„Bei Ja-Nein-Fragen sind Volksentscheide sinnvoll", sagt Thomas Heilmann, „aber nicht dort, wo es komplizierter wird." Der ehemalige Berliner Justizsenator sitzt für die CDU im Bundestag. Er engagiert sich für einen Volksentscheid für mehr Videokameras auf der Straße. Bedeutet das eine Verschiebung von Entscheidungen aus dem Parlament ans Volk?

Herr Heilmann, Sie sind seit 30 Jahren beruflich und politisch sehr erfolgreich, kennen Gott und die Welt, auch auf politischer Ebene. Dennoch haben Sie den Schritt in eine Bürgerinitiative gemacht und trommeln für einen Volksentscheid für mehr Videoaufklärung.
Das ist wohl ein wenig übertrieben. Entscheidend ist: Bei der Gründung des Bürgerbündnisses war ich gerade als Justizsenator ausgeschieden und hatte keinen Parlamentssitz. Damals haben sich meine Mitstreiter und ich sehr über den rot-rot-grünen Senat geärgert, weil der die Videoaufklärung auf der Straße komplett ablehnt. Abgesehen davon, dass wir die Videoaufklärung an Kriminalitätsschwerpunkten dringend brauchen, ignoriert der Senat den Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung, mehr Videotechnik einzusetzen. Dem wollten wir etwas dagegen setzen und gründeten das Bürgerbündnis. Ich mache das vor allem als Berliner Bürger. In der Landespolitik habe ich keine Funktion mehr und dass ich jetzt im Bundestag sitze, hat mit unserem Bürgerbündnis auch nichts zu tun.
Aber auch wenn Sie betonen, Ihr Engagement für Videoaufklärung würden Sie ausschließlich als Bürger unternehmen, bleiben Sie doch Politiker mit dem entsprechenden Einfluss.
Natürlich kenne ich viele Leute, auch beim rot-rot-grünen Senat. Daher weiß ich, dass unsere Forderung auch von vielen Mitgliedern der Berliner SPD unterstützt wird. Diese Gruppe ist über die Entscheidung des Senats gegen die Videoaufklärung nicht gerade glücklich. Zurück zu Ihrer Frage. Über die Jahre habe ich eine Menge an politischer Erfahrung gesammelt, was uns jetzt hilft. Jeder, der sich um ein Bürgerbegehren bemüht, ist zugleich auch ein politischer Mensch, das geht ja gar nicht anders. Übrigens sind alle erfolgreichen Volksbegehren immer auch von Parteien unterstützt worden. Die Politik ist bei so einem Bürgeranliegen auch immer irgendwie mit dabei.

Braucht man denn als Parlamentarier tatsächlich noch das Instrument Bürgerbegehren zusätzlich?
Es ist nicht immer alles so wunderbar umsetzbar, wie man sich das vorstellt. Ich war ja schon als Justizsenator für mehr intelligente Videotechnik im Straßenland, aber das hat die SPD am Schluss abgelehnt. Ich bin ein großer Anhänger der repräsentativen Demokratie. Dazu gehört aber auch, Mehrheiten über Parteigrenzen zu organisieren. Wenn dies nicht gelingt, ist das Volksbegehren das Mittel der Wahl.
Haben Ihre eigenen CDU-Parteifreunde Sie denn damals im Stich gelassen?
Nein! Wir waren und sind uns in der CDU einig und gehen in der Sache als Team voran.
Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz bat die Polizei Zeugen des Anschlags um Handyvideos. Bestätigt das Ihr Anliegen?
Der Anschlag hätte vermutlich auch mit Kameras auf dem Breitscheidplatz nicht verhindert werden können. Die Videoaufklärung ist aber ein äußerst wirksames Mittel, um Straftaten schnell aufzuklären. Wir alle kennen zahlreiche Beispiele wie den U-Bahn-Treter von der Hermannstraße in Neukölln. Ohne die Aufzeichnungen der Kameras hätte man den Täter niemals so schnell gefunden, und auch die Beweislage ist mit den Kameras ganz eindeutig. Straftaten werden durch Videoaufklärung aber nicht nur schneller und häufiger aufgeklärt, sondern auch verhindert. Das sieht man zum Beispiel an den Zahlen der BVG: Seit der Einführung von Videoaufklärung ist die Gewaltkriminalität stark und die Übergriffe auf das Personal sind sogar um die Hälfte zurückgegangen.
Mit der Teilnahme des ehemaligen Neuköllner Bezirksbürgermeisters Heinz Buschkowsky von der SPD ist es bei Ihrem Volksbegehren überraschend zu einer Großen Koalition gekommen. Ein Zufall?
Ich hatte das ja schon erwähnt, auch in der SPD sieht eine ganze Reihe von Leuten die Notwendigkeit von mehr Kameras im Straßenland. Mit Heinz Buschkowsky haben wir natürlich einen besonders prominenten Unterstützer gefunden. Wir haben auch aus der FDP Unterstützer, obwohl sich die Liberalen im Abgeordnetenhaus gegen mehr Videoaufklärung ausgesprochen haben. Im Bundestag dagegen ist die FDP-Fraktion für mehr Kameras an öffentlichen Plätzen.

Nun ist die Wirkung von Volksentscheiden auf die Regierenden ja recht unterschiedlich: Trotz des Siegs der Tegel-Freunde sagt Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, dass Tegel nicht offen bleiben wird.
Beim Tegel-Volksentscheid blieb dem Regierenden Bürgermeister eigentlich keine andere Wahl, da die FDP sich zwar für die Offenhaltung ausgesprochen hat, aber keine konkreten Vorschläge zur Umsetzung gebracht hat. Da fehlten beispielsweise Flächennutzungspläne oder auch rechtliche Fragen blieben ungeklärt. Das ist bei unserem Vorstoß anders – wir haben einen Gesetzentwurf geliefert, der bei einem Volksentscheid auch rechtlich bindend wäre.
Sie waren von 2012 bis 2016 Justizsenator in Berlin in der Großen Koalition – eine Zeit, in der unter Klaus Wowereit per Volksentscheid bestimmt wurde, das Tempelhofer Feld nicht zu bebauen. Eine herbe Schlappe für Michael Müller, der als Stadtentwicklungssenator für die Bebauungspläne verantwortlich war.
Michael Müller hat diese politische Niederlage nicht allein zu verantworten. Man hätte frühzeitiger auf die Initiatoren zugehen müssen, sie an der Planung beteiligen und einen Kompromiss ausarbeiten sollen. Stadtplanerisch ist die Nichtbebauung für mich eine Katastrophe.

Dennoch: Wäre es nicht generell gut, das Volk per Volksbegehren und Volksentscheid mehr in politische Entscheidungen einzubeziehen?
Bei einfachen, klaren Entscheidungen finde ich Volksentscheide sinnvoll. Zum Beispiel gibt es auf die Frage, ob Berlin sich für Olympia bewerben soll, nur zwei mögliche Antworten – ja oder nein. Bei komplizierteren Sachverhalten, wie zum Beispiel der Bebauung des Tempelhofer Feldes, verbaut der Volksentscheid den Weg zu einem sinnvollen Kompromiss. Volksentscheide, die komplexer sind, wo es neben schwarz und weiß noch eine Menge Grauzonen gibt, produzieren unterm Strich zu viele Verlierer. Das ist nie gut für eine Gesellschaft und geht zulasten kluger Entscheidungen und ist schade für die Stadt und ihre Menschen.
Was lehrt uns das?
Grundsätzlich sollte man zunächst nach klugen Lösungen suchen, ohne gleich frontal aufeinander loszugehen. Unterm Strich halte ich die repräsentative Demokratie für eine sehr kluge Sache, um ausgewogene Entscheidungen zu finden. Wie gesagt, nur in den wenigsten Fällen kann man anstehende Aufgaben mit einem klaren Ja oder Nein beantworten.

Trotzdem wächst die Zahl der Volksbegehren und Volksentscheide. Fühlen sich die Leute von den Parlamentariern übergangen? Haben wir eine Krise der Demokratie?
Nein, das denke ich nicht. Ich habe derzeit eher das Gefühl, unsere Gesellschaft ist in den vergangenen drei Jahren wieder politischer geworden. Es ist aber derzeit auch eine ganze Reihe von Themen an der Tagesordnung, die stark polarisieren und teilweise sehr komplex oder manchmal sogar widersprüchlich sind. Aber diese Debatten stärken die Demokratie eher, als dass sie ihr schaden.
Was macht mehr Spaß, die Arbeit im Parlament oder die in der Bürgerinitiative?
Als Bundestagsabgeordnete bearbeiten wir eine sehr breite Themenpalette. Dieser kann sich eine Bürgerinitiative gar nicht annehmen. Auf Dauer ist die Parlamentsarbeit schon spannender. Das Engagement im Bürgerbündnis ist aber eine willkommene Abwechslung und macht ebenso Spaß.