Im Bereich Nachhaltigkeit setzt der Pariser Konzern Kering in der Modebranche neue Maßstäbe – er ist ein wahrer Vorreiter. Bedauerlicherweise sind noch nicht genügend Unternehmen im Luxussegment dazu bereit, diesem Beispiel zu folgen.
Das Thema Nachhaltigkeit, das häufig auch unter dem englischen Schlagwort Sustainability geläufig ist, wird als riesiges Problem der gesamten Fashion-Industrie weltweit angesehen. Nicht zuletzt deshalb, weil die Mode-Branche für vier bis zehn Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich gemacht wird. Dabei kann vor allem die Fast Fashion mit ihren ökologischen Aspekten als wesentlicher Umweltsünder angesehen werden. Aber auch mit dem Ruf der Luxusbrands steht es bezüglich der Nachhaltigkeit nicht gerade zum Besten. So hatte beispielsweise die deutsche „Vogue“ vor zwei Jahren die Shows auf den vier wichtigsten Fashion Weeks ziemlich unverblümt dahingehend kritisiert, dass in Sachen Sustainability „in der Branche kaum Fortschritte gemacht werden, und das bei Weitem nicht in dem Tempo, das notwendig wäre“. Richtigerweise hat das Magazin darauf hingewiesen, dass „die Bekämpfung der Treibhausgasemissionen nur ein Teil des Puzzles“ sein könne und „andere Themen wie Abfall, Umweltverschmutzung, Einsatz von Chemikalien und Entwaldung“ ebenfalls „einen Platz ganz oben auf der Agenda“ haben müssen.
Es könnte sich daher leicht die Frage aufdrängen, ob die Luxusmarken damit ihre eigenen Zukunftschancen verspielen. Immerhin spielt Nachhaltigkeit bei ihrer bevorzugten Klientel, den gut betuchten Mitgliedern der Millennials und der Generation Z, eine geradezu herausragende Rolle. Eine außergewöhnliche Qualität der Kleidungsstücke oder Accessoires allein wird von dieser Kundschaft längst nicht mehr als ausreichend angesehen, wenn bei ihrer Produktion sozialen oder ökologischen Gesichtspunkten keine oder nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt werden. Donatella Versace hat genau dieses Problem mit folgendem Spruch auf den Punkt gebracht: „Es gibt keinen größeren Luxus als unsere Zukunft.“ Um zu verhindern, „dass Luxus – so wie wir ihn seit Jahrtausenden kennen – bald ein Relikt vergangener Zeiten sein wird“, wie es der interessante Beitrag „Der Niedergang des Luxus“ auf der Plattform zukunftsinstitut.de prognostiziert hat, müssten „Luxusmarken Ethik als Luxusattribut betrachten“, und zwar schnellstmöglich, „um auf dem sich abzeichnenden Markt zu überleben, auf dem die Bevölkerung der ethischen Luxusnachfrager von Tag zu Tag wächst.“
Bottega Veneta, Gucci, Saint Laurent
Während eine ganze Reihe von Newcomer-Labels wegen ihrer meist jugendlichen Leitung dem Thema Nachhaltigkeit sehr aufgeschlossen gegenübersteht, sieht es diesbezüglich bei den etablierten Luxusbrands noch ziemlich düster aus. Denn Lippenbekenntnisse oder ein noch so cleveres Greenwashing reichen einfach nicht aus. „Der Druck auf die europäischen Luxuslabel wächst“, so die „Süddeutsche Zeitung“ in einem kürzlich publizierten Beitrag zum Thema „Nachhaltige Mode“ am Beispiel Prada.
Die „SZ“ schreibt weiter: „Sie müssen einerseits die Erwartungen ihrer klimabewussten Kunden aus den Generationen Y und Z erfüllen, deren Einfluss rasant zunimmt. Andererseits verlangen die europäischen Gesetzgeber von der Modebranche, dass sie sich in puncto Nachhaltigkeit immer strengeren EU-Richtlinien anpasst. Brüssel will sich in Zukunft nicht mehr mit Absichtserklärungen zufriedengeben und pocht auf echte Fortschritte. Das ist eine Kampfansage an das in allen Wirtschaftssparten verbreitete Greenwashing. Noch dazu stellt sich die Klimafrage für die Modewelt sehr grundsätzlich. Kann eine Industrie, die vom Erwecken immer neuer Begehrlichkeiten lebt, überhaupt grün werden? Ist teure Luxusmode nur deshalb schon nachhaltig, weil sie selten in der Mülltonne landet und dafür immer öfter im hippen Re-Sale-Shop?“
Es gibt allerdings in der Fashion-Branche bezüglich Sustainability durchaus eine bemerkenswerte Ausnahme: der Kering-Konzern – vom Umsatz her immerhin die Nummer zwei in der gesamten Mode-Welt. Unter Federführung seines Geschäftsführers und Mehrheitsbesitzers François-Henri Pinault erfüllt der Konzern, zu dem solch berühmte Marken wie Gucci, Yves Saint Laurent, Bottega Veneta, Balenciaga oder Alexander McQueen gehören, alle drei Anforderungen, die laut Deloitte, einem der weltweit renommiertesten Unternehmen in Sachen Wirtschaftsberatung, den Kern einer perfekten Nachhaltigkeitsstrategie ausmachen sollten: Erstens: Sustainability muss auf der Führungsebene verankert werden. Zweitens: Sustainability muss systematisch gemessen und gesteuert werden. Drittens: Sustainability muss in die Strategie- und Innovationsprozesse integriert werden.
Weil bei Kering alle diese und viele weitere Vorgaben erfüllt waren, wurde der Konzern von der kanadischen Marktforschungsgesellschaft Corporate Knights, die seit 2005 jährlich ein vielbeachtetes Ranking der „Global 100 Most Sustainable Corporations in the World“ veröffentlicht, zum zweitnachhaltigsten Groß-Unternehmen weltweit gekürt. Für ein Textilunternehmen wahrlich eine Sensation. Dass Kering innerhalb der eigenen Branche damit einsam den Spitzenplatz belegt, konnte aus dem Ranking klar abgelesen werden. Lediglich der spanische Inditex-Konzern sowie Adidas auf den Plätzen 54 beziehungsweise 84 waren als weitere Mode-Unternehmen unter den Top 100 aufgetaucht. Dass Kering in der aktuellen „Global 100“-Liste aus diesem Jahr nur noch auf Platz 31 geführt wird, obwohl der Konzern seine Nachhaltigkeits-Anstrengungen weiter forciert hatte, lässt sich nicht recht nachvollziehen. Allerdings ist Kering damit immer noch das Mode-Vorzeige-Unternehmen in diesem Ranking, auf den Plätzen 47, 60 und 66 sind Puma, das kanadische Unternehmen Gildan Activewear und Adidas zu finden.
Es dürfte eher ein Zufall sein, dass der Kering-Konzern ausgerechnet aus einem früheren Holz- und Bauwirtschaftsunternehmen hervorgegangen war.
Im Zusammenhang mit der deutschen Forstwirtschaft und einem entsprechenden Raubbau an den Wäldern im 18. Jahrhundert war der Begriff Nachhaltigkeit in wissenschaftlichen Schriften erstmals aufgetaucht.
Überraschenderweise wurde das außergewöhnliche Kering-Engagement in Sachen Nachhaltigkeit in den Medien bislang kaum so recht gewürdigt, geschweige denn in aller Ausführlichkeit dargestellt. Oft wird Kering zwar als „Vorreiter in Sachen Klimaschutz“, wie kürzlich in der „Süddeutschen Zeitung“, oder auch als „Nachhaltigkeits-Vorreiter in der Luxusbranche“ lobend erwähnt, ohne jedoch genauer auf die vielfältigen Aktivitäten einzugehen, die der Konzern öffentlichkeitswirksam und sicherlich auch mit einer gehörigen Portion Stolz auf ständig aktualisierten Web-Plattformen zu präsentieren pflegt.
Nachhaltigkeit als fester Bestandteil
Vor allem ist die Orientierung an Nachhaltigkeit bei Kering kein völlig neuer Ansatz, sondern fester Bestandteil eines ganz bewusst seit mehr als einem Jahrzehnt konsequent verfolgten und stetig intensivierten Prozesses. Zeitlich vorgeschaltet waren beispielsweise die Verabschiedung von zwei Ethikkodexen bereits in den Jahren 1996 und 2005, die Ernennung eines Nachhaltigkeits-Teams 2003, die Implementierung einer hausinternen Nachhaltigkeits-Abteilung mit Sitz in der Konzernleitung und direkter Berichterstattung an den CEO 2007 oder die Gründung der Kering-Stiftung 2008 mit der Hauptaufgabe, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen.
Im Jahr 2012 begann Kering dann mit dem Aufstellen konkreter Nachhaltigkeitsziele, die in festgelegten zeitlichen Etappen erreicht werden sollten. Zudem wurde innerhalb des Verwaltungsrates ein Nachhaltigkeitsausschuss eingerichtet. 2013 etablierte der Konzern in Mailand ein Labor für Materialinnovationen. Das „Material Innovation Lab“ widmet sich der Beschaffung nachhaltiger Materialien und Stoffe und kann von allen zugehörigen Labels als eine Art Bibliothek für nachhaltige Stoffe mit rund 3.800 Mustern an zertifizierten Bio-Stoffen und -Fasern genutzt werden. Als innovatives Instrument zur Messung und Quantifizierung der Umweltauswirkungen seiner Aktivitäten hatte Kering 2015 erstmals eine darauf abzielende spezielle Gewinn- und Verlustrechnung publiziert. Im Unterschied zu klassischen Rentabilitätsrechnungen flossen dabei CO2-Emissionen, Wasserverbrauch, Luft- und Wasserverschmutzung, Landnutzung und Abfallaufkommen entlang der gesamten Lieferkette mit ein und wurden in Geldwerte umgerechnet.
Im Jahr 2017 wurden die drei Säulen von Kerings Nachhaltigkeitsstrategie mit dem Motto „Crafting Tomorrow’s Luxury“ bis zum Jahr 2025 festgelegt: Care, Collaborate und Create. Gemeinsam mit dem London College of Fashion führte Kering 2018 erstmals Online-Kurse für Mode und Nachhaltigkeit ein. Mit dem Institut Français de la Mode etablierte Kering 2019 den ersten Lehrstuhl für Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung in der Modewelt. Gleichzeitig verpflichtete sich der Konzern zur Einhaltung der vollständigen Klimaneutralität innerhalb des eigenen Hauses und der gesamten Lieferkette. Unter Federführung und im Auftrag von Präsident Emmanuel Macron initiierte Kering-Chef François-Henri Pinault 2019 die Gründung eines Modepaktes, bei dem sich 32 globale Fashion-Konzerne mit rund 150 Labels auf eine Selbstverpflichtung für mehr Umweltschutz eingelassen hatten. Im Jahr 2020 legte Kering eine Biodiversitätsstrategie vor, mit der die Unterstützung regenerativer Landwirtschaftspraktiken auf einer Million Hektar Land sowie der Schutz von einer Million Hektar unersetzlicher Lebensräume zugesagt wurde. Ab der Herbstkollektion 2022 untersagte Kering allen seinen Labels aus ethischen Gründen die Verarbeitung von Tierfellen. Nur auf Leder, für dessen Verarbeitung der Konzern 2016 ein metallfreies Gerbeverfahren entwickelt hatte, möchte der Konzern noch nicht verzichten, wobei das Material als Nebenprodukt der Lebensmittelherstellung ausschließlich aus Frankreich und Italien bezogen wird. 2022 machte der Konzern seinen Marken verbindliche Vorgaben zu jeglicher Vermeidung von Greenwashing.
100-prozentige Transparenz
Oberstes Ziel der Säule Care – für den Planeten und den Erhalt seiner natürlichen Ressourcen – ist die Senkung der Treibhausgas-Emissionen um 40 Prozent bis zum Jahr 2035 im Vergleich zum Jahr 2021. Da der Erhalt der biologischen Vielfalt und ein reduzierter ökologischer Fußabdruck bereits mit der Beschaffung von Rohstoffen beginnen, möchte Kering bis 2025 eine 100-prozentige Transparenz seiner diesbezüglichen Lieferkette erreichen, wobei schon jetzt die Rückverfolgungsrate der wichtigsten Rohstoffe bei stolzen 95 Prozent liegt. Unter der Säule Collaborate – der verantwortlichen Zusammenarbeit mit Menschen – finden sich unter anderem neben der Bewahrung traditioneller handwerklicher Fähigkeiten Engagements zugunsten der Frauengleichberechtigung. Diesbezüglich ist der Konzern geradezu vorbildlich: 57 Prozent der Führungskräfte und 45 Prozent des Verwaltungsrats sowie 63 Prozent der Belegschaft sind Frauen. Unter der Säule Create werden neue Geschäftsmodelle und andere Innovationen zusammengefasst, beispielsweise die Kooperation mit derzeit 225 Start-ups, die sich mit der Entwicklung von fortschrittlichen Nachhaltigkeitstechnologien beschäftigen, etwa die Unterstützung des Start-ups Vitro-Labs, das angewandte Biotechnologie zur Züchtung von Leder in Labors nutzt. Dazu gehört vor allem auch ein Bekenntnis zur Kreislaufwirtschaft mit hochwertigen und daher langlebigen Produkten, möglichst perfekten Reparaturdienstleistungen, Abfallvermeidung, Upcycling gebrauchter Materialien, Stoffreste-Verwertung oder auch Investments in Second-Hand-Unternehmen wie Vestiaire Collective.
Wie hoch das Thema Nachhaltigkeit bei Kering angesiedelt ist, lässt sich allein schon daran ablesen, dass rund 50 Mitarbeiter im Konzern damit betraut sind. Dabei obliegt die Leitung der Nachhaltigkeitsabteilung seit einigen Jahren Marie-Claire Daveu. Sie ist gleichzeitig Mitglied des Kering-Vorstandes und kann dort auf die feste Unterstützung durch CEO Pinault vertrauen, für den Nachhaltigkeit ebenso im Mittelpunkt der Kering-Strategie steht wie seine kreative und moderne Vision von Luxus. „Luxus und Nachhaltigkeit sind ein und dasselbe“, so Pinault. „Nachhaltigkeit ist im Luxus-Segment nicht mehr optional“, so Marie-Claire Daveu, „Wenn wir weiter im Luxusgeschäft bleiben wollen, müssen wir an allen Fronten auf Nachhaltigkeit achten.“ Und weiter: „Innerhalb von Kering betrachten wir Luxus als nachhaltige Mode.“