Die Inflation erreicht ungeahnte Höhen, getrieben von explodierenden Energiepreisen. Die Herausforderung ist eine Energiewende mit großer Unabhängigkeit zu bezahlbaren Preisen. Die Bereitschaft wächst, trotz Umsetzungsproblemen.
Die Sorge vor steigenden Lebenshaltungskosten hat bei den Ängsten der Deutschen einen Spitzenplatz. 50 Prozent der Befragten zur jährlichen Ängste-Studie der R&V-Versicherung brachten der Inflationsangst Platz zwei, direkt hinter der Angst vor Steuererhöhungen und Leistungskürzungen. Das war vor einem Jahr. Vom russischen Überfall auf die Ukraine und anderen Entwicklungen war da noch nichts zu ahnen.
Heute zeigt sich: Die Sorge war mehr als berechtigt. Die Inflationsrate lag im Mai mit 7,9 Prozent so hoch wie zuletzt vor fast genau 50 Jahren. Hauptgrund damals wie heute: explodierende Energiepreise. 1973/74 war die Zeit der ersten Ölkrise mit den berühmten autofreien Sonntagen.
Deutschland kennt eine tiefsitzende Angst vor Inflation
Aktuell vermeldet das Statistische Bundesamt einen Anstieg der Energiepreise um knapp 40 Prozent (38,3 Prozent) binnen Jahresfrist. Damit steigen naturgemäß die übrigen Produktionskosten. Dieser Anstieg hatte sich schon um die Jahreswende angedeutet, Ukraine-Krieg und die weiter bestehenden Probleme in den Lieferketten haben die Entwicklung beschleunigt. Die Preise für Waren, allen voran Lebensmitteln, haben sich innerhalb eines Jahres um 13,8 Prozent erhöht (für Dienstleistungen lediglich um 2,9 Prozent).
Anfang Juni gab knapp die Hälfte der Befragten im Deutschlandtrend von Infratest Dimap/ARD) an, sich im Alltag sehr stark oder stark einschränken zu müssen, in Haushalten mit geringem Einkommen waren es fast 80 Prozent.
Die Zahlen machen den massiven Druck deutlich, der jetzt nicht nur für ein Umdenken sorgt – das gab es vorher in weiten Teilen auch schon. Wo die jahrelange Debatte um Klimaschutz aber nur mäßig erfolgreich war, kommt jetzt richtig Dynamik in eine Energiewende, die den Namen ernsthaft verdienen könnte.
Alternative, nachhaltige Energieformen, Energieeinsparung, Energieunabhängigkeit – das waren Stichworte für den grünen Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck Anfang des Jahres, als er sein „Osterpaket" (und ein weiteres „Sommerpaket") angekündigt hatte mit den Worten: „Wir starten mit einem drastischen Rückstand". Schon da stand fest, dass Deutschland seine selbstgesetzten Klimaziele in diesem und dem nächsten Jahr nicht wird erreichen können. Habecks Eröffnungsbilanz bestätigte einmal mehr, wie schläfrig die Energiewende in der Vergangenheit unterwegs war. Gleichzeitig ließ der Minister keinen Zweifel daran, dass er nun mehr als nur einen Zahn zulegen will.
Dann kam der Krieg in der Ukraine. Praktisch von einem auf den anderen Tag war drastisch klar, was Kritiker schon lange massiv angeprangert hatten: die deutsche Abhängigkeit von fossiler russischer Energie. Klimaschützer hatten schon lange argumentiert, dass die Energiewende auch eine sicherheitspolitische Frage sei. Was sich aber auch bestätigte, waren die dringlichen Hinweise auf die sozialpolitischen Herausforderungen der Energiefrage.
Letztlich sind damit alle Aspekte einer Energiepolitik der Zukunft binnen kürzester Zeit gleichzeitig und in gleichem drängenden Ausmaß kulminiert sichtbar zusammengekommen: Klimaschutz, fossile Abhängigkeiten, wirtschaftliche Folgen, soziale Auswirkungen.
Zeit, noch an großartigen Konzepten zu arbeiten, bleibt dabei nicht mehr. Das ist im Grunde auch nicht erforderlich. Es mangelt weder an gründlicher Analyse, noch an fundierten Maßnahmevorschlägen, noch an Umsetzungsexpertise. Es ist nach wie vor eine Frage des politischen und gesellschaftlichen Willens.
All das ist keine neue Zustandsbeschreibung, ebenso wenig wie die bis zur Ermüdung wiederholte Feststellung, dass nicht Erkenntnis das Problem ist, sondern die Umsetzung. Das dürfte sich auch in Zukunft nicht ändern, aber, wie es aussieht, auf einer anderen Basis. Denn mit dem Zusammenfall der Ereignisse, die am Ende sogar zur Frage von Krieg und Frieden geführt hat, deutet alles auch beim komplexen und umfassenden Thema Energie auf eine „Zeitenwende". Vieles scheint nun deutlich eher möglich als in der Vergangenheit.
Fundierte Analysen zum Klimawandel hatten nicht ausgereicht: Die Frage der (fossilen) Energieabhängigkeiten schienen allenfalls als eher theoretisches Langfristproblem, Gas (großenteils aus Russland) galt als Übergangstreibstoff. Die Frage der Transformation in eine nachhaltige Wirtschaft schien eine, bei der man nicht überstürzt entscheiden sollte, und die sozialen Aspekte einer Energiepolitik nicht allzu vorrangig. Das alles steht jetzt in einem neuen Licht.
Keine Zeit für den Luxus weiterer Zögerlichkeiten
Dinge, die zuvor nur schwer durchsetzbar schienen, stoßen auf deutlich mehr Verständnis und größere Bereitschaft. Was nicht heißt, dass in den Diskussionen die alten, reflexhaft vorgetragenen Argumente nun verstummt wären. Und sicher ist die Warnung richtig, jetzt in den massiv geänderten Zusammenhängen nicht alles an früher für richtig gehaltenen Prinzipien komplett über Bord zu werfen.
Bei aller Notwendigkeit des Ausbaus ist nicht jeder Platz sinnvoll für eine neue Windkraftanlage. Rein ideologische oder von Partikularinteressen geprägte Auseinandersetzungen dürfen nicht mehr dazu führen, dass vieles wie in der jüngsten Vergangenheit fast zum Stillstand kommt.
Das erfordert nicht weniger als ein neues Austarieren, beispielsweise in Genehmigungsverfahren. Es muss schneller gehen, aber gleichzeitig muss die Prüfung berechtigter Einwände gewährleistet bleiben. Es müssen neue Technologien massiv vorangebracht, aber Monostrukturen mit wiederum einseitigen Abhängigkeiten und derzeit nicht wirklich absehbaren Langzeitfolgen vermieden werden. Die Hoffnung, aus der ersten Ölkrise mit dem Ausbau der Kernkraft Abhängigkeiten zu verringern, hat bekanntermaßen bis heute nicht gelöste Langzeitprobleme erzeugt, die die Laufzeiten der Meiler deutlich übersteigen. Ähnliches befürchten nicht wenige, die eine einseitige Förderung der Elektromobilität kritisieren.
Die vielleicht größte Ressource in Sachen Energie ist der Verbrauch selbst, sprich: Einsparmöglichkeiten. Der große Vorteil dabei: Darauf haben letztlich alle, Politik, Wirtschaft und jeder Einzelne direkten Zugriff. Allerdings mit höchst unterschiedlichen Möglichkeiten.
Natürlich können alle Endverbraucher mit ihrem Verhalten Energie einsparen, angefangen vom Heizen (oder Klimatisieren) bis zu dem neuerlich zu Ruhm gelangten Energiespar-Duschkopf. Menschen mit größeren finanziellen Möglichkeiten mögen sich Investitionen in ein hocheffizientes Energiespar-Smarthome leisten können. Das ist aber nun mal nicht der Normalfall. Heizung erneuern, Wände dämmen und andere Maßnahmen würden sicher viele liebend gerne machen, erst recht mit Blick auf die aktuellen Energiepreise, aber ohne Förderungen ist es nicht realisierbar. Wie erfolgreich Förderungen sein können, hat nicht zuletzt der Streit um KfW-Förderung von Energiesparhäusern gezeigt, die angesichts der enormen Nachfrage unterdimensioniert waren.
Gerade untere und kleine mittlere Einkommensgruppen achten ohnehin darauf, dass ihre Rechnungen nicht explodieren. Aber für größere Investitionen reicht es allein nicht. Auch da gab und gibt es vielfältige und erfolgreiche Förderansätze. Was am Schluss aber auch nur bedingt weiterhilft, wenn Fachkräfte zur Umsetzung fehlen, oder, falls welche in überschaubarem Zeiträumen zur Verfügung stehen, die zu allem Überfluss nicht an das notwendige Material kommen – und das wiederum, falls vorhanden, dank Energiepreisen ebenfalls massiv teurer geworden ist.
Womit wir wieder am Anfang der Geschichte sind.
Dass es einfach wird, hat niemand behauptet. Entscheidend ist, die bisherigen Zögerlichkeiten aufzugeben und konsequent anzufangen, aus den bisherigen Maßnahmen, die schon wegen ihrer Befristung (zu Recht) erst einmal nur Überbrückungszeit gewonnen haben, Maßnahmen mit Perspektiven aufs Gleis zu setzen. Dass Energie, egal aus welchen Quellen, dauerhaft wieder zu alten Preisen zu haben ist, bleibt dabei eine Illusion.