Der US-Hersteller bringt erstmals ein E-Auto auf den Markt. Der „Avenger“ ist klein, wendig und vergleichsweise günstig. Nur ins Gelände sollte man ihn nicht entführen.
An was denken Sie zuerst, wenn Sie den Namen „Jeep“ hören? An Abenteuer im Gelände? Matschige Offroad-Strecken? Große, bullige Geländewagen? Der Jeep Avenger, das erste reine Elektroauto der US-amerikanischen Traditionsmarke, setzt andere Prioritäten. Das Abenteuer im Gelände: Könnte schwierig werden, wenn keine Steckdose in der Nähe ist. Matschige Pisten: Lieber nicht, denn der Avenger kommt ohne Allrad-Antrieb daher. Und die Größe: Er ist vier Meter lang, wie ein Opel Corsa. Das soll ein Jeep sein? Oh ja, und was für einer! Endlich traut sich mal ein Hersteller, den derzeitigen SUV-Größenwahn zu durchbrechen. Echte Geländefahrten sind in unseren Breiten ohnehin kaum möglich, während kleine, bezahlbare E-Autos fehlen. Der Avenger könnte also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Wuchtig aussehen, aber gleichzeitig einen Preis bieten, der bei knapp über 30.000 Euro (nach Förderung) beginnt. Vielleicht ist so auch der Name „Avenger“ (zu Deutsch: Rächer) zu verstehen. Der kleine Stromer rächt sich an allen, die unbedingt einen SUV wollten und sich hinterher beschweren, dass sie keine Parklücke finden.
Bedrohlich sieht der Avenger nur von vorne aus, wenn überhaupt. Wie zusammengekniffene Augen schauen einen die schmallippigen Voll-LED-Scheinwerfer an. Dazwischen der Jeep-typische „Sieben-Slot-Kühlergrill“, der beim Elektromodell nur angedeutet ist. Ansonsten ist er, nun ja, kompakt. Wenn man zu zweit unterwegs ist, bekommt man keine Platzprobleme. Ansonsten wird’s eng, denn hinten kann über längere Strecken niemand bequem sitzen. Zwar ist die Kopffreiheit durchaus gegeben, doch die Sitzlehnen drücken ans Knie. Für Kindersitze oder Hunde-Transportboxen ist die Rückbank aber durchaus geeignet.
Obwohl der Kofferraum bescheiden ausfällt, macht der Avenger das Beste aus seinen Maßen: Überall gibt es praktische Staufächer, in der Mittelkonsole sogar eines mit faltbarer Abdeckung, wie bei einem Tablet-Computer. Falls das immer noch nicht reicht, bieten serienmäßige Taschen in den Sitzen eine weitere Ablage-Möglichkeit. Das schränkt die Beinfreiheit etwaiger Passagiere zwar noch mehr ein, sorgt aber dafür, dass nie wieder ein Geldbeutel, Handy oder Trinkbecher beim Bremsen durch die Gegend fliegt.
Richtige Knöpfe statt Touch-Elemente
Generell verzichtet der Innenraum auf jeglichen Firlefanz. Während viele Hersteller fast nur noch auf Touch-Elemente setzen, gibt es im Avenger „richtige“ Knöpfe und sogar einen Drehregler für die Lautstärke. Mich erinnert der Elektro-Jeep ein bisschen an den Dacia Spring – ebenfalls ein kleines, praktisches Elektroauto, das sich allerdings sehr wackelig anfühlte und beim Crashtest versagte. Beim Jeep hingehen ruckelt nichts. Das viele Hartplastik im Innenraum stört mich auch nicht. Schließlich kann man es gut abwaschen – perfekt für den staubigen Großstadt-Dschungel.
Der Avenger rollt los, das Lenkrad ist griffig, die Federung straff. Zwar hat er nur einen Frontantrieb, aber ein Hauch von Geländewagen steckt dennoch in ihm: So kann man verschiedene Fahrprofile (Sand, Schlamm, Schnee) auswählen, die zu einer Anpassung der ESP-Steuerung führen. Das mag hilfreich bei einem Wintereinbruch in Köln-Deutz sein. Über einen verschneiten Alpenpass würde ich mit dem Avenger hingegen nicht fahren. Ein echtes Unikat sind die Blinker: Statt des typischen Klick-Geräuschs klingen sie wie ein Bass. Probt hier ein Schlagzeuger unter der Motorhaube? Wohl kaum, aber die Idee ist lustig.
Was die Technik anbelangt, verfügt der Avenger über eine Batterie mit einer Kapazität von 54 Kilowattstunden. Das ist genau so viel wie beim Opel Mokka, mit dem er sich eine Bau-Plattform teilt. Auf dem Papier soll er mit diesem Akku bis zu 392 Kilometer weit kommen. Aber Papier ist geduldig. Bei meiner Testfahrt über die Autobahn geht jedenfalls schon nach knapp 250 Kilometern die Warnlampe an. Im Winter sinkt die Reichweite erfahrungsgemäß weiter, sodass dann bei Autobahn-Fahrten vermutlich nur noch um die 200 Kilometer drin sind.
Außerdem ist bei einer Geschwindigkeit von 150 km/h Schluss. Schneller fährt der Avenger nicht. Vermutlich, damit der Akku nicht in die Knie geht. Wer täglich zur Arbeit pendelt und zu Hause eine Wallbox hat, wird mit diesen Werten kein Problem haben. Für häufige Langstrecken-Touren ist der Avenger hingegen nicht geeignet – schon gar nicht in Regionen, in denen kein engmaschiges Schnellladenetz existiert. Er ist und bleibt eben ein kleines Auto mit entsprechend kleiner Batterie und – zumindest halbwegs – kleinem Preis.
Eine positive Überraschung gibt’s an der Raststätte: Dort lädt der Avenger sogar etwas schneller als im Datenblatt vermerkt. Er braucht weniger als eine halbe Stunde, um wieder auf 80 Prozent zu kommen. Das macht Spaß! Nur, wo sind die Ladesäulen? Eine richtige Routenplanung, bei der das Navi automatisch Ladestopps für die eingegebene Strecke berechnet, gibt es im Avenger nicht. Aber immerhin ein Zwischending: In einer kleinen Spalte am rechten Rand sieht man, wo sich entlang der Route eine Ladestation befindet. Man muss diese jedoch manuell antippen, was nicht gerade praktisch ist.
Zahlreiche digitale Helfer serienmäßig
Außerdem kostet das Navi 1.190 Euro extra; nur in der teuersten und zweitteuersten Ausstattungsvariante ist es serienmäßig. Da es keinen Mehrwert gegenüber Geräten aus dem Fachmarkt bietet, kann man sich dieses Geld sparen. Oder gleich auf Google Maps umsteigen – sowohl Apple- als auch Android-Geräte lassen sich mit dem Avenger koppeln, das heißt, der Handybildschirm wird auf dem Auto-Touchscreen dargestellt. Apropos Bildschirm: Die Bedienelemente beschränken sich auf das Wesentliche. Keine Spielereien, keine bunten Kacheln oder Animationen. Ich mag diese schnörkellose Art. Man findet sofort, wonach man sucht.
Was ihm beim Navi fehlt, gleicht der Avenger an anderer Stelle wieder aus. Er hat viele digitale Helfer serienmäßig an Bord, zum Beispiel einen Notbremsassistenten mit Fußgänger- und Radfahrer-Erkennung, einen Spurhalte-Assistenten und eine Verkehrszeichen-Erkennung, die gut funktioniert. Nur der ebenfalls serienmäßige Müdigkeitsdetektor lässt mich etwas ratlos zurück. Obwohl ich mich während meiner nächtlichen Autobahnfahrt ziemlich platt fühle, geht keinerlei Warnmeldung los. Vielleicht bin ich einfach noch nicht müde genug oder der Avenger hat eine hohe Toleranz. Eine Pause mache ich trotzdem.
Während ich an der Strom-Tanke warte, schaue ich mir auf dem Handy die Preisverleihung des „Car of the Year 2023“ an. Gewonnen hat das Auto, in dem ich sitze – eine große Überraschung, denn Jeep war zuvor noch nie auf dem Siegertreppchen gewesen. Eine Jury aus europäischen Auto-Expertinnen und -Experten vergab 328 Punkte an den Avenger; mit deutlichem Abstand folgten der VW ID.Buzz und der Nissan Ariya. Der Stellantis-Autokonzern, zu dem Jeep gehört, verkündete kurz darauf, dass man sich durch die Auszeichnung in der eigenen Strategie bestätigt sehe, also in der Elektrifizierung der Flotte. Weitere E-Jeeps kommen demnächst auf den Markt.
So ganz überzeugt scheint der Hersteller von den eigenen Worten aber dann doch nicht zu sein. Anders als zunächst angekündigt, kann man den Avenger in Deutschland nämlich nun auch mit einem 1,2-Liter-Benzinmotor kaufen. Da der Verbrenner 10.000 Euro weniger kostet als der Stromer, kann man sich ausrechnen, zu welcher Antriebsart die Kundschaft eher tendieren wird. So schnell der Klimaschutz propagiert wird, so schnell rückt er bei wirtschaftlichen Erwägungen offenbar wieder in den Hintergrund. Grün ist am Ende eben vor allem die Farbe des Dollars.