Mit dem europäischen Green Deal ist Wasserstoff zu einem wichtigen Faktor im Energiemix für einen klimaneutralen Kontinent geworden. Seit dem Ukraine-Krieg forciert die EU die Entwicklung.
Lange hat er ein eher bescheidenes Nischendasein geführt. Jetzt scheint es so, als werde Wasserstoff zu einem der entscheidenden Faktoren beim ehrgeizigen Green Deal. Der Anteil von Wasserstoff am Energiemix lag 2020 bei etwa zwei Prozent. Bis zum Zieldatum 2050 sollen es an die rund 15 Prozent werden, nach neuesten Plänen womöglich auch deutlich mehr.
Den Weg dorthin hat die EU vor zwei Jahren in einem Drei-Stufen-Plan beschrieben. Zunächst soll die Förderung von Elektrolyseuren (Anlagen zur Herstellung von „grünem" Wasserstoff) mit einer Leistung von mindestens sechs GW (Gigawatt) und die Erzeugung mindestens einer Million Tonnen Wasserstoff (bis 2024) erfolgen.
In den Folgejahren (bis 2030) soll Wasserstoff zu einem wesentlichen Bestandteil eines integrierten Energiesystems werden, mit einer Elektrolyseleistung von mindestens 40 GW (plus 40 GW aus Nicht-EU-Staaten) und bis zu zehn Millionen Tonnen „grünem" Wasserstoff. Zum Vergleich: Weltweit lag die Wasserstoffproduktion im Jahr 2019 laut Statista bei 117 Millionen Tonnen, allerdings hauptsächlich „grauer" Wasserstoff. Die Produktion von „grünem" Wasserstoff lag von 2015 bis dahin bei gerade mal insgesamt 1,2 Millionen Tonnen.
Der Bedarf an Investitionen für Elektrolysegeräte wurde für die erste mit fünf bis neun Milliarden Euro, für die zweite mit bis zu 44 Milliarden beziffert.
Mit diesen beiden Vorstufen sollen ab 2030 schließlich ausgereifte Technologien zur Verfügung stehen, um in großem Maßstab und in allen Sektoren Wasserstoff überall dort einsetzen zu können, wo der Ersatz fossiler Energien, also die Dekarbonisierung, bis dahin nur schwer möglich ist.
Gemeinsames Ziel, verschiedene Wege
Auf Basis dieser EU-Strategie von 2020 hat Deutschland 2021 ein eigenes Konzept vorgelegt. Im August gab der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier bei einer Kickoff-Veranstaltung den offiziellen Startschuss für die 700 Millionen Euro schwere Nationale Wasserstoffstrategie. Bis 2030 sollen Elektrolysekapazitäten von fünf Gigawatt aufgebaut werden, das entspricht knapp 900.000 Tonnen „grünem" Wasserstoff. Aktuell liegt die Kapazität bereits deutlich darüber, nämlich bei sechs Millionen Tonnen, dabei handelt es sich aber um „grauen" Wasserstoff, der klimaschädlich aus Erdgas gewonnen wird.
Die Umsetzung der EU-Wasserstoffstrategie findet in den Mitgliedsländern unter teils sehr unterschiedlichen ökonomischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen statt, die das Energiewirtschaftliche Institut der Uni Köln gemeinsam mit dem Oxford Institute for Energy Studies unter die Lupe genommen haben. Unterschiedliche Potenziale für erneuerbare Energien und technologieoffene Herangehensweisen können demnach dazu führen, dass einige Länder zu Wasserstoffexporteuren, andere zu -importeuren würden.

Untersucht wurden die unterschiedlichen Wege in sechs „Key Markets" in der EU. Das Vereinigte Königreich und die Niederlande setzen demnach zunächst auf „blauen" Wasserstoff, bei dem CO2-Emissionen abgeschieden und gespeichert werden. Südeuropäische Länder wie Spanien oder Italien setzen bevorzugt auf „grünen" Wasserstoff, für den sie ihr hohes Potenzial an erneuerbaren Energien, vor allem Photovoltaik und Wind, einsetzen.
Frankreich zeichnet sich durch einen Sonderweg mit kernenergie-basiertem Wasserstoff aus, bedingt durch den hohen Anteil von Atomstrom. In Zeiten geringer Stromnachfrage kann so vergleichsweise kostengünstig und CO2-arm Wasserstoff produziert werden.
Deutschlands Nationale Wasserstoffstrategie hat „grünen" Wasserstoff als Ziel. Zu dessen Herstellung bräuchte es aber deutlich mehr regenerative Energien als im Land selbst erzeugt werden können. Deshalb setzt das Land auf internationale Partnerschaften. Ein sogenannter Potenzialatlas führt 31 Länder für mögliche Kooperationen auf, die aufgrund eigener Ressourcen „grünen" Wasserstoff exportieren könnten.
Auch eine Forschergruppe des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik hat sich mit der Frage nach besonders günstigen Standorten beschäftigt und kommt auf weltweit 600 Standorte, vor allem in Afrika, Süd- und Mittelamerika sowie Australien. Die EU-Strategie zielt ebenfalls auf Kooperationen vor allem mit afrikanischen Ländern, um erwartbare Bedarfe decken zu können. Einerseits könnten so Bedarfe an CO2-neutraler Energie in Europa gedeckt werden, zugleich sei es die Chance für „wirtschaftliche Entwicklungssprünge" in Afrika. Die Länder des Kontinents gelten vielen Experten als neue „Supermacht für erneuerbare Energien". So schreibt es zumindest die britische Denkfabrik Carbon Tracker. Nach deren Berechnungen hätte der afrikanische Kontinent das Potenzial, global Strom aus um die 40 Prozent erneuerbare Energien zu liefern.
Internationale Partnerschaften
Die EU-Kommission stützt sich für die Umsetzung ihrer Strategie auf die Europäische Allianz für sauberen Wasserstoff (European Clean Hydrogen Alliance), ein Zusammenschluss von Mitgliedsstaaten, Unternehmen, Zivilgesellschaft, Verbänden und Wissenschaft. Die Allianz soll Investitionsprojekte identifizieren. Mitglied ist beispielsweise der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Der weist etwa darauf hin, dass der Aufbau eines Wasserstoffmarktes mit den Regelungen des Energiebinnenmarktes vereinbar sein muss und es eine stärker abgestimmte Netzplanung für alle Energieträger geben müsse, um unnötige Parallelstrukturen zu vermeiden.
Gleichzeitig gibt es weitere Initiativen, um diesen Prozess zu begleiten und zu forcieren, beispielsweise die Europäische Forschungs- und Innovationsagenda Strategic Research and Innovation Agenda (SRIA), über die die dringendsten Forschungsbedarfe identifiziert werden. Ergebnisse der staatenübergreifenden Initiative der Bundesregierung hat Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger im März vorgestellt.
Die EU-Strategie aus 2020 basierte auf Annahmen und Voraussetzungen, die spätestens seit Februar mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine unter weitgehend geänderten Voraussetzungen stehen. Zumindest, was den zeitlichen Druck und eine Reihe von Übergangsszenarien bis zum großen Ziel der Klimaneutralität betrifft.
In den ursprünglichen Annahmen spielte für eine Übergangsphase beispielsweise auch „blauer" (und „türkiser") Wasserstoff eine Rolle, bei deren Herstellung aus Gas CO2 anfällt, das abgetrennt und unterirdisch eingelagert wird (CCS-Verfahren). Kritiker wie Greenpeace hatten darauf hingewiesen, dass bei diesem Verfahren „die fossile Gaswirtschaft ihr Geschäft einfach weiter betreiben kann wie bisher". Der Krieg in der Ukraine hat auch das verändert. „Die Rolle von Erdgas muss kleiner werden", wird eine hochrangige Vertreterin der Generaldirektion für Energie aus einer Anhörung im Energieausschuss des Europäischen Parlaments zitiert. Konkret dürfte das heißen, dass „blauer" Wasserstoff kaum noch Bedeutung haben dürfte.
Am 8. März hat die EU-Kommission als Reaktion auf den russischen Überfall das Programm „Repower EU" beschlossen. Erdgasimporte aus Russland sollen um zwei Drittel bis Jahresende reduziert werden. Gleichzeitig wird die Wasserstoffstrategie gestärkt. Die angestrebten Mengenziele wurden deutlich heraufgesetzt.
Schon im März bei der Vorstellung der SRIA-Ergebnisse hatte die EU-Kommission erklärt, dass „in Reaktion auf die Invasion der Ukraine durch Russland" daran gearbeitet werde, „die Versorgung der EU auf neue Füße zu stellen, den Übergang zu sauberer Energie deutlich zu beschleunigen und Europas Energieunabhängig deutlich zu stärken". Dabei war klar, „dass gemeinsame Maßnahmen zur Beschleunigung der europäischen Wasserstoffwirtschaft dabei eine wichtige Rolle spielen".