Dort, wo einmal Autos entlangrasen sollten, lädt heute der Gleisdreieckpark zum Sonnen und Spielen ein. Dank Aktiven wie Norbert Rheinlaender: Der Architekt aus Schöneberg engagiert sich fürs Grün und für die Stadtteilarbeit. Und das seit den 70er-Jahren.
Herr Rheinlaender, Sie werden gern mal als „Urgestein der Bürgerbeteiligung" bezeichnet. Wie kamen Sie denn dazu, sich zu engagieren?
Ich kam 1968 von Hannover nach Berlin, um Architektur zu studieren. Politische Erfahrungen hatte ich bis dahin keine. Von der Studentenbewegung habe ich eigentlich nur das Ende mitbekommen, habe natürlich die politischen Flugblätter in der Mensa wahrgenommen und mir einige Demos angesehen. Mit meiner Freundesclique genoss ich das Studentenleben, wir haben aber auch nächtelang diskutiert und dabei eigentlich alles auf den Kopf gestellt. Mich faszinierten alternative Formen des Zusammenlebens, wie sie in Großfamilien sowie Haus- und Wohngemeinschaften, aber auch in der Kommune 1 und Kommune 2 gelebt wurden. Politische Veranstaltungen habe ich damals nur ab und zu besucht.
Aber irgendwie müssen Sie ja zur Politik gekommen sein.
Rund anderthalb Jahre vor Beendigung meines Studiums wohnte ich in meiner ersten Wohngemeinschaft in Schöneberg. In meiner Diplomarbeit habe ich mich mit dem Neubau eines Gebäudes in der Belziger Straße für ein Jungarbeiter- und Schülerzentrum beschäftigt. Dann starteten Senat und CDU eine Diskussion, die Kolonnenstraße zu begradigen und die Kreuzung neu zu gestalten: Die Kolonnenstraße sollte mit der Gleditschstraße verbunden werden, die Jugendeinrichtung wäre damit unmöglich geworden. Die CDU-Veranstaltung zur Über- oder Unterquerung der Hauptstraße mit den dafür notwendigen Häuserabrissen hat mich wacher gemacht, ich dachte, dass man gegen diesen Blödsinn etwas tun müsse. Also suchte ich im linken politischen Spektrum meine Richtung. Aufgrund meines Studiums war klar, dass mein Engagement irgendetwas mit Stadtplanung zu tun haben sollte. Bei einer Veranstaltung der Jusos zur „Kommunalen Wohnungsvermittlung" gefielen mir deren Argumente. Von da an bin ich öfter zu deren Treffen gegangen.
Ihr erstes großes Projekt war die Verhinderung der Westtangente.
Ja, über einen Mitarbeiter der Berliner Senatsverwaltung hatten wir von den Plänen für eine Verlängerung der Autobahn erfahren, die seit 1968 von der Steglitzer Birkbuschstraße bis zum Sachsendamm in Schöneberg führte. Der neue Abschnitt der Autobahn sollte direkt hinter der Häuserzeile Cheruskerstraße durch die Grünanlage führen. Wir fanden das unmöglich, haben Flugblätter gedruckt und die Anwohner zu öffentlichen Veranstaltungen eingeladen. Auf der dritten Versammlung im März 1974 haben wir dann die „Bürgerinitiative Westtangente" gegründet. So bin ich in das Thema Verkehr eingestiegen.
Vom „Verkehr" zum „Grün"?
Schon damals ist im Zusammenhang mit den Protesten zur Verhinderung der Westtangente der Gedanke zum erst viel später verwirklichten Gleisdreieckpark aufgekommen. Ebenfalls im Jahr 1974 hat nämlich die Senatsverwaltung im Peter-Joseph-Lenné-Wettbewerb eine Idee gesucht, das Schöneberger Autobahnkreuz stadtverträglich zu machen. Als Architekt meinte ich, dass wir da mitreden mussten. Wir haben uns mit einem eigenen Entwurf eines Freizeitparks über dem Autobahnkreuz mit Verlängerung in den von uns sogenannten Cheruskergrünzug neben dem Gasbehälter entlang der S-Bahnlinie 1 beteiligt. Tatsächlich gewannen wir im Januar 1975 den ersten Preis im Wettbewerb und erhielten damit für unsere Idee 6.000 DM. Mit diesem Startkapital haben wir als Bürgerinitiative Westtangente mit 40 Mitgliedern dann über anderthalb Jahre das Buch „Stadtautobahnen. Ein Schwarzbuch zur Verkehrsplanung" geschrieben. Das war der Beginn unserer grünen Tangente: Wir meinten, dass das, was Schöneberg wirklich braucht, Grünflächen sind – Schöneberg war nach Kreuzberg der mit Grün am schlechtesten versorgte Bezirk.
Wie lange ging denn das Gerangel um die Westtangente?
25 Jahre lang haben wir uns mit der blöden Autobahn beschäftigt, bis sie endlich aus den Plänen verschwunden war. Im Januar 1989, also noch vor der Maueröffnung, kam für die meisten unerwartet eine rot-grüne Regierung an die Macht. Michaele Schreyer von den Grünen wurde Stadtentwicklungssenatorin. Sie hat sich sofort daran gemacht, die Planungen für die Westtangente zu stoppen. Anfang der 90er-Jahre war die Autobahnverlängerung dann endgültig vom Tisch. Das hatten wir also erreicht.
Ein Glück, aus heutiger Sicht. Die Beton-Planung war also vom Tisch.
Die Idee, anstelle der Autobahn einen Grünzug zu entwickeln, hatten wir ja schon lange zuvor gehabt. Der Park sollte auf ungenutztem Eisenbahngelände entstehen, das zum Vermögen der ehemaligen Reichsbahn gehörte. Die hatte sich nicht sonderlich um das Areal gekümmert. Wir haben auch das Potenzial des aufgelassenen Südgeländes entdeckt, das sich mit einer vielfältigen Vegetation von selbst begrünt hatte. 20 Jahre lang haben wir illegal an Sonntagen zusammen mit der Bürgerinitiative Südgelände Spaziergänge über das Eisenbahngelände angeboten und durchgeführt; sie führten von der Möckernstraße am Anhalter Güterbahnhof bis zum Prellerweg. Je nach Regierungsbildungen in den unterschiedlichen Farbkombinationen mussten wir diese Forderung immer wieder mit Aktionen wachhalten.
Also ein paar Kilometer Grünzug, aber damals noch alles wilde Brache.
Nach der Maueröffnung war es beschlossene Sache, dass der Potsdamer Platz bebaut werden sollte. Pläne dafür gab es schon länger. Als mit den Bauarbeiten für den Tunnel begonnen wurde, haben wir gesagt: Wenn die Baulogistik für den Tunnel abgebaut ist, wollen wir endlich unseren Park haben. Dafür entstanden mehrere Entwürfe. Wir haben uns für die Begrünung starkgemacht, tatsächlich ist am Ende ja auch ein Grünverbund entstanden.
Wie lief das denn ganz praktisch?
Die Bürgerinitiative Westtangente hatte auch eine Untergruppe AG Gleisdreieck, die sich mit weiteren Bürgerinitiativen und Verbänden zur Aktionsgemeinschaft Gleisdreieckpark zusammenschloss. Darin entwickelten wir die Vorstellungen für das Gelände. Sie unterschieden sich sehr von denen der Vivico, einer Immobilientochter der Deutschen Bahn, in die die Grundstücke eingebracht worden waren. Aber in deren Plänen ging es eigentlich nur um Bebauung, ein Park kam im Grunde genommen nicht vor. Das lehnten wir rundheraus ab. Ein etwas moderaterer Entwurf vom Senat war für uns auch nicht akzeptabel, weil er einen 60 Hektar großen Park versprochen hatte. Im Endergebnis der Beratungen zwischen Vivico und Senat – wir saßen nicht mit am Verhandlungstisch – hieß die Lösung offenbar 50:50, jedenfalls wurde das am Ende so umgesetzt. Die Ränder hat sich die Vivico als profitable Flächen für den Wohnungsbau rausgeschnitten. Geld für den Ankauf des Geländes für den Park auf den beiden ehemaligen Güterbahnhöfen und für die Gestaltung stand aus den Ausgleichsmitteln der Investoren rund um den Potsdamer und Leipziger Platz zur Verfügung.
Und dann konnte es endlich losgehen?
Ja, es wurde ein Wettbewerb ausgelobt. Als Bürgerinitiative hatten wir zuvor mit dem bezirklichen Grünflächenamt Kontakt geknüpft und Essentials festgelegt. Wichtig war uns, dass das kulturelle Erbe der Industriegeschichte – Schienen, Signale, Schwellen etc. – und die gewachsene Begrünung erhalten bleibt. Die vorhandenen Bäume und Biotope wollten wir sichern. Den Wettbewerb hat 2006 das Atelier Loidl gewonnen. Bis zum Baubeginn wurden die Planungen differenziert und mehrmals auch korrigiert und modifiziert. Das Atelier Loidl wollte eigentlich die gesamte bestehende Vegetation abräumen, obwohl in den Wettbewerbsbedingungen drinstand, dass eine Zusammenarbeit mit der Bürgerinitiative erfolgen und dass der Bestand möglichst erhalten werden sollte.
Worüber haben Sie denn gestritten?
Den ursprünglichen Entwurf fand ich sehr schlecht. Er sah beispielsweise überall rechtwinklig versetzte Wege vor, die für Radfahrer kaum befahrbar waren und eine Unfallgefahr darstellten. Oder es sollten rote Platten als Umrandungskanten der Rasenflächen eingesetzt werden. Überall sonst in der Stadt markieren solche Platten einen Radweg. So etwas schafft Verwirrung, so etwas ärgert mich. Wir haben uns mit dem Büro ziemlich angelegt. Die Senatsverwaltung hat das Atelier Loidl anfangs verteidigt, später gab es zwischen der Senatsverwaltung und dem Atelier Loidl erhebliche Differenzen, bei denen sich letztlich die Senatsverwaltung durchgesetzt hat. Sie hat weitgehend unsere Perspektive übernommen.
Ost- und Westteil des Gleisdreieckparks sind 2011 und 2013 eröffnet worden, auch den kleinen Flaschenhalspark gleich im Anschluss kann man inzwischen nutzen – wie finden Sie die Ergebnisse?
Tatsächlich wurde in dem Wäldchen nördlich der Yorkstraße und im Flaschenhals kein Baum gefällt, das ist alles Spontangrün. Wir konnten entgegen der Vorstellungen von Atelier Loidl 17 Bauminseln erhalten sowie einen Naturerfahrungsraum und einen interkulturellen Gemeinschaftsgarten durchsetzen. Insgesamt sind wir in den wichtigsten Punkten zufrieden: Erhalt der vorhandenen Natur und der Relikte aus der Industriegeschichte, Beteiligung der Bürger, freier Blick über das Gelände. Auch, dass dort Events wie das Parkfest von Radio eins stattfinden, ist in Ordnung. Die Veranstaltungen werden mit uns abgesprochen und sind sehr dezent. Im Rahmen eines Nutzerbeirats aus gewählten Anwohnervertretern, Senatsverwaltung und Bezirk arbeiten wir in der Parkverwaltung und -gestaltung immer noch mit.
Ingeborg Junge-Reyer, Stadtentwicklungssenatorin von 2004 bis 2011, hat die Bürgerbeteiligung im Vorfeld des Gleisdreieck-Parkbaus als umfassend und vorbildlich bezeichnet. Stimmen Sie ihr zu?
Die Senatsverwaltung hat damals Bürgerbeteiligung zum ersten Mal umfassend ausprobiert. Sie hat sich tatsächlich viel Mühe gegeben und alles Mögliche ausprobiert. So gab es eine sogenannte Peergroup-Befragung, bei der beispielsweise türkischen Frauen, Naturschützern und direkten Anwohnern ein Fragebogen mit Fotobeispielen und einfachen Sätzen vorgelegt wurde. Die Leute sollten ankreuzen, welchen Typ von Park sie sich wünschen: einen Park mit viel Natur, einen Sportpark, einen Landschaftspark, einen Eventpark oder einen Mix aus all dem. Das war neu, weil Leute zu Wort kamen, die zuvor nicht gehört wurden. Außerdem wurde eine Online-Befragung durchgeführt und für eine Haushaltsbefragung Bögen in die Briefkästen gesteckt und ein recht guter Rücklauf erzielt. 85 Prozent der Leute haben sich darin für wilde Natur und die Einbindung von Relikten aus der Eisenbahn- und Industriegeschichte ausgesprochen. Aus meiner Sicht am effektivsten war die direkte Beteiligung in einem Gremium für die Planung: Darin vertreten waren wir, die Senatsverwaltung, die Grün Berlin, das Atelier Loidl und das Bezirksamt.
Musste man früher kämpferischer sein, um Gehör zu finden? Schließlich propagiert die heutige Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher die Bürgerbeteiligung sehr und entwickelt Leitlinien dafür?
Ja, ich finde, das ist eine gute Entwicklung – aber ohne die früheren Bewegungen wären wir nicht so weit gekommen. Wir haben an einer Zeitenwende mitgewirkt, auch daran, dass es inzwischen ein starkes Bewusstsein für Grün gibt. Wir haben immer als Alternative zur ungeliebten Autobahnplanung die Grünplanung in den Vordergrund gerückt.
Also ist es heute leichter, die eigenen Interessen einzubringen?
Man muss die Kommunikationsmittel der damaligen Zeit mit den heutigen vergleichen. Wie mühsam und kostenintensiv war Öffentlichkeitsarbeit früher, als wir Flugblätter herstellten und unter die Leute brachten. Wir haben Presseerklärungen vervielfältigt und mit dem Fahrrad zu den Redaktionen gefahren, damit diese sie noch am selben Tag verarbeiten konnten. Wir haben uns viele Aktionen mit Öffentlichkeitsarbeit einfallen lassen, um unseren Forderungen für eine stadtverträgliche Verkehrs-, Grün- und Stadtplanung Nachdruck zu verleihen. Wir haben beispielsweise aus einem von der Bürgerinitiative Westtangente durchgeführten Wettbewerb „Grüntangente statt Westtangente" eine Veranstaltung im Quartier Latin durchgeführt und schließlich eine Schallplatte produziert; wir haben zum Beispiel die roten Fahrrad-Plastikkellen zum Abstandhalten aus Finnland eingeführt, haben Aufkleber „Parke nicht auf unseren Wegen" gedruckt und über zwei Millionen davon vertrieben. Die wichtige Kommunikationsfrage lautete: Wie erreicht man Leute, wie hält man Kontakte? Heute mit den digitalen Techniken ist es viel einfacher, Unterschriften zu sammeln. Man geht auf Change.org, startet eine Initiative und gewinnt im Nu Tausende von Unterschriften. Früher haben wir die am Infostand sammeln müssen. Unsere Kommunikation hat sich radikal verändert.
Wenn die Leute heute einfach nur klicken müssen, um sich für oder gegen eine Sache zu positionieren, wird Beteiligung dadurch nicht oberflächlicher?
Es findet schon eine gewisse Überflutung statt, manchmal klickt man halt und macht dann weiter im Tagesgeschäft. Das geht mir auch so, niemand kann auf jede Demo gehen. Dennoch ist es eine gute Möglichkeit, seine Meinung zu bestimmten Themen kundzutun. Aber jeder muss sehen, worauf er sich konzentriert, wo er einen Beitrag leisten kann. Für mich ist es konkrete Stadtteilarbeit. Heute beschäftige ich mich vor allem mit Verkehrsberuhigung, der Begegnungszone Bergmannstraße, dem Görlitzer Park und dem Tempelhofer Feld, wo ich auch als Feldkoordinator gewählt wurde.