Der erfolgsverwöhnte Bob- und Schlittenverband hat auf Medaillenvorgaben bei Bob, Rodeln und Skeleton verzichtet. Und doch zählen die Starter in allen drei dem Verband unterstellten Disziplinen zu den absoluten Topkandidaten.
Das Yanqing National Sliding Center ist schon eine Mega-Anlage. Hier, rund 75 Kilometer nordwestlich von Peking gelegen, werden die olympischen Wettbewerbe im Bob, Rodeln und Skeleton ausgetragen. Für die erste Eisbahn Chinas wurden keine Kosten gescheut, es wurde geklotzt und nicht gekleckert. Der komplett überdachte Neubau verschlang rund zwei Milliarden Euro, ähnelt aus der Luftperspektive einem chinesischen Drachen und weist eine Gesamtlänge von 1.975 Metern auf. Davon werden für die Rennen jedoch nur 1.615 Meter mit 16 Kurven und Gefällen von bis zu 18 Prozent genutzt. Ein Novum der pompösen Bahn ist die 360-Grad-Kurve. Es ist eine technisch sehr anspruchsvolle Strecke, die die deutschen Bobfahrer im Herbst 2021 bei Testfahrten schon erprobt und dabei dominiert hatten. Auch die Rodler hatten im vergangenen November hier schon einen Weltcup ausgetragen. Für Exoten dürfte die Bahn kaum zu bewältigen sein, was Jamaika allerdings nicht davon abhalten konnte, gleich drei Bobschlitten zu melden und Hollywood damit womöglich eine glänzende Vorlage für einen zweiten Teil der Komödie „Cool Runnings – Dabei sein ist alles" zu liefern.
Bob: Die vier Bob-Wettbewerbe werden mit jeweils vier Läufen zwischen dem 13. und dem 20. Februar ausgetragen. Das deutsche Team besteht aus acht Frauen und 14 Männern, wobei vier Athleten nur als Reserve mit anreisen. Bei den Männern dürfte im Zweier- und Viererbob Francesco Friedrich kaum zu schlagen sein. Der deutsche Dominator und Doppel-Olympiasieger von Pyeongchang 2018 konnte in seiner einzigartigen Karriere bereits 66 Weltcup-Siege und 102 Podestplätze einfahren. In der aktuellen Weltcup-Saison stand er nur bei zwei Rennen im Zweier und Vierer nicht auf dem obersten Treppchenplatz. Anfang Januar 2022 waren ihm in Sigulda im Zweier gravierende Fahrfehler unterlaufen. Und beim Viererbob-Weltcup in St. Moritz Mitte Januar hatte er zwei seiner Olympia-Anschieber geschont. Dank seiner genialen Startzeiten kann der Perfektionist auf Kufen sogar etwaige kleinste Pannen auf der Strecke problemlos ausbügeln und wird im Ziel in der Regel immer noch die Nase vorn haben. Dabei sind im Bobsport letztlich drei Faktoren entscheidend: ein Drittel Start, ein Drittel Fahrt und ein Drittel Material.
Für Exoten kaum zu bewältigen
Zum Auftakt der aktuellen Weltcup-Saison hatte sich Team-Kollege Johannes Lochner etwas vollmundig selbst zum Hauptkonkurrenten des unschlagbaren Friedrich ernannt und „mindestens Silber" als sein persönliches Peking-Ziel ausgegeben. Nach dem bisherigen Saisonverlauf scheint ein deutscher Doppelsieg vor allem im Zweier möglich zu sein. Doch wie auch im Viererbob dürfte es ziemlich starke Konkurrenz im Kampf um die Medaillen geben: mit dem Briten Brad Hall, dem Kanadier Justin Kripps, dem Österreicher Benjamin Maier, dem Letten Oskars Kibermanis oder dem Russen Rostislaw Gaitjukewitsch zum Beispiel. Deutschlands drittem Starter Christoph Hafner können allenfalls Außenseiter-Chancen eingeräumt werden. Beim Weltcup in Altenberg konnte er im Dezember im Zweier aber immerhin den zweiten Platz belegen.
Bei den Frauen taucht mit dem Monobob erstmals ein neuer Wettbewerb im olympischen Programm auf. Medaillenchancen sind den beiden deutschen Teilnehmerinnen Mariama Jamanka und Laura Nolte nur bedingt zuzutrauen. Dafür erscheint die internationale Konkurrenz mit den beiden US-Amerikanerinnen Kaillie Humphries und Elana Meyers Taylor sowie der Kanadierin Cynthia Appiah einfach zu stark. Im Rahmen der Monobob-Weltserie ist den deutschen Frauen in der noch jungen Disziplin bislang kein einziger Sieg gelungen. Allerdings konnte Laura Nolte in dieser Saison schon viermal Podestplätze belegen und Jamanka holte sich Mitte Januar den EM-Titel. Deutlich siegfähiger sind die deutschen Damen im Zweierbob, wobei es im deutschen Team keine klare Nummer eins gibt. Beim auch als EM ausgetragenen Weltcup in St. Moritz Mitte Januar siegte Kim Kalicki vor Mariama Jamanka und Laura Nolte. Nolte verpasste durch den dritten Platz ganz knapp den Weltcup-Gesamtsieg 2021/2022 gegen die US-Pilotin Elana Meyers Taylor. Sie dürfte bei Olympia neben der Kanadierin Christine de Bruin und der Amerikanerin Kaillie Humphries zu den stärksten Konkurrentinnen des bundesdeutschen Trios zählen.
Rodeln: Die Rodler hatten sich zwischen dem 5. und dem 10. Januar in vier Wettbewerben gemessen. Wobei Frauen und Herren im Einsitzer vier Läufe zu bewältigen hatten, es im Herren-Doppelsitzer zwei Läufer gab und es in der Teamstaffel bei einem Lauf blieb. Bei den deutschen Männern hat der inzwischen 35-jährige Johannes Ludwig die beste Saison seines Lebens hingelegt und konnte dadurch die Lücke schließen, die der lange Zeit schwächelnde Felix Loch aufgetan hatte. Jüngst zeigte sich der Vorzeigerodler aber wieder in aufsteigender Form. Nach seinem Triumph in Oberhof Mitte Januar, seinem fünften Saisonsieg, konnte Ludwig erstmals in seiner Karriere den Weltcup gewinnen. Damit hatte er sich in die Gold-Favoritenrolle katapultiert und seine beiden ebenfalls bei Olympia antretenden Landsleute Felix Loch und Max Langenhan erheblich unter Druck gesetzt. In Sigulda konnte Felix Loch Anfang Januar mit Rang eins im Sprint seine Sieglosserie beenden und zusätzlich im Einsitzer-Wettbewerb den zweiten Platz belegen. Doch die internationale Konkurrenz ist nicht von Pappe. Da wären beispielsweise die Österreicher Wolfgang Kindl und Nico Gleirscher, der Italiener Dominik Fischnaller, der Russe Roman Repilow oder der Lette Kristers Aporjods zu nennen.
Bei den deutschen Damen hat die amtierende Weltmeisterin Julia Taubitz die Doppelolympiasiegerin Natalie Geisenberger als Frontfrau abgelöst. Dennoch scheint ein deutscher Doppelsieg möglich zu sein, auch wenn die starke Österreicherin Madeleine Egle oder die Russin Tatjana Iwanowa sicherlich etwas dagegen haben werden. Und Anna Berreiter, der dritten deutschen Starterin, ist durchaus eine Überraschung zuzutrauen. Bei den Doppelsitzern ist die langjährige deutsche Vormachtstellung durch die Tandems Toni Eggert/Sascha Benecken und Tobias Wendl/Tobias Arlt diese Saison etwas ins Wanken geraten, weil sie schon mal den Österreichern Thomas Steu/Lorenz Koller oder dem Letten-Brüderpaar Andris und Juris Sics den Vortritt lassen mussten. Allerdings konnte der deutsche Doppelsieg beim Weltcup in Oberhof Mitte Januar durchaus Hoffnungen auf olympisches Edelmetall wecken. In der Teamstaffel am 10. Februar kann sich die deutsche Equipe eigentlich nur selbst schlagen. Wenn alles glattgehen sollte, dürfte bei dem Mixedwettbewerb die Goldmedaille herausspringen.
Francesco Friedrich kaum zu schlagen
Skeleton: Die beiden Skeleton-Wettbewerbe mit jeweils vier Läufen werden zwischen dem 10. und dem 12. Februar über die Yanking-Bühne gehen. Bei den Herren können die drei deutschen Starter Christopher Grotheer, Axel Jungk und Alexander Gassner nach dem bisherigen Saisonverlauf durchaus zu den Medaillenkandidaten gerechnet werden. Jungk und Grotheer belegen im Weltcup-Ranking die Plätze zwei und drei hinter dem starken Letten Martins Dukurs. Aber auch die Russen Nikita Tregubow und Alexander Tretjakow wollen beim Kampf um Edelmetall ein Wörtchen mitreden. Bei den deutschen Frauen konnte Vizeweltmeisterin Jacqueline Lölling nur dank einer sogenannten Härtefallregelung noch den Sprung nach Peking schaffen, weil sie die geforderten Qualifikationskriterien eigentlich nicht erfüllt hatte. Daher dürften die deutschen Hoffnungen eher auf den Schultern von Tina Hermann, der Zweitplatzierten im Weltcup, und Nachwuchstalent sowie Junioren-Weltmeisterin Hannah Neise ruhen. Aber der Favoritenkreis ist groß, allen voran die Niederländerin und Weltcup-Führende Kimberley Bos.