Es ging so gut los – doch zum eigentlichen Volksentscheid in Sachen Fahrradgesetz kam es erst gar nicht. Dennoch fühlen sich die Aktiven vom „Volksentscheid Fahrrad" ernst genommen. Sie haben es geschafft, ihre Anliegen ins neue „Allgemeine Mobilitätsgesetz" des Berliner Senats einzubringen – und sind so zum Vorbild geworden.
Für ihn ist es ein Anliegen seit frühester Jugend: Peter Feldkamp möchte sein Leben mit der Umwelt in Einklang bringen. Am einfachsten geht das bei der Fortbewegung – auf das Auto verzichten und Rad fahren. Gerade wenn man in Berlin lebt, in einer Stadt, in der man gut ohne Auto zurechtkommt, sollte das doch möglich sein. Das dachte Feldkamp, heute Projektmanager der „Umwelthilfe", zumindest. Er stieß mit seinem Fahrrad aber schnell an die Grenzen des Berliner Straßenverkehrs – was nicht nur an rücksichtlosen Autofahrern lag.
Zum Beispiel gibt es das Radwegeprogramm des Berliner Senats: Dem motorisierten Verkehr wird eine Fahrspur weggenommen. Die wird dann stattdessen mit einem weißen Strich auf der Straße zum Fahrradweg erklärt. Sehr schön, die Idee! Doch die Praxis steht dem entgegen – gern mal in Form von Lieferwagen, Taxen oder Kurzparkern, die den neuen Radweg als Standspur betrachten. Die Folge: Radfahrer müssen außen herum kurven, immer wieder in den Fließverkehr wechseln. Autofahrer sind entnervt, Radfahrer ebenso. Überdies sind sie erheblich durch die Wechselei gefährdet. Das müsste doch zu ändern sein!
Doch alle Petitionen ans Abgeordnetenhaus halfen nichts: Die Strich-Fahrradwege wurden munter weiter auf die Straße gemalt, ganz gleich, ob sie sinnvoll waren oder nicht. Ein weiterer Dorn in Feldkamps Auge: die Kreuzungen. Fahrradwege münden an ihnen völlig unkoordiniert in den motorisierten Verkehr. Immer noch. Allein im vergangenen Jahr sind an solchen Kreuzungen fünf Radfahrer ums Leben gekommen. Feldkamp ging das gegen den Strich, jahrelang. Und nicht nur ihm: Auch Heinrich Stößenreuther, ebenfalls Radfahrer aus Überzeugung, störte sich an der beinah eindimensionalen Verkehrspolitik des damals noch rot-schwarzen Senats. Der tue „alles für das Auto", so der Eindruck der beiden, und nur das, was übrig bleibt vom öffentlichen Straßenland, überließe er den Radfahrern.
Im Dezember 2015 war es so weit. Stößenreuther, Feldkamp und weitere Radfreunde fanden zusammen – und planten Verwegenes: Sie wollten einen „Volksentscheid Fahrrad", bei dem es um ein Fahrradgesetz für Berlin gehen sollte. Ein hehres Ziel! „Damals hat noch niemand so richtig daran geglaubt, dass wir das tatsächlich schaffen können", erzählt Peter Feldkamp. „Aber wir haben erst einmal angefangen." Und es lief gleich gut, der Zuspruch im Netz war kolossal. Obwohl erst einmal nur die Idee vorgestellt wurde, hatten alle Beteiligten schnell das Gefühl: „Wir haben einen echten Nerv der Menschen in der Stadt getroffen", erinnert sich der 36-Jährige. Vordergründig ging es um die Gleichstellung des Fahrrads im Straßenverkehr. Doch dahinter taten sich weitere Ebenen auf. „Für uns war damals schon klar, dass es ein Neudenken der Verkehrsströme, eine Verkehrswende von unten braucht", sagt Feldkamp.
Von Aktivisten zu politisch Handelnden
Berlin verkraftet einfach nicht noch mehr Autos – das wird jeder bestätigen, der in den innerstädtischen Wohnbereichen nach 17 Uhr einen Parkplatz sucht. „Es ist doch völlig irre, dass mindestens ein Drittel einer normalen Straße mit Blech zugestellt ist. Viele Autos werden kaum bewegt, das geht doch so nicht weiter", beklagt der Stadtaktivist. Und es geht weiter in die Tiefe – zu immer wieder derselben Kernfrage, die urbane Basisgruppen umtreibt, ganz gleich, ob es um Wohnen, Chillen oder Radfahren geht: „Wem gehört die Stadt?" Der geplante Volksentscheid wurde 2016 zu einem Selbstläufer: Für einen Antrag zum Volksbegehren, den ersten Schritt, braucht es 20.000 Stimmen. Innerhalb von drei Wochen kamen schon 105.425 Stimmen zusammen. Bundesweit Spitze!
Trotz des erfolgreichen Auftakts wurde aus dem eigentlichen Volksentscheid nichts mehr. Aber aus einem guten Grund: Rot-Rot-Grün versprach, die Idee des Fahrrad-Entscheids in ihr Regierungsprogramm mit einzubauen. Nun begann für die Volksentscheid-Leute die Arbeit erst richtig. Sie sollten am neuen Mobilitätsgesetz federführend mitarbeiten – aus den bürgerlichen Aktivisten wurden politisch Handelnde. Das war auch für Peter Feldkamp eine neue Erfahrung. Er sieht sich – ebenso wie seine Mitstreiter – nicht als Politiker, sondern eher als Lobbyist für das Fahrrad. „Es war natürlich toll, dass plötzlich Verkehrsstaatssekretär Jens-Holger Kirchner bei uns anrief und zum Gespräch und um unsere Einschätzung bat."
Die Kämpfer für die Gleichstellung des Fahrrads im Straßenverkehr fühlten sich ernst genommen. „Wir sind die Vertreter der Zivilgesellschaft, sind Bürger Berlins, auf deren Meinung man etwas gibt", erinnert sich Feldkamp. Doch trotz aller Wertschätzung ließen sich nicht alle zehn Punkte des Volksentscheids umsetzen. Was als „Fahrradgesetz" geplant war, ging im „Allgemeinen Mobilitätsgesetz" auf. Das soll nun im Juni für Berlin vom Abgeordnetenhaus verabschiedet werden.
Einiges fiel heraus aus dem neuen Gesetz: So wollten die Fahrrad-Aktivisten ein Verbandsklagerecht im Gesetz verankert sehen. Das war jedoch nicht durchsetzbar – die SPD-Fraktion war dagegen. Oder aus den ursprünglich 200.000 geforderten Abstellanlagen für Räder wurden nun erst einmal nur 100.000. Feldkamp ist sich aber sicher: „Sollten doch mehr benötigt werden, baut man weitere 50.000 nachträglich." Doch insgesamt sind die Radaktivisten mit dem auf dem Papier Erreichten zufrieden. „Jetzt müssen wir die Augen offenhalten, dass das Vereinbarte tatsächlich umgesetzt wird – und zwar so, wie wir es gefordert haben und es uns zugesichert wurde", gibt sich Feldkamp kämpferisch. Sein Fazit nach gut zwei Jahren Bürgerengagement: „Man kann tatsächlich etwas bewegen, wenn man sich selbst bewegt und die Initiative ergreift. Für mich war es das größte Aha-Erlebnis, zu merken: Wir sind die Stadt."
Berlin ist die erste deutsche Stadt mit so einem Fahrradgesetz. Das erste Ziel ist erreicht, nun geht es für Feldkamp weiter. Aus der Initiative für den Volksentscheid ist mittlerweile ein gemeinnütziger Verein geworden: „Changing Cities". In ihm wird die Debatte geführt, wie Städte in 20 Jahren aussehen sollen. In Sachen Mobilität steht „Changing Cities" für eine Verkehrswende, zumindest in den Städten – weg vom Auto, hin zu wirklich alternativer Mobilität.
Jedoch ist insbesondere das Thema E-Mobilität für Feldkamp eine „Gespensterdebatte". Die Probleme in den Innenstädten würden mit E-Autos nicht gelöst: „Es ist mir egal, ob die Straßen mit Verbrennungsmotorblech oder E-Antriebsblech zugemüllt werden. Ich will den Stadtraum zurückgewinnen, für uns alle, und zwar ohne Autos." Er macht eine bedrohlich wirkende Rechnung auf: Steigen die Kfz-Zulassungszahlen so weiter wie in den vergangenen zehn Jahren, wäre nach einer weiteren Dekade die Fläche des Tempelhofer Feldes notwendig, um die neu zugelassenen Wagen überhaupt noch in der Stadt parken zu können.
Berlin wird beim Kampf um den Stadtraum für alle und gegen die Blechlawine deutschlandweit die Vorreiterrolle einnehmen. Das zeigt die Resonanz auf den „Volksentscheid Fahrrad": Bamberg, München, Stuttgart, Frankfurt am Main und Darmstadt folgen dem Berliner Vorbild. Diese Städte werden in den kommenden Monaten ähnliche Entscheide für „mehr Rad" durchführen. Peter Feldkamp freut das. „Changing Cities" wird sie dabei unterstützen.