Das „HIVE Projekt“ will mit neu erschlossenen Wohnräumen Antworten auf die Klimakrise und den knappen Wohnraum geben. In diesem Fall sollen Waben entstehen, ähnlich wie die in einem Bienennest. Und warum das Ganze? Weil es autark, nachhaltig und platzsparend funktioniert.
Die könnte die Natur auf die steigende Knappheit an Ressourcen reagieren? Die Natur würde etwas Einfaches, Effizientes, Anpassungsfähiges, Widerstandsfähiges und doch Schönes schaffen. Ihre Reaktion wäre das Ergebnis langsamer, evolutionärer Zyklen“, erklärt Gianluca Santosuosso die Idee hinter dem Hive-Projekt auf seiner Webseite.
Die ersten „Hives“ (Human-Inklusive & Versatile Ecosystem), zu Deutsch „Waben“, wurden vom Designstudio „Uoou“ entworfen. Die beiden Architekten Gian Santosuosso und Eri Pontikopoulou wollten mit ihrem Vorschlag, eingereicht zum internationalen Wettbewerb „The Home of 2030“, zeigen, wie Wohnen in der Zukunft auch aussehen könnte. Statt eckig oder rund eben sechseckig, und das hat mehrere Gründe. Die einzelnen Module bieten ausreichend Platz für einen Bewohner oder gleich eine ganze Familie. Sie verbrauchen zum Bau aber relativ wenig Material und sind stapelbar. So entstehen hybride Wohnraumkomplexe auf engstem Raum. „Tatsächlich lässt sich mathematisch belegen, dass regelmäßige Sechsecke der beste Weg sind, einen Raum mit geringstmöglicher struktureller Unterstützung in gleiche Teile zu teilen. Inspiriert von diesem technischen Wunder der Natur betrachten wir die Wabenstruktur und ihre Organisation als Inspiration für ein radikal neues Lebensumfeld der Zukunft“, schildert Santosuosso in einem Interview.
Verknüpfung von Natur und Raum
Doch die Hives sollen noch mehr sein als nur platzsparend. Mit ihnen wollen die kreativen Köpfe hinter dem Projekt den Bewohnern die Möglichkeit schenken, offen miteinander in einer sozialen Gemeinschaft zu leben. Deshalb sind nicht nur Wohnräume Teil der Planung, sondern auch Gemeinschaftsbereiche sowie Gärten, Spielplätze und vieles mehr. Aus diesem Grund sind die unteren Hives geschlossen, die oberen können aber offen bleiben und lassen Sonne und Regen an die Pflanzen. „Unser Ziel ist eine neue Ökologie des Ortes, bei der der Mensch das Ökosystem nicht schädigt, sondern seine Regeneration bereichert, unterstützt und in hohem Maße davon profitiert“, erläutert Gianluca Santosuosso den Leitgedanken.
Um die Außenflächen zu erreichen, gehören zur Planung sowohl Treppen als auch Rampen und Aufzüge. Das macht barrierefreies Wohnen möglich und fördert damit noch mehr den Gemeinschaftssinn zwischen allen Altersstufen, denn „Vielfalt und Inklusion sind die Schlüsselaspekte, die wir mit dem Hive-Projekt fördern wollen“, bekräftigt der Architekt. Jede Wabe für sich besitzt außerdem ein sogenanntes Hive-Window, eine sichtbare Verbindung zur Außenwelt. Diese kann wahlweise als Terrasse, als Gartenfläche oder Poolbereich genutzt werden, ganz so, wie es den Bedürfnissen seiner Bewohner am nächsten kommt. Damit knüpft die Gestaltung an die Grundlagen des Biophilic Design an, der nahtlosen Verknüpfung von Natur und Lebensraum für mehr Ruhe, Entspannung und Gelassenheit. Praktisch ist es da, dass die Waben komplett wandelbar gestaltet sind und damit immer wieder eine „new ecology of space“ (eine neue Ökologie des Raumes) schaffen. Dadurch kommen ihnen andere Nutzungsmöglichkeiten zu, je nachdem, was gebraucht wird. So bleiben die Hives unplanbar und flexibel, ganz so, wie das Leben selbst verläuft.
Apropos leben: Das ist sogar ausgesprochen günstig, denn das Projekt funktioniert nach dem Prinzip der Selbstversorgung. Durch die integrierten Gärten können die Bewohner ihr eigenes Obst und Gemüse anpflanzen. Das Wasser wird selbst aufbereitet. Kühl-, Heiz- und Warmwassersysteme sind in einen geschlossenen Kreislauf integriert, basierend auf geothermischen Pfählen. Dazu gehören auch Wärmepumpen für die kühleren Jahreszeiten. Der Strom kommt von den wabeneigenen Solarmodulen und wird ebenfalls direkt vor Ort gewonnen. Mechanische Lüftungssysteme komplettieren die technische Ausstattung, ergänzt durch eine natürliche Belüftung. Steuerbar ist das Ganze via Smarthome-Technologie.
Das macht das Leben in den Wohneinheiten autark. Dazu kommt, dass sich die Hives selbst perfekt in das nachhaltige Nutzungskonzept einfügen. Sie bestehen zum überwiegenden Teil aus Holz und biologisch abbaubaren Materialien. Dadurch können die Wabenhäuser immer wieder umgebaut und ausgebaut werden, ohne das Klima zu schädigen, da ausschließlich nachwachsende Rohstoffe zum Bau Verwendung finden. Ist der Lebenszyklus erschöpft, lassen sich ihre Bestandteile entweder weiter verwenden für die Konstruktion neuer Module oder kompostieren und der Natur zurückgeben. Damit fügen sich die Objekte in die „Circular Economy“ ein, ein Kreislauf aus umweltgerechtem Wiederverwerten und nachhaltigem Wohnen.
Wer von Weitem einen Blick auf die Hives wirft, der hat dabei in erster Linie aber nicht den Klimaschutz im Kopf. Stattdessen weiß die außergewöhnliche Architektur von sich zu überzeugen. Sie bildet einen schönen Kontrast zum städtisch tristen Einerlei. Da wundert es kaum, dass den Begründern dieser Bauform zur Errichtung ihrer Wohnprojekte vor allem brachliegende Industrieflächen vorschweben. Sie sollen mit neuem Leben gefüllt werden. Das ist nicht nur effizient im Hinblick darauf, dass diese freien Flächen endlich wieder Pflege und Aufmerksamkeit erhalten, sondern auch als optimale Wohnquartiere für künftige Bewohner. Sie leben so nah an der Stadt, in der sie arbeiten und ihre Freizeit verbringen wollen. Trotzdem sind sie weit genug entfernt von all dem Gewusel. Die frische, saubere Luft des Stadtrands sorgt außerdem dafür, dass alle gesund bleiben und die Pflanzen ausreichend Sauerstoff erhalten, um zu wachsen und genug Nährstoffe zu spenden.
Material aus eigenem Anbau
Damit die Natur sich erholt, gibt es weitere nachhaltige Lösungen für das Zusammenleben, wie zum Beispiel der gemeinschaftliche Verleih von E-Autos für die Wege außerhalb der Hives. Den Mittelpunkt aller Planungen bildet das Prinzip der Kreislaufwirtschaft. Dazu wird jedes Areal in unterschiedliche Zonen gegliedert. Eine dient der Entfaltung der Natur als Erholungsfläche für alle. Eine andere ist das Entwicklungsgebiet. Hier befindet sich die Anbaufläche von Industriehanf. Dieser dient als Baumaterial und bildet später die Dämmung. Hanf ist umweltfreundlich, dampfdurchlässig, und er macht das Leben in den Waben sehr leise, da er Schall abmildert. Die einzelnen Module schließlich bestehen aus fertigen Holzrahmen, die mithilfe von IoT- und Robotertechnologie im Werk vorgefertigt sind. Das spart Geld und Zeit. Die Waben kommen so gut wie einsatzbereit am Bestimmungsort an. Grundsätzlich gibt es dabei keine Beschränkungen, was Höhe und Umfang der Wabenstrukturen angeht. Das bedeutet, das Wohnraumproblem vieler Großstädte ließe sich mit solchen Modellprojekten ebenfalls lösen, weil sie ressourcenschonende Wohnräume bieten und somit die große Nachfrage nach bezahlbaren Miet- und Eigentumsprojekten decken können.
Ob es tatsächlich im Jahr 2030 Wabenhäuser geben wird, ist noch reine Zukunftsmusik. Der Ansatz zeigt aber deutlich, wohin nachhaltiges Wohnen führen kann, und die Ideen für eine saubere und nutzbare Zukunft sind nicht nur interessant, sie wären vor allem auch machbar.