursacht. Ein Gesetz, das so nicht richtig griff, musste das Opfer dem Druck des Täters doch nachgeben, sein Leben verändern und dies dann auch noch belegen. Von etwa 19.800 Stalkingverdächtigen im Jahr 2013 wurden nach Angaben des Bundesjustizministers Heiko Maas nur 236 verurteilt, im Jahr 2008 waren es 505 von 23.300. 2016 brachte er deshalb ein neues Gesetz auf den Weg, dass im März dieses Jahres in Kraft getreten ist. Für die Strafbarkeit von Stalking genügt es nun, wenn die Nachstellung objektiv geeignet ist, das Opfer zu beeinträchtigen. Drei Jahre Haft drohen demnach, wenn jemand einer anderen Person in dieser Weise unbefugt und beharrlich nachstellt.
Aber nicht nur die rechtliche Handhabe gegenüber Stalkern hat sich verbessert. Psychologen können anhand verhaltensorientierter Risikomerkmale schon vorab die Gefahr, die von einem Stalker ausgeht, einschätzen. Kriminal-Psychologin Justine Glaz-Ocik beschreibt das Vorgehen: „Drohungen, die aktuelle Lebenssituation, das Ausmaß der Verzweiflung – all das sind wichtige Merkmale. Aber auch konkrete Verhaltensweisen liefern Hinweise: der Stalker reist der betroffenen Person nach, er versucht in ihr Privathaus einzudringen, er versucht an Dritte heranzutreten, die der Person nahestehen, der Stalker hat auch negative Gefühle gegenüber diesen Personen. Wenn wir sehen, wie in Kommunikation und Verhalten des Stalkers das Gefühl von Bewunderung oder Liebe in Hass oder tiefe Verzweiflung kippt, dann müssen wir genauer hinschauen.“