Mit der Wiedereröffnung der Modernen Galerie des Saarlandmuseums und dem neuen Erweiterungsbau erhält das Saarland einen außergewöhnlichen Ausstellungsort für Bildende Kunst. Museumschef Dr. Roland Mönig erläutert die Konzeption.
Herr Dr. Mönig, was Sie erleben, erlebt nicht jeder Museumschef. Die Moderne Galerie ist wiedereröffnet. Wie fühlt sich das an?
Das ist ein großartiges Gefühl, weil es ein wunderbares Museum ist. Das Museum hat eine fantastische Sammlung und eine große Geschichte. Es hat in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, was es für die Stadt, für die Region, auch für die Großregion bedeutet. Und es kann nicht sein, dass es wegen einer Handvoll Dinge, die nicht gut gelaufen sind – ich will das nicht bagatellisieren – als Institution von solcher Bedeutung nicht wieder nach oben kommen kann. Wir haben erreicht, dass das Museum wieder ganz zugänglich ist, sogar mehr als ganz, es hat einen neuen Flügel bekommen, der es in der Gegenwart ankommen lässt und durch seine neuen Möglichkeiten in die Zukunft schauen lässt.
Sie haben seit Ende 2013, seit Sie Direktor des Saarlandmuseums sind, die Baumaßnahmen der Museumserweiterung mitbetreut – bei laufendem Ausstellungsbetrieb, anderthalb Jahre war das Museum geschlossen. Worin bestand die größte Herausforderung?
Die Darstellung des Bauprojektes nach draußen in die Öffentlichkeit, in die Stadt und ins Land. Unter dem Beinahe-Scheitern hat die Kulturszene gelitten. Es ist Vertrauen verloren gegangen. Es ist schwierig gewesen, sich mit dem Museum zu identifizieren. Die größte Herausforderung, die wir – dazu zähle ich auch das Kuratorium der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz unter dem Vorsitz von Minister Commerçon, meinen Vorstandskollegen Bernd Therre, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung ebenso wie unsere Fördergesellschaft – zu meistern hatten, war, dieses Vertrauen wiederzugewinnen. Viele haben zum Neustart beigetragen. Bei der Leereröffnung des Erweiterungsbaus nach Abschluss der Bauarbeiten haben wir zum ersten Mal deutlich gespürt, dass eine große Freude da war und das Vertrauen zurückkommen kann.
Wenn man sieht, was sich aus dem Zusammenschluss des Heimatmuseums der Stadt Saarbrücken mit der Sammlung der Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk über Jahrzehnte entwickelt hat, staunt man. Welche Erkenntnis hat Sie in der Beschäftigung mit der Geschichte des Saarlandmuseums beeindruckt?
Mich hat beeindruckt, mit welcher Entschiedenheit man ab den frühen 50erJahren, als Rudolf Bornschein Leiter war, diese Sammlung der Moderne zusammengestellt hat. Es wurden viele hundert Werke in wenigen Jahren und immer mit Augenmaß und gutem Gespür gekauft. Diese Goldgräberzeit lässt einen schon staunen – im Nachhinein.
„Das blaue Pferdchen“ von Franz Marc ist eine Ikone der Sammlung. Stimmt es, dass dieses Werk beim Erwerb Mitte der 50er-Jahre Proteste hervorrief?
Man hat in den frühen 50er-Jahren bewusst Werke von Künstlern gekauft und damit rehabilitiert, die die Nazis verfemt, die sie als „entartet“ gebrandmarkt hatten – Franz Marc gehörte dazu. Im Umfeld der Saarabstimmung machte man dann gegen diese promoderne und profranzösische Haltung Stimmung, denn sie wurde mit der politischen Haltung der damaligen Landesregierung identifiziert. Man sieht daran beispielhaft, wie ein Museum Spielball politischer Kräfte werden kann. Es wurde als Steuerverschwendung angeprangert, ein Werk wie Marcs „Blaues Pferdchen“ zu erwerben. Aber die Geschichte hat das – wie so vieles – korrigiert. Heute wissen wir, dass gerade dieser Ankauf eine der besten Entscheidungen überhaupt gewesen ist.
Könnten Sie exemplarisch Werke der Modernen Galerie, die aufgrund ihrer Qualität herausragen, nennen?
Es beginnt natürlich beim Impressionismus mit den Landschaftsbildern von Renoir, Monet, Pissarro und Signac. Ganz wichtig ist der deutsche Impressionismus: Wir können Hauptwerke von Max Liebermann zeigen, einen Riesenbestand von Max Slevogt, fantastische Arbeiten von Lovis Corinth. Sein „Der Walchensee“ ist sicherlich ein Highlight. Dann der Expressionismus: „Das blaue Pferdchen“ ist schon erwähnt, darum herum gruppieren sich die anderen „Blauen Reiter“: Gabriele Münter, Macke, Jawlensky – das ist ein Bestand, um den man uns schon beneiden kann. Darüber hinaus die Kunst der „Brücke“: Ernst Ludwig Kirchner, sein imposantes, sonderbar verschachteltes Atelierbild, in dem man sehr viel über den deutschen Expressionismus lernen kann – und dann seine Weggefährten Schmidt-Rottluff, Erich Heckel, Max Pechstein. Die Neue Sachlichkeit: Max Beckmann ist eine fulminante Position, „Die Messingstadt“ vor allem. Und dann Picasso: Sein Stillleben ist ein wunderbares Bild. Wichtig sind auch die Kunst der 50er-Jahre und natürlich die Fotografie, die Fotografie als Kunst, die schon Bornschein zu sammeln begonnen hat – das war damals sehr mutig. Zu den Signalwerken des Hauses zählt auch „Ätna-Zyklus“ – ein Höhepunkt des Informel. Nicht zu vergessen ist der Skulpturengarten, unter anderen mit der „Großen Gaia“ von Matschinsky-Denninghoff. Und dann folgen die Zeitgenossen …
Welche Überlegungen haben Sie bei der neuen Hängung der Werke geleitet?
Erstens, zu seinem Recht kommen zu lassen, was – in den bisherigen beengten Verhältnissen – oft nicht zu seinem Recht kommen konnte. Das Alleinstellungsmerkmal des Museums beruht darauf, dass es diesen großen Bogen schlagen kann vom Impressionismus bis heute – das wollen wir gerne zeigen. Der Erweiterungsbau hilft uns, die Grafische Sammlung und die Fotografie endlich nach oben kommen zu lassen. Zum zweiten: Wenn Sie jetzt die Sammlung in den drei gleichberechtigten Museumsflügeln – die jeweils Unterschiedliches können – erleben, dann erschließt sie sich nicht chronologisch, sondern erst mal aus der eigenen Zeitgenossenschaft. Egal in welchen Flügel Sie eintreten, Sie haben es zunächst immer mit aktuellen Positionen aus den vergangenen 20, 30, 40 Jahren zu tun. Und dann beginnt die Reise. Sie tauchen immer weiter ein in die Geschichte der Kunst.
Wer mehr weiß, sieht mehr. Welche Wege werden Sie bei der Kunstvermittlung gehen?
Sehr aktive Wege. Entscheidend ist, dass wir endlich mitten im Museum ein Atelier haben, einen Raum, in dem Workshops, nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene, stattfinden können. Bisher waren die Workshops im Keller des Verwaltungsgebäudes, jetzt kann man im Museum und damit bei der Kunst bleiben. Wir halten ein umfangreiches Vermittlungsprogramm bereit, wir bieten Audio-Guides an, Wandtexte bieten zusätzliche Information. Wir werden aber in Zukunft auch weiter in Richtung Digitalisierung gehen.
Vor drei Jahren überraschte die Ausstellung „Albert Weisgerber – Märchen der Brüder Grimm“ – alle Werke stammten aus dem Bestand der Grafischen Sammlung des Saarlandmuseums. Könnten diese Märchenillustrationen in einer Dauerausstellung zugänglich gemacht werden?
Dauerausstellungen mit Werken aus der Grafik sind leider nicht möglich, das liegt an den konservatorischen Bedingungen. Aber: Wir haben endlich einen Raum, in dem grafische Themen immer wieder auftauchen können. Derzeit zeigen wir dort einen großen Überblick über die Grafische Sammlung. Und wir haben jetzt auch einen Studiensaal. Dort kann man sich auf Anmeldung Arbeiten auf Papier vorlegen lassen, beispielsweise auch Weisgerbers Illustrationen zu den Märchen der Brüder Grimm.
Das Café heißt als Reminiszenz an den Architekten des Museumsaltbaus, der denkmalgeschützt ist, „Schönecker“ und erscheint in neuem Design.
Das Café liegt an der Südwestecke des Erweiterungsbaues, was auch zu dem Wortspiel beigetragen hat, denn es ist eine schöne Ecke, wo man wunderbar in der Abendsonne sitzen kann. Die Gestaltung stammt, wie der Erweiterungsbau, von den Berliner Architekten Kuehn Malvezzi mit der Einfachheit und Klarheit, die ihre Architektur hat, und mit Referenzen an das, was Hanns Schönecker in den 60er-Jahren entworfen hat. Schöneckers Museum war ja auch deshalb sensationell, weil es ein Café hatte – noch heute schwärmen Leute von der schönen Bar, die es dort gab. Kuehn Malvezzi haben als verrücktes Highlight des neuen Bistros einen langen Tresen entworfen. Ich glaube, die Bar ist mit 13,99 Metern die längste im Saarland. In die Gastronomie eingebettet ist der Museumsshop, den die Fördergesellschaft ehrenamtlich betreibt.
Werke aus dem Depot sind in die Dauerausstellung überführt. Welches hat Ihrer Meinung nach zu lange dort geschlummert?
Angesichts seiner Bedeutung war der Ätna-Zyklus am längsten nicht ausgestellt. Aber auch jüngere Werke waren zu selten zu sehen, weil sie einfach gar nicht an die Wände passten, etwa die große Arbeit von Jonathan Meese. Sogar Werke der Klassischen Moderne haben im Depot geschlummert, weil es an Platz fehlte. Ein zauberhaftes kubistisches Stillleben von Schlemmer gehört dazu – ein echtes Kleinod.
Der Text einer Landtagsdebatte, die den Skandal um den Erweiterungsbau zum Thema hat, zieht sich in Schriftbändern über Außenfassade und Boden. Die Idee war umstritten. Welche Reaktionen haben Sie seit der Fertigstellung des 4.000 Quadratmeter großen Kunstwerks von Michael Riedel erreicht?
Überraschung, Freude, sogar Begeisterung. Es dreht sich dabei auch um die Gewinnung eines neuen Stadtraumes, eines Ortes der Begegnung, eng verbunden mit der Musikhochschule. Was das Kunstwerk selbst betrifft: Es ist ja kein Text mehr, sondern ein Muster aus grafischen Elementen. Und es ist zugleich Teil des Leitsystems, das zur Kunst führt. Wie ein Hinweisschild: Hier ist Museum! Am Ende geht es doch darum, was aus einem kontroversen Gespräch übrig bleibt: dass wir Kultur brauchen und dass wir ein Museum brauchen.
Der Erweiterungsbau hat eine Fläche von 1.500 Quadratmetern. Mal abgesehen von den Betriebskosten, diese Fläche muss ja auch bespielt werden. Kostenneutral ist das nicht möglich, oder doch?
Nein. Das ist kostenneutral nicht möglich, dementsprechend ist ein Aufwuchs der finanziellen Ausstattung vorgesehen – so ist das.
In den besagten Aufbaujahren 1952 bis 1965 konnte Direktor Rudolf Bornschein zahlreiche Werke ankaufen, davon können Sie heute nur noch träumen. Nichtsdestotrotz können Sie Neuerwerbungen zeigen.
Viele Museen haben heute keinen oder aber auch nur einen sehr geringen Ankaufsetat. Wir sind immerhin eines der gar nicht so zahlreichen Museen in Deutschland, die überhaupt noch über einen Ankaufsetat verfügen – und das ist ein entschiedenes Bekenntnis von Politik und Gesellschaft. Es wird politisch der Wille gezeigt, das Museum entwickeln zu können.
Welches „Wiedersehen“ erfreut Sie am meisten? Welches ist Ihr Lieblingsbild?
(lacht) Das ist so, als würden Sie einen Familienvater fragen, welches seiner zehn Kinder er am meisten liebt. Wir bringen 350 bis 400 Werke in die Räume. Jede Arbeit hat für mich eine ganz bestimmte Bedeutung und einen besonderen Charme. Ich glaube, das Bild, über das ich mich besonders freue, ist gerade Ernst Ludwig Kirchners Atelierszene – ein wahres Schmuckstück der Sammlung. Das Wiedersehen aber, das mich am meisten erfreut, ist das Wiedersehen mit den Menschen. Ich freue mich, dass jetzt die Menschen wieder zu uns kommen.