Für Paul Drux endete Olympia mit einer herben Enttäuschung. Der Rückraumspieler muss nun mental und körperlich aufgebaut werden, damit er wieder ein Schlüsselspieler für die Füchse Berlin wird.
Eigentlich ist Paul Drux ein Kerl von einem Mann. 1,92 Meter groß, 92 Kilogramm schwer, breite Schultern, einschüchternder Blick. Doch an jenem 3. August, an dem der Traum von Olympiagold bei der deutsche Handballnationalmannschaft jäh zerplatzte, kam Drux eher einem Häufchen Elend gleich. Zusammengekauert saß er da auf dem schwarzen Stuhl am Spielfeldrand, den Kopf gesenkt, den Blick beschämt zu Boden gerichtet, die Hände in ein Handtuch gewickelt. Das ebenso klare wie verdiente Viertelfinal-Aus gegen Afrikameister Ägypten (26:31) traf auch Drux ins Mark.
Nach der Rückkehr aus Japan verabschiedet sich der Rückraumspieler der Füchse Berlin für ein paar Tage in den Urlaub – und der kam wie gerufen. Nicht nur die Olympia-Enttäuschung machte ihm zu schaffen, auch die Mammutsaison mit etlichen Spielen, vielen Aufs und Abs und einer Knie-Operation im März steckte ihm in den Knochen. Umso wichtiger war diese kleine Auszeit. Regenerieren. Kraft tanken. Den Kopf freibekommen. Neue Motivation finden. Das war wichtig, denn ein ausgeruhter, selbstbewusster und hungriger Drux ist wichtig für den Club und die Nationalmannschaft.
In Tokio stand der 26-Jährige, der kürzlich sein 100. Länderspiel bestritt, wie viele seiner Teamkollegen oft neben sich. „Wir haben deutlich weniger Wurfkraft aus dem Rückraum als die anderen Mannschaften“, sagte Bundestrainer Alfred Gislason. Der Isländer kritisierte damit auch Drux, auch wenn er dessen Namen nicht explizit in den Mund nahm. Und auch bei den Aussagen von Sportvorstand Axel Kromer durfte sich der Füchse-Profi angesprochen fühlen: „Wir haben Topspieler, aber die tun sich manchmal schwer, in der Nationalmannschaft auch so zu performen.“
Indirekte Kritik vom Bundestrainer am Rückraumspieler
Das trifft zwar auf andere Profis wie Kapitän Uwe Gensheimer noch mehr zu, aber Drux ist selbstkritisch genug, um seine jüngsten Leistungen im Nationaltrikot richtig einzuschätzen. In keinem der sechs Olympiaspiele gelangen dem sonst so wurfgewaltigen und dynamischen Berliner mehr als zwei Tore – das ist eine miserable Quote für einen Topathleten wie ihn. Auch emotional konnte er dem Team vor allem beim entscheidenden Spiel gegen Ägypten keinen Halt geben, von ihm gingen kaum Impulse aus. Bundestrainer Gislason machte für das Aus aber hauptsächlich die Bundesliga verantwortlich, die ihm nur wenig Zeit zur Vorbereitung gewährte. „Wir wollen Erfolg haben, aber wir haben keine Zeit, daran zu arbeiten“, sagte der Isländer: „Und man hat gesehen, dass einige Spieler sehr viel gespielt haben und ein bisschen ausgelaugt waren.“
Bei Drux, dem die Power und die Spritzigkeit abgingen, war das ganz offensichtlich. Gislason wird für die Handball-EM im Januar 2022 in Ungarn und der Slowakei ein paar Veränderungen vornehmen, aber Drux muss um seinen Platz nicht bangen. Er ist in Normalform viel zu gut und zu wertvoll, um einem Umbruch zum Opfer zu fallen. Zumal er mit 26 Jahren noch längst nicht zum alten Eisen zählt. Auch DHB-Vizepr Auch Vizepräsident Bob Hanning glaubt, „dass das Gerüst dieser Mannschaft bestehen bleibt“.
Zunächst aber zählt für Drux nur der Klub. Es wird Aufgabe vor allem von Trainer Jaron Siewert sein, seinen Führungsspieler emotional und körperlich aufzubauen. Das ist kein einfaches Unterfangen, denn die Pause war für die Nationalspieler eigentlich zu kurz, um die Akkus komplett aufzuladen. Außerdem verpasste Drux weite Teile der Vorbereitung auf die Saison, die für die Füchse mit einem Heimspiel am 9. September gegen HSG Wetzlar beginnt. Die Trainingslager im Euroville Naumburg und in den Spreewelten Lübbenau verpasste Drux, der nach Rückkehr ins Mannschaftstraining viel aufzuholen hat.
Seine Teamkollegen „gehen fit in die neue Saison 2021/22“ – das zumindest versprach der Klub auf seiner Internetseite in einer Meldung über die Krafttests am Olympiastützpunkt Berlin und die Leistungsdiagnostik in der Charité. Bei Laufband-Läufen wurden die Laktatwerte ermittelt, es wurden EKGs und Ultraschall-Untersuchungen durchgeführt, Blutproben entnommen und Spieler wie Hans Lindberg, Dejan Milosalvjev und Valter Chrintz ließen sich auf ihre Sehfähigkeiten testen. Neben Drux fehlten auch die anderen Olympiateilnehmer Jacob Holm, Lasse Andersson und Viran Morros.
Durch Morros mehr Pausen für Drux
Jener Morros ist der Berliner Königs-Transfer in diesem Sommer. Der Spanier wechselt vom Topklub Paris Saint-Germain an die Spree, mit der PSG hatte er zuletzt dreimal in Folge die französische Meisterschaft gewonnen. Der 37-Jährige konnte sich mit dem Verantwortlichen aber auf keine weitere Zusammenarbeit einigen, und so suchte er eine neue Herausforderung – die ihm die Füchse boten. In Berlin soll der Zweimetermann den bisherigen Abwehrchef Jakov Gojun ersetzen, der in seine kroatische Heimat zu RK Zagreb wechselte.„Viran wird uns bei unserer weiteren Entwicklung viel Erfahrung und Gewinnermentalität geben“, ist sich Sportvorstand Stefan Kretschmar sicher. Der Neuzugang, der mit Frankreichs Nationalteam schon Welt- und Europameister und mit Paris dreimal Champions-League-Sieger war, verfüge über einen „großartigen Charakter“ und habe in den Gesprächen vor der Verpflichtung „absolut überzeugt, sowohl eine sportliche Bereicherung zu sein als auch ein Mentor für unsere jungen Spieler“. Hanning nannte den Transfer des Weltstars „etwas ganz Besonderes“.
Morros Paradeposition ist der linke Rückraum – also genau wie der von Paul Drux. Auf dem deutschen Nationalspieler lastet also nicht mehr der ganze Druck, er wird deutlich mehr Pausen im Spiel erhalten als noch in der Vorsaison, als er auch angeschlagen auf die Zähne biss und sich durchquälte. Drux wird Morros also weniger als Konkurrenten auf seiner Position, sondern eher als Gewinn für die Mannschaft und auch sich selbst sehen. Zumal Morros „eine Siegermentalität mitbringt“, wie Trainer Siewert verdeutlichte, „die für uns ein deutlicher Mehrwert sein kann“.
Ohne den Abwehrspezialisten, für den das olympische Turnier wegen einer Oberschenkelverletzung im rechten Bein frühzeitig beendet war, scheiterte auch Spanien an der Gold-Mission. Immerhin holten die Iberer noch Bronze – im kleinen Finale ausgerechnet gegen Deutschland-Bezwinger Ägypten. Zunächst machten sich auch die Füchse-Verantwortlichen Sorgen wegen der Verletzung ihres Neuzugangs. „Aktuell wissen wir noch nicht genau, wie schwer die Verletzung wirklich ist“, hatte Kretzschmar gesagt, „mir tut es natürlich leid für ihn persönlich und ich hoffe, dass es glimpflich ausgeht“.
Immerhin das blieb Drux bei Olympia erspart: eine Verletzung. Das ist nicht selbstverständlich, mit seiner wuchtigen und stürmischen Art wirft sich der Rückraumspieler in jedes Getümmel – ohne Rücksicht auf Verluste und Blessuren. „Leider hatte ich schon einige Sachen, die operiert werden mussten und länger dauerten. Das wirft einen schon zurück“, sagte Drux: „Mit der Zeit habe ich gelernt, gut damit umzugehen.“ Auf Rückschläge wie der bei Olympia trifft das ebenfalls zu. Es kann eigentlich nur noch besser werden.