Er gründete sein Label fernab der klassischen Fashion-Metropolen im südafrikanischen Johannesburg. Nach dem Gewinn des weltweit bedeutendsten Nachwuchspreises gehört der inzwischen 29-jährige Thebetsile Magugu zu den Visionären der Modewelt.
Das Projekt hätte auch gewaltig schiefgehen können. Statt der erträumten Karriere in der Fashion-Welt wäre Thebetsile „Thebe“ Magugu einfach auf einem riesigen Schuldenberg sitzen geblieben. Schließlich hatte der Jungspund keine Ahnung von der geschäftlichen Seite des Markenaufbaus, von einem exakt kalkulierten Business-Plan ganz zu schweigen.
Doch es sollte anders kommen. Magugu wurde am 1. September 1993 im südafrikanischen Kimberley geboren. Genau dort befindet sich auch das größte, je von Menschenhand geschaffene Loch – „Big Hole“ –, ein spektakuläres Überbleibsel einer Diamantenmine aus dem 19. Jahrhundert. Schon in seiner Teenagerzeit musste sich Magugu aufgrund seiner Zugehörigkeit zur queeren Community gegen homophobe Anfeindungen wehren. Den Rückhalt, diese Zeit zu überstehen, gab ihm das weiblich geprägte Umfeld aus Mutter, Tante und Großmutter.
Seine ersten Einblicke in die Fashion-Welt erhielt der junge Mann im Jahr 2008, als er via Satellitenfernsehen die schillernden Krankenschwestern-Uniformen von Marc Jacobs’ Louis Vuitton-Kollektion und die futuristischen Entwürfe von Alexander McQueen bewundern konnte. „Ich wusste sofort, dass es das war, was ich machen wollte“, erzählt Magugu im persönlichen Rückblick auf dieses Erweckungserlebnis.
Nach dem Abitur am St. Patrick’s Christian Brothers College in Kimberley, wo der vielseitig begabte Magugu während seiner Oberstufen-Jahre ein eigenes Magazin mit dem Titel „Little Black Book“ herausgegeben und dessen 100 Seiten mit eigenen Artikeln von Mode bis Philosophie gefüttert hatte, wollte er ein Design-Studium beginnen. Am liebsten hätte er sich dafür am legendären Londoner Central Saint Martins eingeschrieben, doch dafür fehlten einfach die finanziellen Mittel. Notgedrungen musste sich der junge Mann mit einer günstigeren Alternative zufriedengeben. So nahm er im Jahr 2012 ein Studium an der „London International School of Fashion“ (LISOF) in Johannesburg auf.
Nach seinem Abschluss begann er eine Ausbildung bei der südafrikanischen „Woolworths Holding Limited“, einer großen Einzelhandelskette mit vielseitigem Sortiment von Lebensmitteln bis Mode und Beauty-Produkten.
Mit der Zeit musste sich Magugu jedoch eingestehen, dass diese Arbeit ihn wohl kaum zu seinem Designer-Traum weiterbringen konnte. Er schmiss hin und gründete im Alter von 22 Jahren das Label „Thebe Magugu“. „Im Rückblick war es für mich sehr früh, eine Marke zu gründen“, gibt der Designer offen zu. So hätte er das Gewerbe beispielsweise ohne Business-Plan angemeldet.
Vor allem in der Anfangszeit musste sich Magugu sehr anstrengen. Um Geld für sein Label zu generieren, hielt sich der junge Mann mit Nebentätigkeiten wie dem Durchführen von Shootings oder dem Entwerfen von Lookbooks für andere Labels über Wasser.
Label-Gründung mit gerade mal 22
Ein Jahr später präsentierte er seine erste Kollektion mit dem kopflastigen, akademisch-intellektuellen Titel „Geology“. Schon bei seinem Debüt war es Magugu wichtig, nicht nur Klamotten zu entwerfen, sondern die Kollektion in eine Hintergrundgeschichte einzubetten. Was die Farbauswahl betrifft, so entschied sich Magugu für tiefes Burgunderrot, warme Orange-Töne sowie Khaki- oder Braun-Nuancen. Auffällig waren ein Safarihemd in Kombination mit einem Plissee-Saum-Mini, ein Wanderkleid mit Plissee-Falten, ein Wickeldress mit Koi-Print und eine im Stil einer Cargohose gestaltete Jeans. Schon diese mittels eines Lookbooks festgehaltene Debüt-Kollektion, aus der bereits die Betonung eines eleganten Gesamtbildes und einer schmalen Taille abgelesen werden konnten, erweckte große öffentliche Aufmerksamkeit.
Ein Jahr später griff Magugus ehemaliger Woolworths-Chef dem jungen Label etwas unter die Arme, indem er die Präsentation ausgewählter Kreationen in den leistungsstärksten Filialen ermöglichte. Er leistete auch finanzielle Unterstützung zur Teilnahme an der Johannesburger Fashion Week. Schließlich lernte Magugu auch noch eine erfahrene Agentin kennen, die die Branche nach einer langen Tätigkeit für Hugo Boss bestens kannte. Auch für seine zweite Kollektion vom Herbst/Winter 2018 unter dem Titel „Home Economics“, gab es eine Geschichte. Damit wollte er auf eine Reihe schockierender, südafrikanischer Femizide in den Jahren 2017 und 2018 aufmerksam machen. Er wollte sich offen gegen die in vielen Bereichen noch extrem frauenfeindliche heimische Gesellschaft und schwere häusliche Gewalttaten wenden. Dabei verwendete er nur Farben, die an Reinigungschemikalien erinnerten. Schwefelhaltige Gelbtöne, alkalische Rosa- und Violett-Töne – damit schuf er eine moderne Umsetzung von Arbeitskleidung in Gestalt von asymmetrisch geschnittenen Gürtelkitteln. Als die Sommerkollektion 2019 unter dem Titel „Art History“ herausgekommen war, war der zur Ethnie der Sotho zählende Designer in der globalen Fashion-Welt plötzlich kein Unbekannter mehr.
Was war geschehen? Zunächst einmal wurde er vom British Fashion Council zum Gewinner des International Fashion Showcase 2019 gekürt. Wenig später wurde Thebetsile Magugu die Ehre zuteil, als erster afrikanischer Jung-Designer mit dem LVMH-Preis des Jahres 2019 ausgezeichnet zu werden. Eine bessere Eintrittskarte in die Modewelt konnte es nicht geben. Wer ihn gewinnt, katapultiert sich gleichsam von selbst ganz nach oben, wie es frühere Sieger von Marques’Almeida und Wales Bonner bis Marine Serre und Simon Porte Jacquemus vorgemacht hatten. Allen acht Finalisten des Jahres 2019 war gemeinsam, dass sie nicht nur tolle Kleidungsstücke entworfen, sondern sich darüber hinaus auch noch als Protagonisten für soziale Anliegen oder ökologische Nachhaltigkeit hervorgetan hatten. Offenbar konnten die Geschichten von Magugu am meisten überzeugen, weshalb er sich über ein Preisgeld von 300.000 Euro und ein einjähriges Mentoring durch LVMH-Experten freuen konnte. Plötzlich begannen sich die internationalen Luxusmode-Fachhändler um seine Kollektionen zu reißen.
Das Preisgeld konnte Magugu auch dazu verwenden, zeitgleich mit seiner „African Studies“-Kollektion für den Herbst/Winter 2019/2020 ein eigenes Magazin mit dem Titel „Faculty Press“ herauszugeben. Dieses wurde als jährliche Plattform für Kreative angelegt, die sich mit zentralen Themen wie Feminismus und Rechten queerer Menschen in einem modernen Südafrika auseinandersetzen wollen. In seinen Designs griff Magugu Erinnerungen an seine Kindheit auf, indem er sich vor allem von der Kleidung südafrikanischer Frauen aus diesen frühen Tagen inspirieren ließ. Was sich beispielsweise in einer maßgeschneiderten, kobaltblauen Anzugjacke aus einem Wolle-Kaschmir-Mix oder einem plissierten, flaschengrünen Rock mit einem komplizierten Chevron-Muster niederschlug. Sein Markenkonzept habe schon immer darin bestanden, „Geschichten aus unserem Erbe und unserer Geschichte auf relevante Weise zu erzählen, damit sie nicht vergessen werden. Eine visuelle Enzyklopädie, wenn man so will. Ich möchte, dass meine Kleidung ein modernes Relikt für die Geschichten Südafrikas ist.“ Gleichzeitig hatte der Designer seine feste Absicht bekundet, seine Kleidung auch weiterhin von Schneidern, Kunsthandwerkern und Fabriken in Johannesburg und Kapstadt herstellen zu lassen.
Die Damenmode-Sommerkollektion 2020 mit dem Titel „Prosopographie“ war dem heldenhaften Widerstand afrikanischer Frauen gegen die Apartheid-Regierung gewidmet. Zum großen Schlag holte Magugu dann aber mit seiner Winterkollektion 2020/2021 aus. Hier war er bei der Titelgebung etwas von den üblichen Uni-Fächern abgewichen und hatte seiner Heimatstadt Kimberley, genauer gesagt seinem Township namens Ipopeng, unter dem Motto „Anthro 1“ ein modisches Denkmal gesetzt. Highlights waren ein Samtfaltenrock in tiefem Waldgrün, ein Retro-Trenchcoat mit Blumenmuster und ein taillierter, bis zum Oberschenkel reichender Blazer zu kniehohen Stiefeln. Neu war auch das sogenannte Sisterhold-Logo in Gestalt zweier sich an den Händen haltender Frauen. Für die Publicity des Labels war es sicherlich sehr hilfreich, dass sich Superstar Zendaya in einem Magugu-Teil aus Destroyed-Denim aus der „Anthro 1“-Kollektion hatte ablichten lassen.
Metropolitan Museum of Art stellt seine Kreation aus
Ende 2020 hatte Magugu in Kooperation mit dem südafrikanischen Bierbrauer-Riesen Castle Lite eine sportive Streetwear-Kollektion auf den Markt gebracht. 2021 wurde ihm eine große Ehre zuteil, als das Metropolitan Museum of Art in New York für seine Sammlung modischer Kleidung und Accessoires ein Showpiece des afrikanischen Designers erwarb. Dabei handelte es sich um das traumhafte Kleid mit dem Titel „Girl Wants Girl“, aus der „Home Economics“-Kollektion 2018. Die Sommerkollektion 2021 griff unter dem Titel „Counter Intelligence“ das brisante Thema der Spionage während der Apartheid in Südafrika auf, besonders in Bezug auf die darin involvierten Frauen. Auf Klischees wie Trenchcoats oder dunkle Sonnenbrillen hat der Designer bewusst verzichtet und stattdessen Kleidung mit subversiven Details präsentiert. So waren die vermeintlichen Tupfen auf einem durchscheinenden schwarz-weißen Kleid tatsächlich die original Fingerabdrücke einer Spionin namens Olivia Anne Marie Forsyth. Die Zickzack-Muster eines hellblauen Parkas waren den Linien eines Lügendetektors nachempfunden. Auf Hemdkleidern waren Siebdrucke von Aktivisten zu sehen. Auch für die Männerwelt hatte Magugu einige schmal geschnittene Anzüge und Strickpolos in Camouflage-Nuancen von petrol bis oliv im Programm. Das zur Kollektion gedrehte Video wurde als einer der besten Modefilme der Saison eingestuft. „Die Kraft der Mode liegt in ihrer Unmittelbarkeit. Ich kann etwas sagen und es auf eine Million Körper schleudern. Und diese Geschichten werden dann auf der ganzen Welt präsent sein. Jede neue Saison ist spannend, weil mir der Rechercheprozess am meisten Spaß macht.“
In seiner Kollektion für den Herbst/Winter 2021/2022 mit dem Titel „The Alchemy“, zu deren prominentesten Fans Kylie Jenner gehört, stellte der Designer die afrikanische Spiritualität inklusive der magischen Heilkünste in den Mittelpunkt. Es gab wieder jede Menge charakteristischer Messerfaltenröcke, dazu maßgeschneiderte Hosenanzüge. Und natürlich viele Prints mit Motiven von Ziegenknöcheln bis hin zu einer Heilpflanze namens Imphepho. Zudem konnte Magugu seine erste eigene Schuh-Kreation präsentieren, einen spitzen Stiefel mit Keilabsatz und silberner, das Logo aufgreifender Schnalle. Wieder gab es zusätzlich einen aufwendigen Film im Stil der B-Movies der 1970er-Jahre. Zum Accessoires-Angebot sollten bald auch eine Baseball-Kappe mit Logo und eine von der Pop Art inspirierte Heritage-Bag mit Kordelzug gehören.
Im Sommer 2022 wurde Magugu mit der Kollektion „Genealogy“ ziemlich persönlich: Er setzte Klamotten mit alten Familienfotos zeitgemäß um. Er entwarf grüne und rosafarbene Hemden mit Paisley-Druck, die typischen Faltenröcke, Sonntagskleider, und ein ärmelloses Poloshirt-Minikleid. Für das Magazin „Glamour“ war Thebetsile Magugu spätestens zu diesem Zeitpunkt „definitiv der heißeste Designer“, in dessen Klamotten es sich reinzusteigen lohne. Zumal auch noch Megastar Rihanna ganz bewusst in die Kreationen des Johannesburger Designers geschlüpft war, um auf dem Kontinent die Einführung ihrer Fenty Beauty-Produkte persönlich vor Ort zu promoten.
Nachdem Adidas an die Tür geklopft hatte, entwickelte Magugu 2022 eine spezielle Sportlinie, „Finding Beauty“, aus recycelten Materialien für die Marke. Neben Laufjacken, Tennisbekleidung und lässigen Konfektionsstücken entwarf Magugu auch Bademode für die Kollektion. Als Dior in Person von Maria Grazia Chiuri bei Magugu mit der Bitte vorstellig wurde, den Look von Christian Diors legendärem New Look aus dem Jahr 1947 neu zu interpretieren, konnte der Designer natürlich nicht nein sagen. Wobei vor allem die Umwandlung der Cinch-Jacke in ein Baumwoll-T-Shirt zu einem plissierten Tüll-Rock alle Beteiligten angenehm verblüffen sollte. Auch eine Book Tote, ein Bucket-Hat, ein Schal aus Seidentwill und ein Stiefel aus dem Pariser Traditionshaus erlebten durch Magugu eine pfiffige Neugestaltung. Damit nicht genug ließ sich Magugu wenig später von der „Vogue“ auch noch zu einem kleinen Contest mit dem Chefdesigner Pierpaolo Piccioli von Valentino überreden. Bei diesem Contest sollte Magugu ein prächtiges fuchsiafarbenes Valentino-Ballkleid in etwas Neues verwandeln. Sein daraus entstandener Trenchcoat war eine Wucht und erinnerte an fürstliche Roben. Und weil Magugu offenbar noch immer nicht ausgelastet war, ließ er sich dazu überreden, für die Designer-Legende Alber Elbaz die erste Kollektion im Herbst/Winter 2022/2023 zu entwerfen. Darunter waren ein weißes Seidenhemdkleid oder Kaftane mit Rüschenhälsen.
Mit seiner Sommerkollektion 2023, „Discard Theory“, war Magugu erstmals auf der Londoner Fashion Week zu Gast, es gab viele Rosa-Töne und leuchtende Rot-Töne. Highlights waren sexy gestaltete Cutaway-Rippstrickkleider und innovative Trainingsanzüge mit Umhang. Magugu kündigte in London an, dass er künftig Teile seiner Kollektion zur Qualitätsverbesserung in Madagaskar und Italien fertig lassen werde. Die Kollektion Herbst/Winter 2023/2024 mit dem Titel „Folklorics“ wurde dann wieder an der Seine vorgestellt. Folkloristische Motive zierten Plissee-Röcke, weite Hosen, Hemdkleider aus Seidenkrepp und Nylon-Jacken.