Hier ist der Name Programm. „Private Policy“, dahinter verbirgt sich das Designer-Duo Haoran Li und Siying Qu. Sie widmen ihre Unisex-Kollektionen sozialen, politischen und ökologischen Problemen. Heraus kommen Kreationen mit Kultfaktor.
Die jüngst verstorbene Vivienne Westwood könnte durchaus als Vorbild für die beiden Macher des New Yorker Labels „Private Policy“ angesehen werden. Denn, ähnlich wie die legendäre Protagonistin der Punk-Fashion, beschränken sich Haoran Li und Siying Qu nicht nur auf ihre Designer-Arbeiten. Auch sie äußern sich regelmäßig zu brennenden Weltproblemen. „In der Welt des Hyperkonsums wollen wir Mode neu definieren“, so das Duo, „wir wollen nicht nur hübsche Designs machen, sondern den Menschen eine andere Seite der Mode zeigen. Wir gehen unsere Kollektionen wie Nachrichtenagenturen an: mit verschiedenen Werkzeugen der Modesprache. Und rücken dabei brisante gesellschaftliche und politische Themen in den Mittelpunkt.“
Lässige Club- und Streetwear
Fraglos ein ziemlich ungewöhnliches und ernsthaftes Konzept für eine junge Brand. Kaum dazu angetan, die als Kunden ins Auge gefasste Young-Generation in Scharen zu gewinnen. Daher wurden auf der Webseite gleich nach der Gründung des Labels Ende 2015 auch gänzlich andere Töne angeschlagen: „Geschworen, Spaß zu haben, loyal zu niemandem.“ Hier klang schon mal deutlich das Aufmüpfige oder das Bekenntnis zur absoluten persönlichen Freiheit durch. Was sich in einem anderen griffigen, jüngst publizierten Motto des Labels niedergeschlagen hatte: „Unkonventionell, bewusst, rebellisch“. Angelehnt natürlich an das lokale Umfeld des quirligen Schmelztiegels: „Der rebellische Geist und das Streben der New Yorker Jugend nach Freiheit bilden so etwas wie das Epizentrum von Private Policy. Die Menschen in New York hatten nie Angst, sich für Frauenrechte, für Rassengleichheit und für LGBT-Rechte einzusetzen. Gleiches gilt für die Modewelt.“
Auf den Straßen und in den angesagtesten Clubs der Riesenmetropole fühlt sich auch das Designer-Duo pudelwohl und schöpft durch Beobachten der Looks von jungen Menschen jede Menge Inspiration für seine Kreationen. Private Policy konnte sich vor allem mit seiner lässigen Club- und Streetwear für die coolen Großstadt-Kids in relativ kurzer Zeit einen Namen machen. Auch eine Reihe von Promi-Damen und -Herren wie Dua Lipa, Kendall Jenner, Bella Hadid, Hailey Bieber, Bretman Rock, Billy Porter, Joe Jonas oder Maluma konnten Siying Qu und Haoran Li mit ihren geschlechtsneutralen Kreationen schon begeistern. „Wir entwerfen hauptsächlich auf den Straßen von NYC. Wir lieben es, die Menschenmassen in East Village, Chinatown, Tribeca, Soho oder Williamsburg zu beobachten und uns gleichzeitig durch Lektüre über die wichtigsten News auf der Welt auf dem Laufenden zu halten. Danach erst treffen wir eine Entscheidung über eine neue Kollektion, eine neue Silhouette, die Farbpalette und die Verarbeitung.“
Beide Brand-Gründer stammen aus China: Haron Li kommt aus Qingdao, einer Hafenstadt im Osten der Volksrepublik, Siying Qu, die weibliche Private-Policy-Gründerin aus Qinghai, einer Stadt im Nordosten des tibetischen Hochlands. Dennoch sind sie sich erst im Rahmen ihrer Ausbildung an der renommierten New Yorker Parsons School of Design, dem „Harvard für Modedesign“, über den Weg gelaufen. Beide dankten ihren jeweiligen Familien dafür, dass sie ihnen die Chance für ein Studium fernab der Heimat ermöglicht haben, wobei Haron Li im Rahmen eines Schüleraustausch-Programms schon eine Highschool in Kanada besuchen konnte. Als die beiden 2015 im gleichen Raum an ihrem Abschluss arbeiteten, lernten sie sich näher kennen. Und fassten anschließend spontan den Entschluss, ein gemeinsames Label zu etablieren.
Beim gemeinsamen Grübeln am Küchentisch über einen möglichst prägnanten Namen, der keinesfalls aus einer Zusammenführung der beiden Familiennamen bestehen sollte, kamen sie auf die Idee, eine Abwandlung des im Web omnipräsenten Begriffs „Datenschutzrichtlinie“, zu verwenden. „Also haben wir das Wort für unseren Markennamen irgendwie verdreht, und dabei ist dann Private Policy herausgekommen.“ Weil damit auch am besten zum Ausdruck gebracht werden konnte, „dass soziale und politische Themen von Anfang an in die DNA der Marke integriert sein sollten“, schreibt Haoran Li auf der Seite des Labels. „Wir wollen Mode als ein Medium sehen, um zu reflektieren, was in der Welt vor sich geht, fast wie eine Nachrichtenagentur.“ Und seine Partnerin Siying Qu hatte direkt auf das große Vorbild Vivienne Westwood verwiesen, der es als große Modepersönlichkeit vorbildlich gelungen sei, „das Persönliche und Politische auf dem Laufsteg konsequent miteinander zu verbinden“.
Im Unterschied zu ihren asiatischen Designer-Vorgängern, deren Hauptziel es war, sich im Wesentlichen auf dem lukrativen amerikanischen Markt durchzusetzen, wollten Private Policy von Anfang an nicht nur in den USA erfolgreich sein, sondern auch in China Kunden und Kundinnen gewinnen. Aus diesem Grund haben sie ihre Kollektionen nicht nur auf der New York Fashion Week, sondern auch auf der Shanghai Fashion Week präsentiert. Die Präsenz in der Heimat bringt für das Duo auch den Vorteil mit sich, dass sie zweimal pro Jahr in Shanghai ihre wegen eines hohen Qualitäts-Standards ausgewählte Boutique-Fabrik besuchen können, in der ihre in New York entworfenen Kleider hergestellt werden. „Dank der globalen Vernetzung durch das Internet und Transport-Logistik können wir den größten Teil des Produktionsprozesses von New York City aus bestens verwalten.“
Die geschlechtsspezifische Kleider-Trennung halten Private Policy für überholt und nicht mehr zeitgemäß. „Dass wir unsere Marke geschlechtslos ausgerichtet haben, ist keine Marketingstrategie. Es hat einfach damit zu tun, dass unser Stil jugendlich und lässig ist. Wir sehen keine Notwendigkeit, Menswear und Womenswear mit Labeln zu trennen. Wenn ein Junge unsere Klamotten liebt, soll er sie tragen. Und wenn ein Mädchen darin gut aussieht, soll sie sie ebenfalls anziehen. Wir möchten uns da nicht mehr von Grenzen beschränken lassen. Hemden, Röcke, Kleider oder Jacken haben kein Geschlecht. Es gibt inzwischen viele Frauen, die in der Abteilung für Herrenbekleidung shoppen gehen. Und junge Männer schauen sich in der Damenabteilung um, um coole Farben und lustige Prints zu suchen. Private Policy möchten jedem Kunden die Freiheit eröffnen, sich bei der Kleidung ganz nach seinem persönlichen Geschmack zu richten.“
Klassenkampf als Modethema
Seine erste Kollektion für den Sommer 2016 hatte das Label schon im September 2015 auf der New York Fashion Week vorgestellt. Trotz Lobeshymnen wurde in der Berichterstattung allerdings noch kein prägnantes sozialpolitisches Motto erwähnt. Das betraf auch die zweite Kollektion für Herbst/Winter 2016/2017, welche reich an strukturierten Stoffen wie Satin-Samt und Seidenwolle war und vor allem für hochwertige Bomberjacken, Pullover mit grafischen Prints und unkonventionelle Hosen ausgezeichnet wurde. Dabei hatte sich die Kollektion dem Thema Klassenkampf zwischen Arm und Reich verschrieben, angelehnt an den Science-Fiction-Actionfilm „Snowpiercer“ aus dem Jahr 2013. „Seidenwolle und Samt wurden im Laufe der Geschichte oft für königliche Kleidung verwendet. Wir haben diese Stoffe ganz bewusst eingesetzt, nicht etwa um daraus kostbare Couture-Kleidungsstücke zu machen, sondern alltägliche Bomberjacken oder lässige Mini-Shorts.“
Mit dem wachsenden Bekanntheitsgrad des Labels und nach den ersten Interviews mit den beiden Gründern wurden die gesellschaftspolitischen Themen immer häufiger erwähnt. So zielte beispielsweise die Herbst-/Winterkollektion 2017/2018 mit dem Titel „Polycephaly“ auf die Globalisierung ab, wofür Länder-Originalflaggen zu Textil-Collagen verarbeitet wurden. Mit ihrer Winterkollektion 2020/2021 nahm Private Policy die dunklen Seiten der US-Pharma-Industrie ins Visier. Die Looks griffen daher Elemente aus der Medizinbranche wie Laborkittel oder Latex-Handschuhe auf. In ihrer Sommerkollektion 2020 hat die Marke unter dem Titel „Family Diner“ die Probleme queerer asiatisch-amerikanischer Paare modisch thematisiert. In der Wintersaison 2021/2022 setzte Private Policy dann ein starkes Statement gegen Rassismus, den chinesische Arbeiter beim Bau der Transkontinentalen US-Eisenbahn in den 1860er-Jahren erdulden mussten. Modisch wurde das durch eine Kombination von traditionellen chinesischen Kleidungsstücken wie Strohhüten oder Mandarinkragen sowie mit amerikanischen Klassikern wie Cowboystiefeln, Denim-Midishorts oder utilitaristischen Jacken, die größtenteils in einem schrägen Karo-Muster gestaltet waren, umgesetzt. Daneben gab es aber auch Frottee-Kleider mit seitlichen Knöpfen oder Nylon-Bomberjacken zu bestaunen.
Nachhaltige Materialien
Die Sommerkollektion 2022 war dem Thema Nachhaltigkeit gewidmet und setzte sich unter dem Titel „Urban Plants“ für eine Begrünung von Großstädten wie New York ein. Die Looks, die auf einem mit Pflanzen in großen Vasen geschmückten Laufsteg präsentiert wurden, waren von Lavendeltönen und reichlich recyceltem Organza geprägt. Die Show wurde mit einem langärmeligen Lavendel-Oberteil in Kombination mit einer weißen Hose eröffnet. Sehr feminin kam dann ein atemberaubender Lavendel-Bleistiftrock daher, der zu einem Rollkragenpullover mit Blumenmuster getragen wurde. Es gab aber auch viel Schwarz zu sehen, von maßgeschneiderten Abendkleidern mit bis zum Oberschenkel reichendem Schlitz bis hin zu einem schwarzen Trainingsanzug. Auch Bomberjacken durften wieder nicht fehlen.
Für ihre aktuelle Winterkollektion hat Private Policy Pilze und deren für die Erde nützlichen Selbstheilungskräfte unter dem Titel „Organic Futurism“ in den Blick genommen. Logischerweise tauchte Pilzleder in den Kreationen auf, aber auch nachhaltiges Nylon, beispielsweise bei einer Bomberjacke in Jägergrün mit boleroartigen Ärmeln. Die meisten Kleidungsstücke waren utilitaristisch-futuristisch aus flauschigen Texturen geschneidert, fast jedes Stück verfügte über riesige Cargo-Taschen. Zudem präsentierte Private Policy sein erstes eigenes, plissiert-flaches Schuhmodell, das gewisse Ähnlichkeit mit chirurgischen Schuhüberziehern aufwies.
Die Sommerkollektion 2023, die in einem Feuerwehrhaus in Chinatown präsentiert wurde und bei dem die Models direkt vom Bürgersteig auf Plateauabsätzen zum Catwalk stolzierten, hat das Label unter das Motto „Capturing Peace for all“ gestellt und dabei Bezug auf die biblische Geschichte um die Arche Noah genommen. Die „Vogue“ bescheinigte der Brand anschließend, nach sieben Jahren erwachsen geworden zu sein und nicht mehr nur die coolen Kids rund um den Block ansprechen zu können. Natürlich tauchte auch die Taube bei vielen der 27 Looks als Print-Detail auf. Aber auch das charakteristische asymmetrische Karo-Muster war auf Kapuzenpullovern, Kleidern, weit ausgeschnittenen Oberteilen oder Button-up-Hemden zu sehen. Ebenso waren Mesh-Stoff und schimmernde Pailletten reichlich vertreten. „Clubwear zu entwerfen“, so die „Vogue“, „ist das, was Qu und Li am besten können.“ Beispielhaft waren diesmal Cut-out-Tops, Minikleider, Spaghettiträger-Tanks, Cargo-Hosen, BH-Tops oder Baggy-Denim. Das Finale bildete das erste, mit einem sparsamen Schleier kombinierte Brautkleid von Private Policy aus recyceltem Polyester-Satin. „Sobald du den Schleier abgenommen hast“, so Siying Qu, „kannst du damit aber auch gleich am nächsten Tag zur Arbeit gehen.“