Muss sich Deutschland zum beginnenden Herbst wieder Sorgen ums Heizen mit Gas machen? In diesem Jahr genauso wenig wie im vergangenen Jahr. Dennoch bleibt die Bundesnetzagentur vorsichtig und rät weiter zum Sparen.

Noch ist die Heizperiode nicht spürbar, aber zumindest in Sicht. Zeit sich über die kommende kalte Jahreszeit Gedanken zu machen. Denn die Schwierigkeiten, die Deutschland im vergangenen Jahr nach dem Stopp der russischen Gas-Lieferungen hatte, sollen sich nicht wiederholen. Seither ist einiges passiert, vor allem in Sachen Flüssiggaslieferungen. Schon 2022 sorgte die Bundesregierung in einem bemerkenswerten Hauruck-Verfahren dafür, dass die Lieferungen aus den europäischen Nachbarstaaten, aber auch aus den USA hochliefen. Spar-Erfolge beim Heizen und beim Stromverbrauch – Deutschland nutzt einen Teil seines Erdgases auch zum Verstromen – bei gleichzeitigem Überangebot durch die vermehrten Flüssiggas-Zukäufe sorgten dafür, dass sowohl Heizen als auch die Gasverstromung nie ernsthaft Gefahr liefen, rationiert werden zu müssen. Im vergangenen Jahr verbrauchte das Land nach Angaben der Agentur 20 Prozent weniger Gas als in den Jahren zuvor.
Gasspeicher über dem Soll
Mit rund 94 Prozent liegt der Füllstand der deutschen Gasspeicher aktuell deutlich über der gesetzlich vorgegebenen Mindestmarke von 75 Prozent zum 1. September, 13 Prozent über dem Jahresmittel von 2017 bis 2021. Das zeigen die Datenbestände des AGSI, der Transparenzplattform der Gas-Infrastruktur in Europa. Die Preise sind nach wie vor höher als vor zwei Jahren, doch deutlich niedriger als nach dem Preisschock von 2022, insbesondere nach Sprengung der Nord-Stream-Pipelines. In der Folge geben viele Versorger die niedrigeren Einkaufspreise auch an Endkunden weiter. Außerdem sinken ab 1. Oktober Umlagen und Entgelte, die, wenn die Unternehmen sie an die Verbraucher weitergeben, zu spürbaren finanziellen Entlastungen führen. Für Familien etwa berechnete das Vergleichsportal Check24 die Entlastung auf 135 Euro bei einem Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden.
Trotzdem gibt die Bundesnetzagentur noch keine Entwarnung und bleibt vorsichtig. Ein strenger Winter könnte die Gasspeicher immer noch rasch leeren. Deshalb rät sie weiterhin dazu, Gas und Strom zu sparen. Denn die Speicherkapazitäten in Deutschland reichen bei einem Füllstand von 100 Prozent für zwei bis drei kalte Monate. Auch der Verband der Speicherbetreiber, INES, warnt vor zu viel Optimismus. INES-Geschäftsführer Sebastian Bleschke geht davon aus, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Füllstände übertroffen werden. „Trotzdem gilt: Die Gefahr einer Gasmangellage bei kalten Temperaturen besteht weiterhin und wird uns ohne weitere infrastrukturelle Maßnahmen vermutlich noch bis zum Winter 2026/27 begleiten.“ Erst danach könnte ein reduzierter Gasverbrauch weitere Maßnahmen überflüssig machen.
Vor seinem Angriff auf die Ukraine dominierte Russland den deutschen Gasmarkt mit einem Anteil von 37 Prozent. Danach sollte es durch Entzug der Erlöse aus seinen wichtigsten Exportgütern, Öl und Gas, sanktioniert werden. Mittlerweile greifen die Sanktionen, denn trotz einer gesteigerten Ausfuhr an Flüssiggas sinkt die Produktion von Erdgas in Russland insgesamt in diesem Jahr. Der Schaden für den russischen Gasmonopolisten Gazprom ist immens. Zwar nimmt China deutlich mehr Gas ab als je zuvor – aber zu vergleichsweise niedrigen Preisen. Einen Ersatz für den EU-Markt konnte Russland bisher nicht finden. So verringerte sich der Export im vergangenen Jahr laut Gazprom um fast die Hälfte (45,5 Prozent) auf 100,9 Milliarden Kubikmeter. Laut Energieexperten könnte der Export in diesem Jahr noch einmal um 50 Prozent fallen. Analysten erwarten Einnahmen von im Schnitt nur noch 1,4 Milliarden US-Dollar aus dem Export pro Monat – das ist ein Minus von 60 Prozent im Vergleich zum jährlichen Durchschnitt.
Laut GTAI, der deutschen Außenhandelsagentur, importierte die EU bis 2021 155 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland, ein Gesamtanteil am deutschen Gasmarkt von 37 Prozent. 2022 sank diese Zahl auf 100 Milliarden Kubikmeter und auf ein Fünftel des Gasmarktes in der EU. Noch im März 2022 importierte Deutschland mehr als zwei Millionen Tonnen Gas, im Februar 2023 waren es noch 400 Tonnen. Seitdem importiert Deutschland weiterhin russisches Flüssiggas in etwa jenen Größenordnungen laut der Bundesnetzagentur, weitaus mehr jedoch aus vielen anderen Ländern, vor allem aus den USA. Ins Netz eingespeist werden sie in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Lubmin. Drei weitere Terminals sind bis 2024 geplant, drei zusätzliche sollen bis 2027 hinzukommen – viel zu viele, sagt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Das geplante Terminal im Hafen von Mukran auf Rügen steht in der Kritik der Gemeinde und von Umweltschützern. Den Löwenanteil des Gases erhält Deutschland jedoch weiter über Erdgas-Pipelines, und zwar aus Ländern wie Norwegen, Belgien und den Niederlanden.
Geringe Mengen aus Russland

„Um die Gasversorgungssicherheit wiederherzustellen, eignen sich nicht nur weitere LNG-Terminals, sondern auch zusätzliche Gasspeicherkapazitäten oder Pipeline-Verbindungen“, so INES-Geschäftsführer Bleschke. Kurzfristig, also für die beiden kommenden Winter, führe allerdings kein Weg an den Terminals vorbei. Denn neue Gasspeicherkapazitäten zu eröffnen ist einerseits teuer, andererseits ist es auch nicht mit ein paar neuen Tanks getan: Die effektivsten Speicher Deutschlands, in die das meiste Gas unter immensem Druck hineinpasst, befinden sich unterirdisch, in künstlichen Salzkavernen zum Beispiel. Schon jetzt sind einige dieser Speicher mithilfe erhöhten Drucks zu mehr als 100 Prozent gefüllt.
Einen völlig sorglosen Winter versprechen die Zahlen derzeit nicht, sie geben aber auch keinen Anlass zur Panik. Und eingespartes Gas, egal aus welchem Grund, hilft auch Deutschlands Klimabilanz.