Verrückte Modewelt: Plötzlich lieben es junge Instagrammerinnen, sich im lässig-komfortablen Rentner-Chic zu kleiden. Das Ganze nennt sich dann Menocore.
Alt macht modisch auf jung, jung macht auf alt, und bei beiden Fashiontrends steht die Generation 50plus im Mittelpunkt. „Beenager" sind über 50-Jährige, die sich wie Teenies in Sneakern, bunt gemusterten T-Shirts oder atemberaubend kurzen Miniröcken kleiden. Bei dem Begriff „Beenager" handelt es sich um ein englisches Kunstwort aus „Best Ager" und „Teenager". Als Paradebeispiele und Vorreiterinnen gelten die exaltierte italienische Modestylistin und „Vogue"-Mitarbeiterin Anna Dello Russo sowie die französische Modejournalistin, Schriftstellerin und Instagram-Ikone Sophie Fontanel. „La Anna" hat keinerlei Probleme damit, sich trotz ihres gereiften Alters in die ausgefallensten Designerklamotten zu zwängen und ihre noch immer sehr ansehnlichen Beine zu zeigen. „Die Französin", so die „Neue Zürcher Zeitung", „gibt Frauen ab 50, die normalerweise leider weitgehend unsichtbar werden und von der Bildfläche verschwinden, ein neues Gesicht."
Seltsam, dass auch der Gegentrend namens „Menocore" den ganz normalen Frauen jenseits der halben Jahrhundertgrenze jegliche Ambitionen hinsichtlich Attraktivität und auffälligen Looks abspricht. Denn die jungen Urheberinnen der modischen Frühverrentung rund um Leandra Cohen, vormals Medine, vom Mode-Blog „The Man Repeller" setzen einfach voraus, dass für ihre zwei bis drei Dekaden älteren Geschlechtsgenossinnen sexuelle Attraktivität samt Betonung der Körperformen keine Rolle mehr spielt. Deshalb vermuten sie, dass sich die meisten Damen jenseits der 50 gerne im unförmigen Rentnerlook mit weiten Leinenhemden, Walleblusen, Schlabberhosen, Culottes, knielangen Röcken und Pyjamahosen, XXL-Pullovern oder Fischerhüten in dezentem Beige, Weiß, Cremetönen oder Khaki stylen. Flache Loafer, klobige Sandalen und gerüschte Haarbänder nicht zu vergessen. Hauptsache bequem, praktisch, komfortabel. „Prima Klimakterium", wie die „Berliner Zeitung" den Stil jüngst ziemlich sarkastisch bezeichnet hatte. Der Begriff ist ohnehin nicht gerade sehr feinfühlig, ist er doch aus den Wörtern „Menopause" und „Normcore" zusammengesetzt. „Wechseljahre-Chic" dürfte ja wohl auch niemandem sonderlich gut gefallen.
Warum sich Leandra Cohen und ihre Kolleginnen Harling Ross und Amelia Diamond, allesamt noch unter 30, so sehr für das Outfit ihrer Müttergeneration entflammen konnten, wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Im „Zeitmagazin" wurde darüber spekuliert, dass dahinter „eine gewisse Müdigkeit auch in den sozialen Medien gegenüber der millionenfach vervielfältigten Verführungskraft verrutschter Wickelausschnitte, abgeschnittener Shorts und freigelegter Taillen" stecken könnte. „Die sehen, richtig in Szene gesetzt, auf Instagram-Posts toll aus. Aber wer fühlt sich schon wohl, wenn er sein Outfit alle zehn Minuten zurechtrücken muss."
Ein Kleidungsstil als Ausdruck von Stärke
Der Berliner „Tagesspiegel" hält es für möglich, dass Menocore eine „Gegenbewegung zur Instagrammisierung unserer Gesellschaft, ein Protest gegen den dort betriebenen Körperkult, dem ewigen Herumprobieren, bis eine Pose gut aussieht" sein könnte. Vielleicht sei es aber einfach auch nur so, dass sich die Mode vom Enthüllen der Frau abgewandt und sich dem ursprünglichen Zweck, Frauen anzuziehen, wieder zugewandt habe. Die Berliner Modesoziologin Diana Weis sieht das Einkleiden im Menocore-Look als Ausdruck von Stärke, Selbstbewusstsein und Persönlichkeit, weil die jungen Frauen es gar nicht für nötig hielten, sich sexy zu präsentieren.
„Was wir am meisten an der Bewegung lieben ist, dass es eine lange überfällige Hommage an eine Altersgruppe darstellt, die von der Modeindustrie oft ignoriert wird", so „The Man Repeller". Diese Würdigung mutet allerdings schon etwas seltsam an, weil Menocore eigentlich nur für Junge, Schlanke und Schöne gemacht scheint. „Auf Instagram sucht man vergeblich ein Foto von Menocore in einer Größe ab 40 oder größer. Und je älter man ist, umso schwieriger wird es, sich reif und selbstbestimmt zu kleiden, ohne 15 Jahre älter auszusehen. Das Omahafte funktioniert oft nur als Kontrast zur makellosen Jugend", so der „Tagesspiegel".
Und die lieben Millennials möchten natürlich auch in Menocore-Klamotten gekleidet absolut perfekt rüberkommen. Die „Berliner Zeitung" meint dazu: „Natürlich geht es weiter darum, attraktiv und sexy auszusehen, nur eben auf eine unangestrengt-coole Art, und wer sich unter dem Stichwort Menocore durch Instagram klickt, sieht fast ausschließlich Frauen unter 30, und vom Stil eifern sie auch nicht der normalen Mittfünfzigerin nach, die bei C&A einkauft und der ihre Klamotten tatsächlich egal sind, sondern Diane Keaton in ‚Was das Herz begehrt’. Das heißt: der reifen Frau, wie Instagrammer sie sich vorstellen." Mit der durch Normcore vertretenen Egal-Haltung bezüglich allem Modischen und dem Normcore gemäßen kollektiven Bedürfnis, dank unauffälligen Jeans, Turnschuhen, Kapuzenpullovern oder übergroßen T-Shirts anonym in der Masse verschwinden zu können, hat Menocore daher nichts gemein.
Neben der Schauspielerin Diane Keaton, die in besagtem Liebesfilm an der Seite von Jack Nicholson eine weiße Strickjacke, eine beige Hose, einen Fischerhut und eine schmale John-Lennon-Sonnenbrille trug, aber schon früher in Woody-Allen-Klassikern wie „Manhattan" oder „Der Stadtneurotiker" die traditionellen Vorstellungen von Damenmode mit ausgebeulten Hosen, maskulinen Hemden oder Krawatten infrage gestellt hatte, führte „Man Repeller" auch noch die beiden Leinwandkolleginnen Whoopi Goldberg und Lauren Hutton als Paradefrauen für den neuen Menocore-Style auf.
Die Menocore-Kleider gibt es noch nicht von renommierten Designern. Sie sind eher bei kleinen Modemarken zu finden, die von Frauen geführt werden, die ihre persönliche Wunschgarderobe in Kollektionen übertragen haben, beispielsweise Maison Cleó.