Der Umbau der Energieversorgung ist die größte Herausforderung der letzten 70 Jahre. Die Gas- und Stromversorgung kurzfristig aber ist gesichert, sagt Hanno Dornseifer, Präsident der IHK Saarland und Chef des regionalen saarländischen Versorgers VSE.
Herr Dornseifer, was die meisten von uns kurzfristig beim Thema Energie interessiert: Wie sicher ist die Versorgung des Saarlandes in diesem Winter?
Um es kurz zu beantworten: Die Stromversorgung im Saarland ist sicher und gleiches gilt momentan auch für die Erdgasversorgung, wobei letztere maßgeblich von den Temperaturen abhängig ist. Zwar sind die Erdgasspeicher in Deutschland zu Beginn der Heizperiode laut Aussage der Bundesnetzagentur zu über 98 Prozent gefüllt, was ja gesetzlich verlangt wird. Aber sollte es zu einem lang anhaltenden Kälteeinbruch in diesem Winter kommen, könnte sich die Situation verschärfen. Die Speicher reichen in der Regel sechs bis maximal acht Wochen. Deshalb bleibt auch in diesem Winter Energiesparen das Gebot der Stunde.
Aus welchen Quellen stammt in Deutschland das Erdgas nach Wegfall des russischen Gases?
Deutschland hat bis zu Beginn des Russlandkriegs über 50 Prozent seines Erdgases aus Russland bezogen und es ist uns gelungen, diese Mengen weitestgehend vollständig zu kompensieren. Erdgas kommt vorwiegend aus Norwegen und den Niederlanden, wobei die Förderung dort inzwischen eingestellt wurde, sowie aus LNG-Importen. Dieses Flüssiggas stammt zu über 80 Prozent aus den USA und zu geringen Teilen aus Afrika, Westeuropa und arabischen Staaten. Künftig sollen die LNG-Kapazitäten erhöht werden, zum Beispiel ab 2027 aus Katar. Allerdings bleiben auch diese Mengen überschaubar.
Dadurch, dass wir in Europa ein Gas-Verbundnetz haben, gibt es weiterhin physikalisch betrachtet russisches Gas in europäischen Pipelines, beispielsweise über das Netz der Ukraine oder der Türkei, obwohl Deutschland kein Gas mehr aus Russland bezieht. Erst wenn Russland seine Erdgaslieferungen an Europa komplett einstellen würde, gäbe es auch kein russisches Gas mehr in den europäischen Netzen.
Was bedeutet die Zunahme von Flüssiggas, sprich LNG, für Deutschland?
Dass der LNG-Terminal auf Rügen noch nicht gebaut wurde, könnte zu einem Kapazitätsproblem bei der Gasversorgung in Ostdeutschland führen und zwar, wenn der kommende Winter sehr streng wird. Das Erdgas-Leitungssystem der letzten Jahrzehnte wurde in Deutschland und Osteuropa in Abhängigkeit der Belieferung aus Russland konzipiert und so gebaut. Dies führt letztlich dazu, dass man nicht ohne Weiteres einfach mehr Erdgas im Westen in das europäische Verbundnetz einspeisen kann, damit es zu gleichen Teilen im Osten ankommt. Die Entladestation in Ostdeutschland sollte daher so schnell es geht gebaut werden, um möglichen Kapazitätsproblemen vorzubeugen.
Problematisch sehe ich zudem die Preisentwicklung. LNG wird zu Marktpreisen auf den Weltmärkten gehandelt und ist nicht Pipeline-abhängig. Eine hohe Nachfrage bei knappem Angebot treibt die Preise deutlich nach oben. Eine Diversifizierung bei LNG ist für Deutschland demnach geboten, sonst kommen wir erneut in eine starke Abhängigkeit.
Was würde bei einer Gasverknappung in Deutschland passieren? Sind wir besser aufgestellt als zu Beginn des Russland-Kriegs?
Die Speicher sind voll, die Kommunikation zwischen den Marktpartnern ist mittlerweile eingespielt und die Sparappelle vor allem in der Industrie haben im letzten Winter funktioniert. Unwägbarkeiten wie die weltpolitische Lage oder die Temperaturen im Winter bleiben trotzdem. Sollte es tatsächlich zu einer Mangellage kommen, kann die Bundesnetzagentur ganz stringent und gesetzeskonform Abschaltungen vornehmen. Allerdings betrifft das weder Krankenhäuser, Altenheime noch Privatkunden, was ja auch technisch so gut wie nicht machbar wäre. Im Übrigen haben Privathaushalte in der vergangenen Heizperiode gar nicht so viel Erdgas eingespart wie von ihnen freiwillig gefordert. Den größten Einsparbeitrag hat die Industrie geleistet, obwohl die Gründe dafür unterschiedlicher Natur sein können.
Aber teurer dürfte es allemal werden, oder?
Ob die Preisbremsen für Strom und Gas bis zum 30. April 2024 verlängert werden, ist in der politischen Diskussion. Derzeit bewegen sich die Preise im Großen und Ganzen knapp unter den staatlich festgelegten Preisbremsen und eine Verlängerung hätte eher einen psychologischen Effekt. Die Wiederanwendung des regulären Mehrwertsteuersatzes von 19 Prozent auf Gas und Fernwärme, die von der Bundesregierung gewollte schrittweise CO2-Besteuerung für fossile Brennstoffe und die derzeitige Preisentwicklung auf den Weltmärkten lassen den Erdgaspreis steigen.
Welche Rolle könnte der Einsatz von Wasserstoff bei der künftigen Wärmeversorgung in Deutschland spielen?
Wasserstoff ist ein Premiumprodukt und in der Herstellung derzeit sehr teuer. Der Einsatz macht vor allem Sinn in Branchen, die sehr energieintensiv sind wie die Stahlindustrie. Dass Wasserstoff bei der Versorgung von Privathaushalten in absehbarer Zukunft eine größere Rolle spielt, sehe ich zurzeit nicht. Zunächst müssten die Netze dafür aufgebaut werden inklusive der Anschlüsse an die großen europäischen Wasserstoffpipelines sowie nennenswerte Produktionskapazitäten. Hinzu kommt der sich immer stärker abzeichnende Fachkräftemangel: Es fehlen schlicht und ergreifend die Installateure, die so etwas umsetzen, und das nicht nur im Wasserstoffbereich.
Die Wärmewende ist und bleibt der Knackpunkt, um die Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen. Welche Möglichkeiten haben wir in Deutschland?
Die Städte und Gemeinden sind aufgefordert, bis 2026, kleinere Kommunen bis 2028, eine belastbare Wärmeplanung vorzulegen. Das ist richtig so, denn diese Planung bildet die Basis, um Berechnungen und den nötigen Investitionsbedarf festzustellen. Aufgrund der mangelnden Datenlage bleibt dies aber ein schwieriges Unterfangen. Welche realen Möglichkeiten hat Deutschland nun beim Umbau der Wärmeversorgung? Wasserstoff, Nahwärme oder Wärmepumpe?
Da eine funktionsfähige Infrastruktur für Wasserstoff erst einmal aufgebaut werden muss, gleiches gilt für Nahwärmenetze, bleibt von den drei Möglichkeiten meines Erachtens vor allem der Einsatz von Wärmepumpen in Verbindung mit Fotovoltaik und Speichern. Die Technik ist erprobt und kann zunehmend auch im Bestand von Immobilien eingesetzt werden. Unabhängig von den fehlenden Fachkräften und Installateuren dürfte der Einsatz von Wärmepumpen daher der gangbare Weg sein, aber mit Folgen für die Stromversorgung. Denn an der Elektrifizierung des Wärmemarktes führt in Deutschland kein Weg vorbei. Schon aus diesem Grund investiert die saarländische Energiewirtschaft massiv in den Ausbau ihrer Stromnetze und plant wie die VSE-Gruppe, ihre Wertschöpfungsketten zu verlängern, zum Beispiel mit dem Einstieg in das Wärmepumpengeschäft. Alle Prognosen und Berechnungen für die Entwicklung des Strommarktes schließen die E-Mobilität mit 15 Millionen Fahrzeugen, die Regenerativen Energien mit 80 Prozent Erzeugungskapazität sowie der verstärkten Einsatz von Wärmepumpen mit ein. Der Bruttostromverbrauch wird sich in Deutschland bis 2030 auf rund 750 Terawattstunden TWh erhöhen. Im Vergleich: 2022 waren es rund 485 TWh laut Bundesnetzagentur. Diese Investitionen in die Netze sind teuer und werden von der Energiewirtschaft geleistet. Was wir aber vor allem brauchen, ist eine gesicherte Leistung bis 2030 von zirka 22 Gigawatt, um eine weiterhin sichere Stromversorgung zu gewährleisten. Und das können beim derzeitigen Marktdesign nur konventionelle, flexibel einsetzbare Gaskraftwerke leisten.
Doch bei der Situation im Erdgasbereich stehen wir wie gesagt vor gigantischen Herausforderungen, die extrem teuer werden können. Außerdem müssen für den Bau von Gaskraftwerken die entsprechenden Investoren erst einmal gefunden oder entsprechende Anreize für Investitionen geschaffen werden. Schließlich werden diese Kraftwerke aufgrund des Zubaus von regenerativen aber volatilen Erzeugungskapazitäten wahrscheinlich nur geringe Laufzeiten haben, zum Beispiel zur Überwindung von Dunkelflauten. Derzeit wird politisch diskutiert, ob der Staat einspringt und das Investitionsrisiko übernimmt. In diesem schwierigen Fahrwasser befinden wir uns derzeit in Deutschland. Die jüngste Einigung auf EU-Ebene für einen europäischen Strommarkt ist sicherlich ein erster Schritt in die richtige Richtung. Dann hätten die jeweiligen Mitgliedstaaten die Möglichkeit, bei niedrigen Strompreisen den Betreibern von Gaskraftwerken die Verluste zu erstatten.