Eine online gegebene Unterschrift für Fairtrade-Kaffee und eine weitere gegen Pestizide: Ist „Klick-Demokratie" ein Feigenblatt für Faule? Nein, dabei passiert mehr: Menschen gewinnen Bezug zu Themen. Und gerade in Berlin treten sie durchaus auch im „echten Leben" in Aktion.
„Parkraumwucher stoppen!" – „Endgültiges Pferdekutschenverbot für Berlin!" – „Vegan-Pflicht für Kantinen": Was für die einen bestenfalls exotisch klingt, ist für andere Herzensangelegenheit. Oder vielleicht auch nur halb: Irgendwie ist es schick, per Mausklick abstimmen zu können. Und so einfach! Ein ganzes Supermarktangebot an Möglichkeiten sich zu beteiligen tut sich online auf. Ob gegen Abschiebung oder gegen Tierversuche an Nachtigallen. Die Geschmäcker sind verschieden, und das bildet sich auf Plattformen wie Change.org, Openpetition oder Avaaz ab. Die Wirkung eines solch bunten Blumenstraußes an Mitwirkungsmöglichkeiten ist zwiespältig: Einerseits ist es leicht, sich zu engagieren; jeder findet eine Petition nach seinem Geschmack. Andererseits ist genau das das Problem. Wie viel gilt denn eine so rasch hingeklickte „Unterschrift" noch? Inwieweit beschäftigt sich der Mensch an der Computermaus überhaupt mit den Hintergründen eines Themas, bildet sich selbst eine Meinung, bevor er mitmacht? Und: Bewirken die Klicks wirklich etwas?
Ja, das tun sie. Auch öffentlich. Zumindest manche: Einige Pestizide, die Bienen gefährlich sind, sind inzwischen verboten, die Deutsche Bahn bietet Fairtrade-Kaffee an, und im Sexualrecht wurde das „Nein heißt Nein"-Prinzip verankert. Vielleicht wirken die Klicks, weil gerade auch Politiker wissen, wie schwierig Stimmenfang ist, nicht nur vor Wahlen: Die offiziellen Beteiligungsportale zu landes- oder bundespolitischen Themen laufen oft längst nicht so gut wie „von unten" eingerührte Petitionen. Vielleicht reagieren Politiker aber auch deswegen, weil sie sonst nicht allzu viel direkte Rückmeldung zu ihren Vorhaben erhalten. Selbst wenn es oft nicht allzu angenehm sein dürfte, einige zigtausend Unterschriften an den Kopf geworfen zu bekommen, virtuelle oder auf Papier.
Volksbewegung entsteht viral
Aber auch bei denen, die vielleicht recht fix „klick gemacht" haben, geschieht etwas. Wer erst einmal im wahrsten Sinne des Wortes einen Finger gerührt hat, ist irgendwie mit dabei. Taucht das Thema bei Gesprächen mit Freunden oder in den Medien noch einmal auf, hat es ein anderes Gewicht als ohne Klick.
Klar, es ist spannend, wie viele andere es gleichgetan und unterschrieben haben. Und auch mitzubekommen, ob man gemeinsam etwas bewirkt. Zack – schon ist es passiert: Auf einmal gehen einen die vorher im Hintergrundrauschen verschwimmenden Abendnachrichten etwas an.
Mögen manche die Nase rümpfen über das wilde Nebeneinander von weltbewegenden und nicht ganz so wichtigen Belangen, über die Unsachlichkeit einiger Anliegen, über die „allzu einfache" Möglichkeit mitzumischen. Und vielleicht auch über die Annahme, mit einem Klick unglaublich viel getan zu haben: Vergebens sind weder die Petitionen noch die Unterschriften darunter.
Vielleicht ist es tatsächlich so, dass sich – so schätzt es die Bundeszentrale für Politische Bildung ein – auf diese manchmal virale Art eine neue Volksbewegung etabliert. Eine für die Jungen, die viel im Internet unterwegs sind. Und sich abseits etablierter Parteien sehr wohl um gesellschaftliche Themen kümmern. Damit scheint gleich der zusätzliche Nutzen der kleinen und großen Online-Initiativen auf: Ja, da entsteht durchaus Druck auf Parteien. Weil klar wird, was den Menschen unter den Nägeln brennt.
Seltsamerweise hat dennoch eine mit dem Stift geleistete Unterschrift, an einem Infostand an der Straßenecke oder auf einer Liste bei irgendeiner Veranstaltung, für viele ein noch einmal anderes Gewicht. Das mag daher kommen, dass einem echte Menschen gegenüberstehen, die bei Wind und Wetter mit der Liste wedeln und gern Auskunft zum Anliegen geben. Oder daran liegen, dass der eigene Name, Adresse und Unterschrift ganz dokumentenecht darunter gesetzt sind. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Volksbegehren oder Volksentscheide –
die Wege also, auf denen man nach festgelegten Verfahren Einfluss nehmen kann –
immer noch die reale, analoge Unterschrift als Währung haben.
Aber jenseits dieser ganz dicken Brocken der offiziellen Volksgesetzgebung und Online-Petitionen: Vielleicht sind die Berliner einfach im Spannungsfeld von „großer Politik", einer explosiv wachsenden Stadt mit sämtlichen Problemen und einer hohen Verbundenheit mit dem eigenen Kiez auch im Kleinen besonders aktiv. In jedem Fall wimmelt es von vielfältigen lokalen und oft sehr engagierten Interessensgruppen.
Gemeinsam etwas vor der eigenen Haustür anzupacken, schafft jedenfalls ein Zusammengehörigkeitsgefühl und das wiederum Verantwortung für Andere. Plus weiteres Interesse an dem, was politisch um einen herum passiert. Ob also gesetzlich geregelt, per Klick oder in kleinerer oder größerer Gruppe im „echten Leben": Es ist viel in Bewegung. Weiter so!