Es muss nicht immer die S-Klasse sein. Mit dem EQE bietet Mercedes eine geschrumpfte Variante seiner elektrischen Luxus-Limousine an. Die fährt sich fast identisch, leistet sich aber einen Patzer.

War das nicht eben ein Schlagloch? Und da, schon wieder, eine Bodenwelle? Die Widrigkeiten des Straßenbelags, die einen normalerweise ordentlich durchschütteln, dringen in den Innenraum kaum vor. Liegt’s an den Sitzen? Am Fahrwerk? Oder nicht doch an der Einbildung des Fahrers, der nicht jeden Tag in einem Luxusauto sitzt? Vielleicht ein bisschen von allem.
Die Fahrt mit dem Mercedes EQE, der elektrischen E-Klasse, startet angenehm ruhig. Die anderen Fahrzeuge, die auf der Autobahn vorbeiziehen, verblassen zu einem Hintergrundrauschen. „Akustik-Komfort-Paket“ nennt Mercedes diese besondere Geräuschdämmung, die unter anderem durch ein spezielles Verbundglas entsteht. Getrübt wird die Freude nur dadurch, dass der Extra-Lärmschutz auch extra kostet, nämlich 900 Euro zusätzlich. Doch seien wir mal ehrlich: Für die gut betuchte Zielgruppe sind das „Peanuts“.
Mercedes macht zunehmend ernst mit der Elektrifizierung seiner Flotte. Neben diversen SUV-Modellen und Transportern hat der Stuttgarter Autobauer zwei Limousinen im Angebot: den hochpreisigen Luxusschlitten EQS (ab 109.550 Euro) und den etwas günstigeren EQE. Beide Fahrzeuge sehen von außen ähnlich aus, unterscheiden sich aber in der Ausstattung: Der EQS hat den größeren Akku, ist etwas länger und lässt sich mit einigen Extras bestücken, auf die der kleine Bruder verzichten muss – zum Beispiel eine elektrisch verstellbare Rückbank oder Kopfkissen an den Kopfstützen.
Hyperscreen für 7.200 Euro extra

Verstecken muss sich der EQE deswegen nicht. Er wirkt mit seinen roten Sicherheitsgurten (Aufpreis: 300 Euro) sogar etwas sportlicher, und so fährt er sich auch. Einmal das Strompedal antippen, los geht’s wie in der Achterbahn. Mit bis zu 210 km/h reiht er sich mühelos auf der linken Fahrspur ein. Kein Wackeln, kein Ruckeln, gar nichts. Aber muss eine solche Raserei wirklich sein? Zu einem E-Auto, das für Nachhaltigkeit steht, passt es jedenfalls nicht. Auch der Strom fällt schließlich nicht einfach vom Mercedes-Sternenhimmel.
Bei meiner Testfahrt auf der A61 sind solche Geschwindigkeiten ohnehin nicht drin. Hier zuckelt man von einer Baustelle zur nächsten. Stattdessen ein bisschen Musik: „Hey, Mercedes, spiele SWR3!“ Sofort erfüllt der EQE meinen Wunsch, ohne dass ich die Hände vom Lenkrad nehmen muss. Ähnlich einfach verhält es sich beim Navi. Hier muss man nicht mal eine spezifische Adresse nennen. Der Name eines Restaurants oder Schwimmbads genügt, um das Auto auf die richtige Fährte zu locken. Bei weiten Strecken, die über die Akku-Kapazität hinausgehen, plant das Navi automatische Ladestopps ein. Das geht so einfach und natürlich, dass man sich fragt, warum viele andere Hersteller das nicht können. Na gut, deren Autos kosten auch nicht mehr als 100.000 Euro.

Selbstverständlich lässt sich der Luxusschlitten auch von Hand bedienen. Schade nur, dass die Touch-Knöpfe am Lenkrad ähnlich glitschig ausfallen wie bei VW. Eher mittelmäßig klingt der Sound. Hallo, Mercedes, wo ist der Bass?! Und dann dieser Riesenbildschirm! Der sogenannte Hyperscreen zieht sich über das komplette Armaturenbrett: In der Mitte eine Landkarte, die so groß wirkt wie ein aufgefalteter Stadtplan. Daneben ein weiterer Bildschirm für den Beifahrer. Dieser kann zum Beispiel den Batteriezustand darstellen oder Musik-Bibliotheken durchstöbern. Kostet auch „nur“ 7.200 Euro Aufpreis.
Allerdings lenkt die Spielerei gehörig vom Verkehr ab. Wer will während der Fahrt einzelne Straßennamen lesen oder animierte Flüsse bestaunen? Schon komisch: Aufs Handy zu starren wird zu Recht mit hohen Geldbußen belegt, aber wenn das Display „Hyperscreen“ heißt, stört es niemanden. Andererseits bietet der EQE so ziemlich jede technische Finesse an, die die Fahrt sicherer macht – vom Notbremssystem über einen Ausweich-Assistenten bis hin zur Spurwechsel-Automatik. Leider gehören viele dieser Goodies nicht zur Serienausstattung.
Einen Frunk sucht man vergeblich

Die Platzverhältnisse überzeugen. Zwar ist die Bein- und Kopffreiheit nicht ganz so üppig wie im EQS, aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Auch im kleineren EQE fühle ich mich immer noch wie ein Geschäftsführer. Bemerkbar macht sich der Unterschied beim Gepäck: 430 Liter passen in den Kofferraum, das ist deutlich weniger als die 610 Liter beim EQS. Auch einen Stauraum im vorderen Bereich („Frunk“) sucht man vergeblich. Den hat allerdings auch der EQS nicht. Stattdessen ist vorne ein Hepa-Filter verbaut, der Gerüche, Feinstaub, Viren und Bakterien aus der Luft filtern soll. So was gibt’s sonst nur im Flugzeug!
Der EQE fährt und fährt und fährt. Da er automatisch rekuperiert, also Strom beim Bremsen zurückgewinnt, sind selbst auf der Autobahn mehr als 500 Kilometer Reichweite drin. Das ist wirklich gut für ein E-Auto und macht ihn zu einem tollen Reisegefährten. Klar, die Testbedingungen sind sommerlich-optimal. Im Winter, wenn die Heizung läuft, dürfte die Reichweite noch etwas nach unten gehen. Und natürlich kann auch hier der große Bruder noch mehr.
Kleine Pause an der Schnellladesäule. Ich bleibe nur kurz stehen, weil die Ladestelle in der prallen Sonne liegt und es innen trotz angeschalteter Klimaanlage stickig wird. Aber Moment mal! Ist das nicht komisch? Sollte ein Luxusauto nicht auch dann angenehm temperiert bleiben, wenn es in der Sonne brutzelt? Spätestens als ich weiterfahre, stört mich die Fön-Luft, die aus den schicken Mercedes-Düsen strömt. Kurzer Check am Hyperscreen: Die Klimaanlage ist definitiv aktiviert. Zur Sicherheit schalte ich sie aus und nochmals an. Das Ergebnis bleibt gleich: Der EQE kühlt nicht.
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So sehe ich mich gezwungen, auf der Autobahn die Fenster runterzulassen. Bei einer Außentemperatur von 28 Grad hilft das nur bedingt. Der Hepa-Filter und die legendäre Geräuschdämmung sind nun ebenfalls hinfällig. Peinlich, peinlich.

Bei meiner zweiten Pause steuere ich eine Ladestation von Porsche an. Ist das ein Frevel? Im Gegenteil, denn hier will der Mercedes offenbar einen guten Eindruck hinterlassen. Er lädt superschnell, ist nach einer halben Stunde wieder voll, und die Klimaanlage läuft wieder, als sei nie etwas geschehen. Vielleicht sollte man ihn öfter bei der Konkurrenz anstöpseln.
Ein Porsche Taycan lädt trotzdem ein paar Minuten schneller, ebenso der Hyundai Ioniq 5. Dafür kann der EQE auch an langsameren Wechselstrom-Ladestationen, also zum Beispiel am Straßenrand, mit 22 Kilowatt laden. Die meisten E-Autos schaffen nur die Hälfte. Doch auch hier gilt: Ohne Aufpreis läuft nichts. 1.000 Euro mehr sind für die höhere Ladeleistung fällig. Wobei dies eine Investition ist, die sich tatsächlich lohnt. Im Alltag, wenn das Auto beim Geschäftstermin oder vorm Restaurant abgestellt wird, lädt es deutlich schneller. Einen zusätzlichen Ladestopp auf der Autobahn kann man sich dadurch mitunter sparen.
Die Bilanz nach meiner zweiwöchigen Testphase: Dieses Auto macht richtig Spaß, vor allem auf der Langstrecke. Klar, für Luxus ist Mercedes bekannt. Dass das Unternehmen aus Sindelfingen aber auch E-Autos bauen kann, wird regelmäßig unterschätzt. Bei Ladezeiten, Reichweite und Routenplanung stehen die EQ-Modelle richtig gut da. Beim Komfort können sie es mit ihren Verbrenner-Geschwistern ebenfalls aufnehmen. Nur der Patzer mit der Klimaanlage zieht das positive Gesamt-Erlebnis etwas nach unten. Nobody is perfect! Noch nicht mal die Limousine mit dem Stern.