Innerhalb gut einer Woche ließen die USA gleich vier Flugobjekte abschießen. Wobei nur ein am 4. Februar zerstörter Riesen-Ballon zweifelsfrei mit China in Verbindung gebracht und Spionage-Absichten unterstellt werden konnten.
In keinem Land der Welt ist die Faszination für das Außerirdische so ausgeprägt wie in den USA. Daher sorgte das Auftauchen von gleich vier unbekannten Flugobjekten, drei über dem US-Territorium, eines über dem kanadischen Luftraum, Anfang bis Mitte Februar 2023 für reichlich Aufregung und neuerliche UFO-Spekulationen. Selbst hochrangige US-Regierungsstellen nehmen das Thema sehr ernst, was nicht zuletzt die 2020 erfolgte Gründung einer Taskforce im Pentagon bestätigen konnte, die sich seitdem mit „unidentified aerial phenomena“ beschäftigt. Spätestens seit 9/11 wurde in den USA die Sicherheitslogistik weiter ausgebaut, was auch die gezielte Verstärkung der Luftüberwachung beinhaltet hatte. Von daher war es wenig verwunderlich, dass das Pentagon schon am 28. Januar 2023 über Alaska einen mit Helium gefüllten und mit 60 Metern Höhe und einem Durchmesser von 25 bis 30 Metern ungewöhnlich großen Ballon gesichtet hatte, der zudem in einer für diese Art von Flugobjekt untypischen, vergleichsweise tiefen Himmelsregion von 18 bis 20 Kilometern unterwegs gewesen war.
Unytpische Flughöhe für einen Ballon
Normale Wetter-Forschungs-Ballons pflegen, wie die Schweizerische Fernsehanstalt SRF kommentierte, innerhalb von drei bis vier Stunden durch die Schichten der Erdatmosphäre bis etwa 35 Kilometer aufzusteigen und dann zu platzen, wobei ihre Messgeräte anschließend mithilfe eines kleinen Fallschirms wieder zur Erde zurückkehren. Bei dem über Alaska entdeckten Ballon war alles anders. Denn er sollte eine Woche lang von seinem von US-Experten ermittelten Startpunkt auf der Insel Hainan im Südchinesischen Meer mittels pazifischer Winde nach Überfliegen von Alaska und Kanada große Teile der USA von Nordwesten nach Südosten überqueren. Und zwar in gleichbleibender Höhe von etwa 18 Kilometern, und damit oberhalb der für den Flugzeugverkehr maximal üblichen und von den amerikanischen Überwachungssystemen daher ganz gezielt in den Fokus genommenen Zwölf-Kilometer-Marke, aber auch weit unterhalb der 30-Kilometer-Grenze, ab der ein solcher Ballon wegen seiner geringen technischen Anteile und einem möglichen Tarnanstrich von einem Radar nicht mehr erfasst werden kann.
Da für die USA außer Frage stand, dass es sich bei dem Flugobjekt um einen chinesischen Spionage-Ballon handeln musste, der am 31. Januar 2023 über Idaho gesichtet wurde und von dem am 1. Februar 2023 auch erste Bilder und Videos in den sozialen Medien auftauchten, erteilte Präsident Joe Biden noch am gleichen Tag die Anweisung, das Flugobjekt, das in Montana auch eine hochsensible, mit atomaren Interkontinental-Raketen bestückte US-Luftwaffenbasis passierte, „so schnell wie möglich“ zu eliminieren. Um das Risiko der Verletzung von US-Staatsbürgern durch etwaige Splitterteile zu vermeiden, sollte der Ballon nach Überfliegen des östlichen Bundesstaates North Carolina erst bei Erreichen des Meeres abgeschossen werden. Am 4. Februar 2023 wurde er daher um 21.39 Uhr mitteleuropäischer Zeit vor der Atlantikküste South Carolinas durch eine Rakete zerstört, wobei sich die Trümmerteile in seichtem, gerade mal 15 Meter tiefen Meerwasser über eine Fläche von 1.500 mal 1.500 Metern verteilten.
Wie nicht anders zu erwarten war, führte der Vorfall zu einem angespannten Verhältnis zwischen den USA und China. Die US-Seite beharrte auf dem Vorwurf der Spionage. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, der von einer „inakzeptablen Verletzung“ der Souveränität der USA sprach, bezichtigte die Asiaten, strategische Standorte des US-Festlandes ausgekundschaftet zu haben. Deshalb unternahm man rechtzeitig entsprechende Schritte, um die Sammlung sensibler Informationen durch den Ballon unmöglich zu machen. Damit nicht genug warf Washington Peking wenig später vor, dass der zerstörte Ballon Teil einer ganzen Flotte von Spionageballons gewesen sei, mit deren Hilfe China mehr als 40 Länder auf fünf Kontinenten ausgespäht habe. Eine Argumentation, die durch die Sichtung eines weiteren Ballons über Kolumbien am 3. Februar 2023 gestützt wurde. Peking musste bei einer Entschuldigung gegenüber Costa Rica, wohin der Ballon weitergeflogen war, einräumen, dass auch dieses Flugobjekt chinesischer Herkunft gewesen war. Es sei versehentlich von der beabsichtigen Flugroute abgewichen, habe aber ohnehin nur rein wissenschaftlichen Forschungszwecken, vor allem der Wetterbeobachtung, gedient.
Entschuldigung an Costa Rica
Auch im heftigen diplomatischen Disput mit den USA wich China nicht von der Behauptung ab, dass es seinen Ballon einzig als Wetter-Forschungsmittel eingesetzt habe. Er sei durch „höhere Gewalt“ vom Kurs abgekommen und habe sich nicht korrigierend navigieren lassen. Der Abschuss wurde als „offensichtliche Überreaktion“ der USA kritisiert, China werde sich das Recht auf „notwendige Reaktionen“ vorbehalten. Zudem machte Peking den USA den Vorwurf, dass innerhalb des vergangenen Jahres „US-Höhenballons mehr als zehnmal widerrechtlich über chinesischen Luftraum geflogen“ seien, was von Washington vehement bestritten wurde.
Ob etwaige Spionage-Ballons im heutigen Zeitalter der Satelliten-Aufklärung überhaupt noch Sinn machen, ist unter Experten umstritten. Allerdings sind sie in jedem Fall kostengünstiger sowie schwerer zu enttarnen als Satelliten. Außerdem können sie dank verbesserter Navigationsmöglichkeiten (sie sind nicht mehr allein vom Wind abhängig) über einem Zielgebiet im Unterschied zu den auf Umlaufbahnen kreisenden Satelliten auch etwas länger positioniert werden. Zudem können Spionage-Ballons auch den Funkverkehr oder elektronische Signale aushorchen. Experten halten es nicht gänzlich für unmöglich, dass China eine neue, modernisierte Version der Spionage-Ballons entwickelt haben könnte. Was allerdings dann auch für die USA nicht ausgeschlossen werden kann.
Nachdem sich die schnelle Bergung der Trümmerteile des abgeschossenen Ballons als unmöglich erwiesen hatte, waren die USA und China um eine Beilegung des Streits bemüht. Der Vorfall wurde gewissermaßen ad acta gelegt. Im April 2023 tauchten in US-Medien Spekulationen darüber auf, dass China mit seinem Ballon womöglich doch sensible Informationen über militärische US-Stützpunkte habe sammeln können. Doch diese wurden von offizieller Seite nicht mehr kommentiert. Die drei weiteren Flugobjekte, die an drei aufeinanderfolgenden Tagen zwischen dem 10. und 12. Februar 2023 abgeschossen wurden, hatten mit China nichts zu tun. Laut dem amerikanischen Präsident Joe Biden seien alle drei Flugobjekte zu Forschungszwecken genutzt oder von Privatunternehmen gestartet worden. Am 10. Februar 2023 traf es ein Flugobjekt über den Gewässern Alaskas, am 11. Februar 2023 schossen kanadische und amerikanische Kampfflugzeuge ein Flugobjekt über dem kanadischen Yukon ab, am 12. Februar 2023 nahmen US-Piloten ein Ziel über dem Huronsee im Grenzgebiet zu Kanada erfolgreich ins Visier.