Nach drei umstrittenen Austragungsorten kehren die Olympischen Winterspiele 2026 zurück in einen traditionellen Wintersportort. Doch auch in Cortina d‘Ampezzo wird nicht alles so sein wie früher. Kritik gibt es vor allem an der Distanz zu Mailand.
James Bond steht an der Sprungschanze, als er im Auslauf seine Verfolger erkennt. Er will umkehren, doch da wartet schon der nächste Bösewicht mit der Hand an der Waffe. Also Skier angeschnallt – und los geht die wilde Verfolgungsjagd! Einen Widersacher schüttelt 007 beim Sprung von der Schanze ab, einen zweiten beim alpinen Ritt auf Brettern durch den prächtigen Schnee. Einzig der blonde Schurke auf dem Motorrad, das mit reichlich Feuerkraft ausgestattet ist, kann ihm noch folgen. Bond bleibt keine andere Wahl, als die waghalsige Flucht in einer Bobbahn fortzusetzen. Er ist dabei auf Skiern schneller als ein Viererbob und findet trotzdem die Muße, die verdutzten Männer im Schlitten zu grüßen.
Diese für viele Bond-Fans epische Verfolgungsjagd ist eine Szene aus dem Film „In tödlicher Mission“ (1981), in dem Roger Moore den britischen Top-Agenten spielt. Als Schauplatz dienen die Winterlandschaft mit den wunderschönen Dolomiten im Hintergrund und die Wettkampfstätten von Cortina d‘Ampezzo. Hier fanden schon 1956 die Olympischen Winterspiele statt, und 70 Jahre später wird das größte Sportfest der Welt dorthin zurückkehren. Der Wintersportort im italienischen Norden ist gemeinsam mit der Metropole Mailand der Gastgeber der Winterspiele 2026.
James Bond sprang von der Schanze
Das klingt zunächst nach Tradition, Nachhaltigkeit und Rückbesinnung auf olympische Werte, was gerade vor dem Hintergrund der drei vorangegangenen Winterspiele in Sotschi, Pyeongchang und in Peking herbeigesehnt wird. Eine „Rückkehr an die Wurzeln“ versprechen die Organisatoren, das Internationale Olympische Komitee (IOC) kann endlich Erfolge seiner Agenda 2020 feiern. „Die italienischen Winterspiele 2026“, schrieb die „Gazetta dello Sport“ voller Pathos, „werden bestimmt mehr Seele als jene in Peking haben“. Aber ist der Jubel wirklich gerechtfertigt?
„Die Olympischen Spiele stehen jetzt vor einer Zäsur“, meinte Chef de Mission Dirk Schimmelpfennig vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), der heilfroh über die Rückkehr des Mega-Events „in den Alpenraum“ ist. Die Organisatoren versprechen deutlich weniger Gigantismus als der, der die Menschen zum Beispiel in Peking nahezu erschlagen hat. „Wir zeigen einen neuen Weg auf“, versicherte OK-Chef Giovanni Malago, „wir stoppen die Dynamik, die zu immer größeren Investitionen geführt hat.“ Bewährte Austragungsorte wie Bormio, Antholz und Val di Fiemme stehen bereits, und die Macher wollen auch auf Wettkampfstätten zurückgreifen, in denen Athleten schon 1956 um Medaillen gekämpft hatten.
Laut Cortinas Bürgermeister Gianpietro Ghedina seien „93 Prozent der Wettkampfstätten bereits gebaut“, aber natürlich müsse man „die Infrastruktur modernisieren“. Die Eugenio Monti-Bobpiste (seit 2008) und die olympische Skisprungschanze (seit 1990), auf denen Roger Moore – oder besser gesagt sein Stunt-Double – als James Bond hinuntergerast war, sind längst außer Betrieb. Für die Modernisierung bedarf es auch in einem traditionellen Wintersportort viel Geld. Das Budget der Spiele 2026 beträgt etwa 1,4 Milliarden Euro. Das ist deutlich weniger als in Peking oder Pyeongchang, aber immer noch gigantisch. Die italienische Regierung will zudem allein in die Verkehrsinfrastruktur eine Milliarde Euro pumpen. Schon 2006 in Turin, als zuletzt Olympia in Italien Halt gemacht hat, war es zu massiven Transportschwierigkeiten gekommen. Die neue Dimension verschärft das Problem.
„Die größte Herausforderung wird die Logistik“, verriet OK-Chef Malago. Das liegt an den riesigen Entfernungen, die während der Spiele überbrückt werden müssen. Zwischen Mailand (Eishockey, Eiskunstlauf, Shorttrack) und Cortina (Alpin Frauen, Bob, Rodeln, Skeleton, Curling) liegen fünf Autofahrtstunden und 400 Kilometer. Zwischen Bormio (Alpin Männer, Snowboard, Freestyle) und Cortina 300 Kilometer. Ski Nordisch wird in Val di Fiemme abgehalten, die Biathleten wetteifern in Antholz. Alles in allem umfasst die Region für die Wettkämpfe in Lombardei, Venetien und Trentino Südtirol stolze 22.000 Quadratkilometer. Angeblich soll es vier olympische Dörfer geben, um die Reisestrapazen für die Athleten in Grenzen zu halten. Schon jetzt steht fest, dass Eröffnungsfeier (im Mailänder Fußballtempel Giuseppe Meazza) und Schlussparade (im römischen Amphitheater von Verona) an unterschiedlichen Orten abgehalten werden. Sieht so wirklich eine „Rückkehr an die Wurzeln“ der Olympischen Spiele aus?
„Da kann kein Olympia-Feeling aufkommen und dann vergeht mir die Lust daran. Der olympische Geist wird fehlen und das gefällt mir nicht.“ So wurde die italienische Skirennfahrerin Federica Brignone kürzlich in heimischen Medien zitiert, was für einen heftigen Wirbel im Gasteberland gesorgt hat. „Es ist schön, dass die Winterspiele nach Jahren in fremden Ländern wieder an traditionsreichen Orten stattfinden. Aber es ist schade, dass die Wettkampfstätten an verschiedenen Orten sein werden. Es ist wahrscheinlich sogar so, dass die Skimänner an einem anderen Ort ihre Wettkämpfe bestreiten, als wir Frauen“, sagte die zweifache Medaillengewinnerin von Peking und schloss ihren Start in vier Jahren nahezu aus.
Zehn Millionen Besucher sollen kommen
Solche Aussagen gefielen dem italienischen Verband ganz und gar nicht, auf dessen Intervention entschärfte Brignone kurze Zeit später ihre größte Kritik. Sie sei falsch verstanden worden, die Spiele in den italienischen Bergen seien „für jeden Skifahrer aus Italien ein wichtiges Ziel“. Sie selbst werde sie sich „auf keinen Fall entgehen lassen“, egal ob als „Athletin, Botschafterin oder Zuschauerin“.
Atmosphärische Spiele der kurzen Wege, so wie sie 1994 im norwegischen Lillehammer, dem Ideal der meisten Wintersport-Freunde, abgehalten wurden, wird es trotz der Agenda 2020 des IOC wohl nicht mehr geben. Auch die 27.000-Einwohner-Stadt Lillehammer könnte das Mammut-Programm heute gar nicht mehr alleine stemmen: Statt wie damals 61 finden nun 109 Wettbewerbe statt, entsprechend gewachsen sind die Teilnehmerzahlen und die infrastrukturellen Voraussetzungen. Mailand/Cortina rechnet mit rund zehn Millionen Besuchern. Bei Mitbewerber Schweden, das mit Stockholm-Are in die Wahl um die Olympia-Gastgeberrolle 2026 gegangen war, wären die Distanzen zwischen den Hauptorten mit 600 Kilometern sogar noch größer gewesen. Der Trend zu räumlich verzerrten Spielen ist unverkennbar: So war es schon in Peking, und so würde es auch 2030 werden, wenn sich die interessierte Mittelmeer-Metropole Barcelona für eine Bewerbung der Winterspiele entscheidet und sich am Ende durchsetzt.
Diese Dezentralisierung hat einen Grund: Die Veranstalter wollen möglichst keine neuen Sportstätten wie den rund zwei Milliarden teuren Eiskanal nördlich von Peking bauen. Man wolle an alte Sportstätten, die etwas verstreuter sind, zurückkehren und diese modernisieren, um „ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit“ zu garantieren, betonte Malago.
Doch Naturschützer sehen das anders. „Von Nachhaltigkeit keine Spur“, schrieb die Internationale Alpenschutzkommission CIPRA kürzlich in einem offenen Brief ans IOC. Die Alpen seien generell „als Austragungsort für Großveranstaltungen wie die Olympischen Spiele ungeeignet“. Und wenn sie doch dort stattfinden sollen, dann bitte schön in deutlich reduzierter Form. „Weniger Disziplinen und Personen direkt vor Ort“ – so lautete die deutliche Empfehlung von CIPRA.
Insbesondere die kostspielige und aufwendige Widerherstellung der Bobbahn in Cortina lassen Naturschützer nicht als nachhaltiges Projekt durchgehen. Sie fordern, dass die Wettbewerbe im Bob, Rodeln und Skeleton stattdessen im Eiskanal in Innsbruck stattfinden. Die Stadt in Österreich liegt 160 Kilometer entfernt von Cortina, was im Vergleich zur Strecke nach Mailand fast ein Katzensprung ist. Auch das Prestigeprojekt „Pala Italia“, wo in vier Jahren unter anderem Eishockey gespielt werden soll, ist umstritten und hinkt dem Zeitplan hinterher. Ob wie geplant im Herbst wirklich der Baustart erfolgt – ungewiss. Es komme aktuell zu Verzögerungen bei den Planungen, gab OK-Chef Malago zu. Er forderte, in den Bereichen Infrastruktur, Wettkampfstätten und Logistik die Aktivitäten zu beschleunigen und die Bürokratie zu überwinden. „Wir sind hinten dran“, bestätigte Malago: „Zweieinhalb Jahre sind weggeworfen worden.“ Aber immerhin wird es diesmal echten Schnee und keinen Kunstschnee aus der Kanone geben. Oder doch nicht? Auch Cortina leidet unter einem zunehmenden Schneemangel, die Folgen des Klimawandels werden zudem in vier Jahre eher größer als kleiner sein. Laut Berechnungen einer aktuellen Studie wären im Jahr 2050 von den 21 Wintersportorten, die bisher Olympia-Gastgeber waren, lediglich vier in der Lage, auf natürlichem Wege faire Bedingungen zu gewährleisten: Lillehammer, Olso, Lake Placid und Sapporo.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Winterspiele 2026 zwar bei Weitem nicht den Gigantismus bedienen werden wie es jene in Peking getan haben. Aber eine Rückkehr zur alten „Wintersport-Romantik“ ist auch nicht zu erwarten. Dafür ist das Programm weiterhin viel zu aufgeblasen und die logistischen Herausforderungen zu gewaltig.
Mit Weitsicht haben derweil die Sportfans für das offizielle Logo der Spiele abgestimmt. Die Wahl fiel auf „Futura“, auf dem modern gehaltenen Emblem sind die in „Eis-Weiß“ gehaltenen Ziffern „2“ und „6“ zu sehen. Sie sind beide miteinander verbunden und sollen den Zusammenhalt der olympischen Familie symbolisieren. Solche Zeichen kann es angesichts der aktuellen Welt-Krise in der Politik gar nicht genug geben.