Christine Lambrecht musste als zweite Bundesministerin die Ampelregierung nach einem Amtsjahr verlassen. Die Verteidigungsministerin agierte mehr als unglücklich – und schmiss am Ende hin.
Schon der Vorschlag des angehenden Bundeskanzlers Olaf Scholz am 6. Dezember 2021 in der SPD-Zentrale in Berlin, ausgerechnet Christine Lambrecht zur Verteidigungsministerin ernennen zu wollen, kam für Parteifreunde, aber auch für politische Beobachter mehr als überraschend. Die damals 56-Jährige hatte bereits im Frühjahr 2021 angekündigt, bei der anstehenden Bundestagswahl im September nicht mehr antreten zu wollen. Die Juristin begründete diesen Schritt damit, dass „sie sich freue, zukünftig ihren Traumberuf wieder ausüben zu können“. Damit meinte sie keineswegs Verteidigungsministerin – sondern Lambrecht wollte wieder in ihrer Anwaltskanzlei arbeiten. Doch am 8. Dezember war das mit dem Traumberuf erstmal ausgeträumt und sie legte den Eid als Bundesverteidigungsministerin ab.
Verteidigung war nie das Wunschministerium
Diese berufliche Kehrtwende hatte sie keineswegs freiwillig vollzogen. Vielmehr soll Olaf Scholz die Verwaltungsexpertin regelrecht bekniet haben, das hochkomplexe und mit vielen Fallstricken ausstaffierte Verteidigungsressort zu übernehmen. Der Hintergrund für diese Entscheidung von Scholz dürfte wohl dem Umstand geschuldet sein, dass Scholz die interne Partei-Symmetrie auspendeln musste. Er brauchte bei den SPD-Ministern erstens eine weitere Frau. Und zweitens musste die dann auch noch der parlamentarischen Linken zugeordnet werden können. Und Lambrecht empfahl sich noch aus einem weiteren Grund: Sie hatte bereits in der letzten Merkel-Regierung zwei Jahre das Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz geführt. Dazu kam dann im Mai 2021, also vier Monate vor der Bundestagswahl, das Ressort für Familie, Senioren und Frauen. Lambrecht war plötzlich Doppelministerin. Ihre Vorgängerin, Franziska Giffey, musste ihr Amt aufgeben, nachdem sie durch ihre Doktorarbeit ins Straucheln geraten war. In der Ampelregierung war Lambrecht nun plötzlich auch wieder als Ministerin dabei, wohlgemerkt nicht ganz freiwillig und obendrein in einem Ressort, das selbst anderen gewieften Verwaltungsexperten wie zum Beispiel Thomas de Maizière (CDU) reichlich zu schaffen gemacht hatte.
Erschwerend für Lambrecht: der Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022, das vorläufige Ende der Friedenszeit in Europa. Plötzlich ging es um Waffenlieferungen an die Ukraine und obendrein um die Wehrertüchtigung der darniederliegenden Bundeswehr. Für eine SPD-Linke schon an sich eine politische Zumutung, und wenn man dann ausgerechnet das Verteidigungsministerium leiten muss ... Christine Lambrecht fühlte sich in ihrer Haut sichtlich unwohl und agierte denn auch mehr als bloß tapsig. Bereits Anfang Februar 2022 hatte die Ukraine, in Anbetracht des russischen Aufmarsches, Deutschland um 100.000 Helme und Schutzwesten gebeten. Die Ministerin reagierte direkt, sagte Kiew volle Solidarität zu und stellte die umgehende Lieferung von ganzen 5.000 Helmen und sonstiger Schutzausrüstung in Aussicht. Dabei stellte sie klar: „Das ist Ausrüstung, das sind keine Waffen.“ Doch nach dem russischen Überfall war es mit Helmen nicht mehr getan, Kiew forderte schwere Waffen und Lambrecht zögerte lange – bis schließlich Bundeskanzler Scholz die Verteilung des 100-Milliarden-Sondervermögens für die Bundeswehr und Waffenlieferungen an die Ukraine zur Chefsache machte.
Gerade mal ein halbes Jahr war sie im Amt und erlebte erst die Farce mit den 5.000 Helmen und dann das Machtwort des Kanzlers als zweite schwere Blamage. Und das alles obendrein zu einem Zeitpunkt, wo das Bundesverteidigungsministerium und die Bundeswehr im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses standen. Da die Ministerin mit der „Zeitenwende“ mehr als überfordert schien, konzentrierten sich die Medien spätestens im Sommer 2022 voll auf Lambrecht. Zum politischen Unvermögen gesellte sich dann zusätzlich noch eine private Patzigkeit. Szenenwechsel: Truppenbesuch in Schleswig-Holstein. Einige Tage später kursiert in den sozialen Medien ein Foto ihres Sohns an Bord eines Hubschraubers der Luftwaffe, der mit auf der Dienstreise der Verteidigungsministerin war. Dies wird medial natürlich – mitten im Sommerloch – genüsslich ausgeschlachtet.
Mit dem Sohn im Hubschrauber
Die erste Einlassung der Verteidigungsministerin, sie sei auch Mutter und wolle sich um ihr Kind kümmern, ist wenig hilfreich. Immerhin ist diesers zum Zeitpunkt des Fluges bereits 21 Jahre alt und damit dem betreuungsintensiven Alter doch schon etwas entwachsen. Nach dem Truppenübungsplatz ging es weiter zur Sommerfrische an die Ostsee. Der Verdacht der Vermengung von Dienstlichem und Privatem steht im Raum. Als dann auch noch von Lambrecht selbst bestätigt wird, dass sie das Hubschrauberfoto von ihrem Sohn gemacht hat, scheint ein Skandal perfekt zu sein, der eigentlich überhaupt keiner ist. Sie hatte die Mitnahme ihres Sohnes ordnungsgemäß angemeldet und den Hubschrauberflug auch selbst bezahlt. Aber ist eine Negativspirale erst mal angelaufen, ist diese nur noch schwer zu stoppen, Wahrheit hin oder her.
In den kommenden Wochen wird so ziemlich alles über Lambrecht ausgekübelt, was bei der neuen „Zeitenwende“-Bundeswehr alles nicht läuft. Lambrecht muss ihren Kopf hinhalten für Dinge, für die sie – nach über 30 Jahren Dauersparen bei Heer, Marine und Luftwaffe – nun wirklich nichts kann. Doch das interessiert zu diesem Zeitpunkt niemanden mehr.
Schließlich wird ihr der Silvesterabend 2022 zum endgültigen Verhängnis. Mitten in der ohrenbetäubenden Böllerei nahe dem Berliner Alexanderplatz macht sie ein Video mit Neujahrsgrüßen und bringt darin auch ihre Solidarität mit der Ukraine zum Ausdruck. Abgesehen vom Dilettantismus dieser Aufnahme, in der man sie kaum versteht, wird großflächig in den sozialen Medien der Eindruck diskutiert, ob Lambrecht mit diesem Hintergrund eine Kriegskulisse habe simulieren wollen.
In Anbetracht des Shitstorms in den ersten Neujahrstagen 2023 reift bei Lambrecht die Einsicht, dass sie aus diesen Negativstrudel wohl nicht mehr heraus kommen werde. Am 16. Januar bittet sie Bundeskanzler Scholz um Entlassung aus dem Amt.
Ihre offizielle Erklärung klingt bitter: „Die monatelange mediale Fokussierung auf meine Person lässt eine sachliche Berichterstattung und Diskussion über die Soldatinnen und Soldaten, die Bundeswehr und sicherheitspolitische Weichenstellungen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands kaum zu.“
Aus ihrem Umfeld heißt es heute, Lambrecht sei vor allem sauer auf sich selbst, dass sie sich hat breitschlagen lassen, den Posten als Verteidigungsministerin überhaupt anzunehmen, den sie nicht haben wollte. Aber auch Bundeskanzler Scholz hat etwas aus der Causa Lambrecht gelernt. Nach Möglichkeit lässt er sich bei Personalentscheidungen nicht mehr durch parteiparitätische Interessen leiten. Boris Pistorius (SPD) folgt Christine Lambrecht nach. Weder ist er eine Frau, noch gehört er dem linken Parteiflügel der SPD an.