Aljona Savchenko und Bruno Massot haben sich mit dem Olympiasieg in die Herzen der Sportfans getanzt. Nun locken lukrative Showläufe.
Nach der Rückkehr aus dem wohlverdienten Urlaub geht es für Aljona Savchenko und Bruno Massot sofort wieder um Gold. Nein, für das Eiskunstlauf-Paar steht nach der Traumsaison mit Olympiasieg und WM-Titel kein Wettkampf auf dem Plan. Sie werden sich am 17. April ins Goldene Buch der Stadt Oberstdorf eintragen. Danach heißt Bürgermeister Laurent Mies die prominenten Sportler bei einem offiziellen Empfang in Oberstdorf willkommen, wo sich Savchenko und Massot die vergangenen vier Jahre in die Form ihres Lebens gebracht hatten.
Und dann? Ja, das ist die große Frage, über die sich die Eiskunstläufer in den vergangenen Wochen die Köpfe zerbrochen haben. Jeder für sich, und dann gemeinsam. „Im Urlaub überdenken wir alles", sagte der Deutsch-Franzose Massot, „und dann besprechen wir es im Team." Im Zentrum der Überlegungen steht eine Grundsatzentscheidung: Geld oder (noch mehr) Gold? Schinden sich beide für weitere vier Jahre mit der Hoffnung auf einen zweiten Olympiasieg 2020 in Tokio? Oder nutzen sie ihre weltweite Popularität und wechseln ins einfachere und deutlich lukrativere Schaulaufen? Kurz vor ihrem Abschied in den Urlaub deutete die 34-jährige Savchenko an, in welche Richtung ihre Überlegungen gehen. „Die Sehnsucht nach Gold bei Olympia", sagte sie, „ist gestillt."
31 Jahre stand die gebürtige Ukrainerin auf Schlittschuhen, ehe bei ihren fünften Winterspielen in Pyeongchang ihr ganz großer sportlicher Traum in Erfüllung ging. Nach zweimal Bronze 2010 in Vancouver und vier Jahre später in Sotschi jeweils mit Robin Szolkowy stand sie nun endlich ganz oben auf dem Podest. Mit einer fantastischen Kür zu „La terre vue du ciel" (Die Erde vom Himmel aus gesehen) kämpfte sich das deutsche Duo vom vierten auf den goldenen ersten Platz vor – und mitten in die Herzen der Sportfans. Vor allem Savchenko. „Technisch perfekt war Aljona immer, es ging darum, sie tanzen zu lassen. Sie hat sich bei Olympia in die Herzen der Menschen getanzt", sagt Star-Choreograf Christopher Dean, der für das Paar bei einem Trainingslager im vergangenen Sommer in Florida die Kür konzipiert hatte. Der Brite, seit seinem Auftritt in Sarajevo mit Partnerin Jayne Torvill als Bolerotänzer selbst weltberühmt, gönnte Savchenko den Triumph von ganzem Herzen: „Sie hat für dieses Gold geschuftet wie vielleicht niemand vor ihr auf dem Eis."
„Sie hat geschuftet wie niemand vor ihr"
Auch die deutschen Fans hatte Savchenko berührt. Seit dem Abschied von Eis-Königin Katarina Witt hatte das Eiskunstlaufen nicht mehr so eine große öffentliche Aufmerksamkeit wie nach dem Triumph von Savchenko und Massot. Die zweifache Olympiasiegerin Witt nannte das erste deutsche Paarlauf-Gold seit 66 Jahren „eine große Sensation", denn nach dem verpatzten Kurzprogramm hatte eigentlich kaum noch einer damit gerechnet. Sie hätten „wie zwei Löwen gekämpft", sagte Savchenko hinterher. Die Sportfans lieben solche Comeback-Geschichten, die emotionale Musik und das dramaturgische Spiel im Paarlauf taten ihr Übriges: Dieses Gold war eines der Highlights der Olympischen Spiele und wird so schnell nicht vergessen. Savchenko und Massot wurden von Interview zu Interview gereicht, danach versilberten sie ihr Gold. Das Paar trat im Februar zehn Mal bei der Eisshow „Art in Ice" auf. Der Erfinder der renommierten Gala-Serie, der Schweizer Oliver Höner, ist inzwischen auch der Manager von Savchenko und Massot. Die Auftritte sorgten auch dafür, dass der Leistungsabfall nach Olympia nicht zu gravierend war. Und so setzten die Olympiasieger exakt fünf Wochen nach ihrem größten Triumph noch einen drauf: Bei der WM in Mailand triumphierten sie erneut nach einer „Jahrhundert-Kür", wie Udo Dönsdorf, der Sportdirektor der Deutschen Eislauf-Union (DEU), sie nannte. Mit der Weltrekordpunktzahl von 245,84 Zählern. Gleich 22 Mal zückten die Punktrichter die Höchstnote 10,0. Zum Niederknien. Und das tat Savchenko dann auch. In dem Moment, als ihr insgesamt sechstes WM-Gold feststand, küsste Savchenko das Eis. Dabei habe sie „Danke gesagt", wie sie hinterher verriet. Damals klang vieles, was die Athletin in der Mailänder Arena sagte, nach Abschied. Zum Beispiel: „Wir waren ganz weit unten, aber Familie, Freunde und Fans haben uns wieder Energie gegeben." Reicht die Energie noch für einen weiteren Olympiazyklus? Und die Motivation?
Paarlauf-Legende Hans-Jürgen Bäumler bezweifelt das. „Das war perfekt, mehr geht nicht. Sie können sich nicht noch mal steigern, ich weiß nicht, was die beiden wollen", sagte der 76-Jährige, der in den 60er-Jahren zusammen mit Marika Kilius das deutsche Eiskunstlauf-Traumpaar gebildet hatte. Auch Kilius rät den Champions zum Aufhören. „Wenn es am besten und am schönsten ist, sollte man aufhören", sagte sie der „Sport-Bild". Als Fan wäre sie dann zwar traurig, „aber die beiden können jetzt Showlauf-Tourneen machen und richtig Geld verdienen." Eine Tournee durch Südkorea haben Savchenko und Massot bereits fest gebucht. Die DEU hat Plan B zumindest in der Schublade. Sollte sich Savchenko irgendwann zum Rücktritt entschließen, will der Verband die erfahrene Eiskunstläuferin als Trainerin halten. „Man muss ihr einfach eine Chance geben", sagt Eistanz-Bundestrainer Martin Skotnicky. Der gebürtige Slowake hat in Oberstdorf punktuell mit ihr gearbeitet und schwärmt: „Ich war begeistert, wie viele gute Ideen Aljona hatte."
Vielleicht zieht sich die sechsmalige Weltmeisterin nach drei Jahrzehnten auf dem Eis aber bald komplett ins Privatleben zurück. Ehemann Liam Cross würde lieber heute als morgen die Familie erweitern. „Er sagt: Mach’ mir ein Kind, dann kannst du so lange Eislaufen, wie du willst", verriet Savchenko unlängst mit einem Lächeln im Gesicht.
„Man muss ihr einfach eine Chance geben"
So oder so: Die DEU muss versuchen, ein anderes deutsches Paar auf ein internationales Top-Niveau zu bringen. Die Hoffnungen ruhen dabei auf der Berlinerin Annika Hocke und dem Oberstdorfer Ruben Blommaert. Das Paar belegte beim WM-Debüt in Mailand einen respektablen 13. Platz. „Die sind doch super", findet auch Kilius, „die laufen erst ein Jahr zusammen und waren unglaublich." Jetzt müsse der Verband die Fördergelder, die durch das Olympiagold steigen dürften, verstärkt in das junge Duo stecken „und Aljona als Trainerin dazu verpflichten", forderte Kilius, „damit es nahtlos weitergeht."
So einfach, glaubt zumindest Katarina Witt, wird es aber nicht gehen. Der frühere Eiskunstlauf-Star sprach schon in Pyeongchang davon, das strahlende
Gold von Savchenko und Massot nicht auf den Gesamtzustand im deutschen Eiskunstlaufen gleichzusetzen. Es sei mehr oder weniger „ein Einbürgerungsgold" gewesen. „Ich möchte keine Spielverderberin sein", hatte Witt gesagt, „aber ich glaube, man darf die Augen nicht davor verschließen." Savchenko habe die ukrainische Eiskunstlaufschule durchlaufen und sei als fertige Sportlerin nach Deutschland gekommen. Und Massot hatte erst kurz vor Olympia den Einbürgerungstest bestanden und die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.
„Unsere Goldmedaille ist eine Weltmedaille", sagt Savchenko dazu. „Wir wissen doch alle nicht, woher wir kommen, welches Blut in uns fließt." Eines betont sie aber: Dass sie sehr glücklich sei, dass Deutschland ihr die Möglichkeit gegeben habe, „unseren Traum zu erfüllen". Der wahre Gradmesser sei aber die Nachwuchsarbeit, betont Witt. Und hier habe der Verband noch reichlich Nachholbedarf.
Savchenko könnte in Zukunft helfen. Dass man sich mit Fleiß, Hartnäckigkeit und Disziplin seinen großen Traum erfüllen kann – sie ist der beste Beweis. „Es gibt so viel, was ich den jungen Fans mit auf dem Weg geben möchte. Vielleicht schreibe ich mal ein Buch", sagt Savchenko.
In ihren Interviews nach dem Olympiasieg wirkte Savchenko längst nicht so verbissen und verschlossen
wie in den Jahren zuvor. Das lag nicht nur am Erfolg, sondern auch an Partner Bruno Massot. „Ich habe von ihm gelernt, wie man das, was man tut, mit Spaß machen sollte", sagt Savchenko. „Er hat diese Frische in unser Team gebracht, diesen französischen Humor."
„Er hat Frische ins Team gebracht"
Dabei war Massot nicht immer zum Lachen zumute, die ungeklärte Frage nach der Starterlaubnis wegen der schwierigen Einbürgerung strapazierten die Nerven. Außerdem wurde der Nachfolger von Robin Szolkowy, mit dem Savchenko immerhin fünf WM-Titel und zweimal Olympia-Bronze gewann, zunächst kritisch beäugt. Doch innerhalb kürzester Zeit trieb sich das ungleiche Paar zu Höchstleistungen an, und es harmonierte auf dem Eis prächtig.
Bruno Massot setzte für den gemeinsamen Erfolg sogar seine Gesundheit aufs Spiel. Auch, weil er in der Vergangenheit deutlich schwerere Partnerinnen heben musste als die zierliche Savchenko, plagt sich Massot mit enormen Rückenbeschwerden. „Bruno muss jeden Tag zwei Stunden zur Stabilisierung seines Rumpfes aufwenden", verrät Trainer Alexander König. „Da stellt sich die Frage: Willst Du einen Olympiasieger haben, der mit 40, 50 vielleicht im Rollstuhl sitzt?"
Fragen wie diese haben Massot und Savchenko im Urlaub beschäftigt.