Die avantgardistische Künstlerin, Song-Schreiberin, Komponistin und Performerin Yoko Ono hat einen ganz eigenen, experimentellen Musikstil entwickelt. „Meine Musik ist niemals fertig", sagt sie.
Eine meiner stärksten Erinnerungen an John war das erste Mal, als er mich zum Lachen brachte." Das sagt Yoko Ono auf ihrer Facebook-Seite über John Lennon. „Er schnappte sich einfach einen Apfel, der in meiner Ausstellung lag, biss hinein und sah mich einfach nur an. Ich war sehr, sehr wütend, weil es meine Arbeit war. Ich dachte: Wie kann er es wagen, was für ein unhöflicher Mensch! Ich schaute ihn an, und er konnte sehen, dass es mir nicht gefiel, und er registrierte das, lächelte schüchtern und stellte den Apfel zurück auf den Sockel. Damals war ich sehr verärgert, aber als ich darüber nachdachte, nachdem er gegangen war, erschien mir das ziemlich süß."
Yoko Ono ist eine der ganz wichtigen Vertreterinnen der Fluxus-Bewegungen. Diese will die Trennung zwischen Kunst und Leben aufheben. Niemand hat das spektakulärer demonstriert als sie und John Lennon. In der Nacht auf den 25. März 1969 beginnt das frisch vermählte Ehepaar aus New York sein berühmtes Bett-Happening in einer Suite des Amsterdamer Hilton-Hotels. Auf dem Höhepunkt des Vietnamkriegs wollen der Musiker und die Fluxuskünstlerin mit ihrer abstrakten Aktion und Slogans wie „Bed Peace" und „Hair Peace" für den Frieden demonstrieren. Dabei werden sie eine Woche lang umzingelt von Reportern aus aller Herren Länder, die ihre Botschaft in die Welt hinausposaunen sollen. Vom 26. Mai bis 2. Juni legen sich Lennon und Ono im Hotel Fairmont The Queen Elisabeth in Montreal noch einmal öffentlich ins Bett. Im Pyjama geben sie Händchen haltend und mit sanfter Stimme Interviews: „Wenn Hitler und Churchill im Bett geblieben wären, wären heute noch viele Menschen am Leben." Bei dieser Fluxus-Kunst-Aktion entsteht die Friedenshymne „Give Peace a Chance". Sie avanciert zu einem Klassiker der Rockmusik.
Bett-Happening für den Frieden
Zudem verarbeitet John Lennon die Probleme, mit denen er zu kämpfen hatte, als er seine große Liebe Yoko Ono ehelichen wollte, in dem Song „The Ballad of John and Yoko". Er enthält die umstrittenen Zeilen „Christus, du weißt, dass es nicht einfach ist, du weißt, wie schwer es sein kann / So wie die Dinge laufen, werden sie mich kreuzigen". Trotz Radioverbots in den USA und England wird das Stück für die Beatles ein Nummer-1-Hit. Ihr letzter.
Auch für Yoko Ono stellt sich zunächst kein Frieden ein, denn sie wird hart angegriffen. Und zwar von Beatles-Fans, die glauben, die am 18. Februar 1933 in Tokio geborene Künstlerin habe die Fab Four auseinandergebracht. In den folgenden vier Jahrzehnten gehört es bei Ex-Beatle Paul McCartney und Yoko Ono zum guten Ton, ihre Feindschaft öffentlich zu pflegen. Erst 2012 schließt McCartney Frieden mit der Witwe seines 1980 ermordeten Freundes und bezeichnet sie sogar als Mitglied der Beatles. Nicht Yoko Ono sei Schuld am Ende der Fab Four, sondern die Band selbst sei zerbrochen. Lennon sei ausgestiegen, um mit seiner großen Liebe Projekte für den Weltfrieden zu realisieren.
Heute weiß man, dass die „Bed-Ins" auf die Konflikte in der Welt wenig Einfluss genommen haben, aber die Bilder aus dem Bett sind zu einer Ikone der Popkultur geworden. Yoko Ono möchte noch immer helfen, die Welt friedlicher zu machen. Mit „Peace is Power" zeigt die Fluxuskünstlerin 2019 in Leipzig ihre bislang umfangreichste Werkschau in Deutschland. „Ich bin nicht so naiv zu glauben, ein Künstler könne den Weltfrieden herbei schaffen", sagte sie dem Autor dieser Zeilen. „Aber ich kann helfen, Wunden zu heilen. Zum Beispiel mit Musik."
Onos und Lennons erstes gemeinsames Album „Unfinished Music No. 1 – Two Virgins" löst 1969 einen handfesten Skandal aus: Beide sind auf dem Cover nackt zu sehen. Ein Teil der Auflage wird von der Polizei beschlagnahmt. „Musikalisch betrachtet war es eine unheimlich gute Platte", findet Ono rückblickend. „Damals hat das aber niemanden interessiert. Alle regten sich nur über das Cover auf. Ich habe das Album bewusst ‚Unfinished Music‘ genannt. Das war prophetisch, wenn man sieht, wie unsere Musik heute weiterentwickelt wird. Ich möchte sogar behaupten: Meine Musik ist niemals fertig."
Im Mai 1969 erscheint das Nachfolgewerk unter dem Titel „Unfinished Music No. 2 – Life with the Lions". Die erste Seite der LP enthält einen Konzertmitschnitt aus der Mitchell Hall in Cambridge, wobei eine kreischende Yoko Ono den „Gesangspart" übernimmt und Lennon auf der E-Gitarre zirpende und fiepende Rückkopplungen erzeugt. Die Show gilt heute als die verstörendste Performance in der Geschichte der Rockmusik.
„Ich fand ihn total attraktiv"
Yoko Ono erinnert sich: „Die Platte wurde teils bei einem Auftritt von John und mir an der Universität von Cambridge und teils in einem Londoner Krankenhaus aufgenommen, wo ich wegen einer Fehlgeburt behandelt wurde. John spielte in Cambridge eine unglaubliche Gitarre. Es waren kaum mehr als 500 Leute da. Von der Bühne aus konnte ich die Gesichter im Publikum erkennten. Die Blicke waren sehr ernst, weil sie von uns überhaupt nicht das kriegten, was sie erwarteten. Für mich war diese Musik von Anfang an etwas Großartiges. Ich konnte nie verstehen, warum die Leute sie schrecklich fanden."
Mit vier Jahren bekommt Yoko Ono Klavier- und mit 14 Gesangsunterricht. Sie ist fasziniert von den Zwölftonkomponisten Arnold Schoenberg und Alban Berg. In Manhattan lernt sie später die Avantgardisten John Cage und La Monte Young kennen. Ihr erster öffentlicher Auftritt findet 1961 in der Carnegie Recital Hall statt: eine Mixtur aus Performance und radikaler experimenteller Musik. Ihr „Concert of Music for the Mind" hat 1967 in Liverpool Premiere. Ein Jahr später werden Yoko Ono und John Lennon ein Paar. Die Avantgardistin macht den Popstar mit einer anderen Art der Künstlerexistenz bekannt, die er sehr anziehend findet.
„Als wir uns das erste Mal trafen, wusste ich nicht, wer er war, aber ich fand ihn total attraktiv – nicht, dass er als der konventionellste gutaussehende Mann der Welt bekannt gewesen wäre, aber er hatte einen Charme, der sehr anziehend und liebenswert war", schreibt Ono auf Facebook. „Ich glaube, das lag daran, dass er so ehrlich war. Da ich aus New York stamme, brauchte ich eine Weile, um mit englischen Männern warm zu werden, und John war der erste, zu dem ich eine Beziehung aufbauen konnte; er hatte etwas sehr Menschliches an sich. Es ist nie einfach, man selbst zu sein, aber John konnte das sehr gut."
Nach drei experimentellen Alben, auf denen Ono mit ihrer ausgebildeten Opernstimme die ungewöhnlichsten Töne und Schreie erzeugt, gründen die beiden 1969 die Plastic Ono Band. Deren Debüt „John Lennon/Plastic Ono Band" gilt wegen kritischer und aufrüttelnder Songs wie „Give Peace a Chance" als das „ehrlichste Rockalbum aller Zeiten". Das Paar nimmt die Friedenshymne am 1. Juni 1969 in Montreal im Hotelzimmer auf. Begleitet werden sie dabei von Allen Ginsberg, Timothy Leary, Derek Taylor, Petula Clarke und singenden und tanzenden Radha-Krishna-Mönchen.
Das erste Konzert von John Lennon nach den Beatles geht am 1. August 1971 in Toronto über die Bühne. Neben Yoko Ono ist Gitarrengott Eric Clapton mit von der Partie. Mit herkömmlicher Popmusik hat dieses Happening allerdings nicht viel zu tun. Auf dem Programm ein einziger Akkord und ein markerschütternder Urschrei von Yoko Ono.
Zeitsprung. Am 17. November 1980 veröffentlichen Lennon und Ono das gemeinsame Album „Double Fantasy". Drei Wochen später wird er im Beisein von ihr vor seiner Haustür in Manhattan von Mark David Chapman erschossen. Der geisteskranke Beatles-Fan hat sich noch Stunden zuvor von Lennon dessen LP „Double Fantasy" signieren lassen. Die klettert nach seinem Tod in England und in den USA auf Platz 1. Die Singleauskopplung „Woman" ist zugleich eine Liebeserklärung an Yoko Ono und eine Botschaft an alle Frauen.
Ein Jahr später veröffentlicht Ono das Soloalbum „Season of Glass". Auf dessen Hülle ist die blutverschmierte Nickelbrille ihres Mannes abgebildet. Hier präsentiert sie sich als autonome Sängerin und Songschreiberin, die ihren eigenen Weg geht.
Die Lieder helfen ihr bei der Bewältigung der Trauer. Zwar orientiert sich Yoko Ono schon eher am Komponierstil ihres verstorbenen Ehemanns, aber trotzdem hören sich ihre Stücke nie nach ihm oder den Beatles an, sondern immer nach Yoko Ono. Seither berufen sich zahlreiche deutlich jüngere Musikerinnen auf die Künstlerin und Friedensaktivistin.
Es ist cool, Yoko Ono zu hören
Anlässlich ihres 77. Geburtstages reformiert die berühmte Witwe die Plastic Ono Band für ein Konzert in New York – mit den Originalmitgliedern Eric Clapton und Klaus Voormann. 2012 nimmt sie mit Kim Gordon und Thurston Moore von Sonic Youth die improvisierte Noiserock-Platte „Yokokimthurston" auf. Ansonsten ist ihr Sohn Sean Ono Lennon ihr musikalischer Partner. Zuletzt ist die LP und CD „Let’s Have a Dream – 1974 One Step Festival" erschienen. Das in Japan von Yoko Ono & The Plastic Ono Super Band aufgenommene Live-Album enthält unter anderen den bisher unveröffentlichten Song „One Way Road".
Stellt sich die Frage, ob es auch einen Musikstil gibt, den Yoko Ono aus Prinzip nicht spielen würde. „Nein, weil ich mich einfach nicht einschränken lassen will", antwortet die exzentrische Stil-Ikone. „Für mich ist grundsätzlich alles reizvoll, was neu ist. Ich stehe total auf Independent-Musik. Weil hier aus der Tradition heraus etwas Neues entsteht."
Yoko Ono wird „die wahre Queen des Punk" genannt. Das schmeichelt der ewig jungen Seniorin. „Ich bin ein Punk. Punk bedeutet für mich vor allem, gute Musik zu machen. Ich war immer rebellisch, auch schon bevor mir John begegnet ist."
Plötzlich ist es cool, Yoko Ono zu hören. Die Avantgarde ist zum Mainstream geworden. Sie selbst ist davon am meisten überrascht: „Ich bin froh, dass ich das noch erleben darf."