Schon bei seiner ersten Fashion-Week-Teilnahme in New York für die Sommersaison 2022 war das Label Peter Do so etwas wie die Hauptattraktion. Noch dazu in der Damen-Luxusmode angesiedelt, in die sich kaum ein Newcomer einfach so einzusteigen traut.
Frühsommer 2019 in Paris: In der Seine-Metropole präsentierten die Menswear-Labels ihre Kollektionen für den Sommer 2020. Abseits der bekannten Locations, genauer gesagt in der sechsten Etage eines Wohnhauses, ging völlig unbemerkt von der Fashion-Crowd noch eine ganz andere Veranstaltung über die Bühne. Denn hier hatte sich das Kollektiv eines 2018 in New York gegründeten Newcomer-Labels kurzfristig einquartiert, um erstmals seine mehr als hundert bis dahin entstandenen Entwürfe zu zeigen. Wobei sich Peter Do, der Kreativkopf der nach ihm benannten Marke, und seine vier Mitstreiter im Terminplan der Pariser Fashion Week geirrt zu haben schienen. Denn sie waren nicht etwa mit Herrenbekleidung im Fliegergepäck angereist, sondern mit Womenswear.
Damit überhaupt jemand auf die Idee kommen könnte, spaßeshalber während der Menswear-Shows auch mal einen Blick auf die Pieces von Peter Do zu werfen, hatten die fünf Macher zuvor entsprechende Einladungen unter anderem an wichtige Luxus-Modekaufhäuser und Nobelfashion-Versender geschickt. Der Rücklauf war allerdings sehr bescheiden, denn nur die New Yorker Luxus-Kaufhausmarke Barneys hatte zugesagt, einen ihrer Einkäufer vorbeizuschicken. Zunächst mal ziemlich enttäuschend für das Team um Peter Do, schließlich hatte die junge Marke innerhalb kürzester Zeit durch einen geschickten Auftritt in den sozialen Medien, vor allem bei Instagram, schon einen gewissen Bekanntheitsgrad erworben. Hier wurden ganz offen Einblicke in die Alltagsarbeit des New Yorker Ateliers erlaubt und gleichsam spielerisch die ersten Kreationen gezeigt. Nach langem, nervenaufreibendem Warten in der zum Showroom umfunktionierten Pariser Wohnung tauchte dann plötzlich ein Vertreter des weltweit renommierten High-Fashion-Multibrand-Einzelhändlers Dover Street Market auf. Und dieser Einkäufer war von dem Gesehenen so begeistert, dass er gleich seinen Kollegen darüber Bericht erstattete. Dank Mundpropaganda konnte Peter Do in den folgenden Tagen gleich neun wichtige Luxusmode-Distributoren gewinnen – darunter beispielsweise Net-A-Porter – und durch Vertragsabschlüsse einen Umsatz von einer halben Million Dollar erzielen.
Mobbing-Opfer zu Schulzeiten
Natürlich könnte man sich die berechtigte Frage stellen, warum ein Newcomer-Label seinen Start aus Kostengründen nicht vor Ort in New York City hingelegt hatte. Schließlich konnte kaum das nötige Geld aufgebracht werden, um die hochwertigen und daher sehr teuren Stoffe für seine Luxuskreationen erwerben zu können. Daher war Peter Dos Label anfangs auf finanzielle Anleihen aus dem familiären Umkreis der Gründer angewiesen. Die Antwort auf diese Frage war für Peter Do denkbar einfach: weil aus seiner Sicht alles rund um den Big Apple 2019 fest in Athleisure-Hand war. Aus diesem Grund hatten ihm verschiedene Kollegen aus dem heimischen Fashion-Business auch den wohlgemeinten Rat gegeben, um Gottes willen die Finger von der Luxusmode zu lassen. Zusätzlich gab es einen ganz persönlichen Bezugspunkt des kreativen Marken-Kopfes Peter Do zur Welthauptstadt der Haute Couture und der Luxusfashion. Das kann man aber nur verstehen, wenn man zuvor einen Blick auf die Biografie von Peter Do wirft.
Im Alter von 14 Jahren wurde der im vietnamesischen Biên Hòa geborene Designer von seinen ins US-amerikanische Philadelphia eingewanderten Eltern nachgeholt. Sein Vater, der meistens sehr einfache Jobs ausübte, starb, als Do noch im Teenageralter war. Seine Mutter war als Nageldesignerin tätig. Die Eingewöhnung in die US-Gesellschaft war für den Jungen schwierig, Englisch lernte er nach eigenem Bekunden durch die Fernsehserie „Sex and the City“. In der Schule wurde er als „Asiate mit den falschen Klamotten“ – meistens trug er eine ausgestellte Jeans und enge T-Shirts – gemobbt. „Es war nicht das Amerika, das ich mir vorgestellt hatte“, so Peter Do. Er biss sich durch, absolvierte die Highschool und entschied sich gegen den Willen der Mutter für ein Mode-Studium. Zunächst am New Yorker Pratt Institute, das ihm aber zu wenig handwerklich-praxisnah, sondern stärker theoretisch-konzeptionell ausgerichtet war, weshalb er zum Fashion Institute of Technology im Big Apple wechselte. Dort sollte sich schnell sein Ausnahmetalent zeigen. Dieses wurde offenbar auch im fernen Paris registriert. Spätestens dann, als er mit seiner Abschluss-Kollektion einen vom Luxuskonzern LVMH gesponserten Wettbewerb gewonnen und sogar von Megastar Lady Gaga die Anfrage für ein Kleidungsstück erhalten hatte.
Als LVMH 2014 einen Wettbewerb für junge Designer-Talente ins Leben rief, zählte auch Peter Do zu den Gewinnern. Neben der Siegprämie von 10.000 Euro freute er sich vor allem über die Chance, bei einem renommierten Haus des LVMH-Konzerns erste Erfahrungen in praktischer Design-Arbeit sammeln zu können. Und so sollte Peter Do plötzlich in Paris und bei Céline mit seiner in der Fashionbranche hochgeschätzten Kreativchefin Phoebe Philo landen. „Meine Zeit bei Céline hat mich eine völlig neue, ganzheitliche Wertschätzung für Womenswear gelehrt. Phoebe war eine unglaubliche Mentorin und einer der am härtesten arbeitenden Menschen, mit denen ich je zusammengetroffen bin. Ihre Fähigkeit, sowohl High- als auch Low-Kultur miteinander zu verbinden, ist für mich zum Vorbild geworden.“ Bei Céline sollte Peter Do nicht nur das eigentlich vorgesehene einjährige Training absolvieren, sondern zwei Jahre lang bleiben.
Auch bei Céline war er wegen seiner asiatischen Wurzeln damals noch so etwas wie ein Exot. „Ich war mit 23 Jahren der jüngste Designer im Team. Ich habe mit Leuten mit jahrzehntelanger Erfahrung zusammengearbeitet, die mir alles beigebracht haben, was es über Schneiderei und Textilgestaltung zu wissen gibt“, so Peter Do. Phoebe Philo ließ ihn an ihrer Seite in Paris und auch in London an den Runway-Kollektionen mitwirken. Von Phoebe Philo übernahm Peter Do auch das gestalterische Konzept, Kreationen nicht auf Basis von zeichnerischen Skizzen zu entwerfen, sondern durch Umsetzung einer im Kopf gefassten Idee mittels ständigem Ausprobieren und Abändern eines Kleidungsstücks auf einer Puppe oder einem Model. „Ich hasse das Zeichnen“, so Peter Do, „Es ist so veraltet. Meine Kollektionen entstehen aus einem Bild, das in meinem Kopf von einer Frau und einem Piece, das sie tragen soll, Gestalt annimmt. Wir machen dafür fast jede Woche Anproben und besprechen dabei ausführlich, was funktionieren könnte und was nicht. So hatte das auch Phoebe Philo gemacht, die bei jeder Anprobe dabei war und die Stücke dabei an sich selbst ausprobiert hatte.“
Wechsel zu Derek Lam in die USA
So sehr er Phoebe Philo auch bewundert haben mag, so konnte er sich auf Dauer doch nicht mit den internen Arbeitsabläufen anfreunden, die backstage in den bekannten Häusern der Glamour-Branche Usus waren. Der dauerhafte Stress, die langen täglichen Arbeitszeiten oder der ständige Konkurrenzkampf unter den Beschäftigten ließen ihn 2016 bei Céline das Handtuch werfen. Er kehrte in die USA zurück und wurde in einem achtköpfigen Team als Senior-Designer einer der Kreativköpfe bei Derek Lam in New York. „Bei Derek Lam konnte ich mein Wissen über die geschäftliche Seite des Jobs vertiefen und habe auch begonnen, mir erste Gedanken über meinen Führungsstil in einem eigenen Label zu machen.“ Zudem wurde er auf Reisen nach Italien geschickt, um mit den hochspezialisierten Angestellten der dortigen Ateliers die handwerkliche Realisierung der Kreationen zu besprechen. Nach eineinhalb Jahren beendete Peter Do sein Engagement bei Derek Lam, weil er seine eigene Marke gründen wollte. Für seinen ehemaligen Chef war das ein logischer Schritt: „Es ist das Talent, die Leidenschaft und der Ehrgeiz, die bei Peter Do zusammenkommen. Während er bei mir war, konnte ich definitiv erkennen, dass dieser Typ außergewöhnlich ist.“
Außergewöhnlich war auch, dass Peter Do seine Marke zusammen mit vier Freunden gründete, die er größtenteils im Internet kennengelernt hatte und die ebenfalls asiatische Wurzeln haben. Peter Do ist der kreative Kopf des Labels, während die anderen für Administratives, den Vertrieb oder die PR zuständig sind. Über Mode gibt in der Öffentlichkeit eigentlich nur Peter Do Auskunft, wobei er sich angewöhnt hat, sein Gesicht bei Interview-Terminen mit Fotoshooting hinter vorgehaltenen Händen und tief sitzender Basecup zu verbergen. Damit will er seine Person hinter der Fashion des Labels zurücktreten lassen. Sehr pariserisch legte Peter Do sich ein Atelier in den Sunset-Park-Studios in Brooklyn zu und setzte sich langfristig das Ziel, das Midtown-Bekleidungsviertel wiederzubeleben, um die Luxuskleidung, ähnlich wie es die großen Modehäuser an der Seine vor allem für ihre Haute Couture machen, durch heimische Spezialisten vor Ort anfertigen zu lassen. „Unser langfristiges Ziel ist es, ein Luxusmodehaus in New York zu sein“, so Peter Do kurz nach der Gründung des Labels 2018. „Das Bekleidungsviertel in Midtown ist im Niedergang, weil die Arbeit aus Kostengründen nach Übersee ausgelagert wurde. In Zukunft möchte ich im direkten Umfeld meines Ateliers den elementar wichtigen Austausch mit meinen Näherinnen und Musterschneidern führen können.“ Ebenso viel Aufmerksamkeit schenkte der Designer dem Aufbau einer etwas anderen Unternehmenskultur mit geregelten Arbeitszeiten, einem kommunikativen Umgang auf Augenhöhe, regelmäßigen Gemeinschaftsessen im Atelier und einem offensiven Online-Auftritt, der reichlich Einblicke in die Arbeit des Kollektivs erlaubt. Stilistisch war Peter Do zielsicher in die Marktlücke vorgestoßen, die im Bereich der Luxusmode durch das Ausscheiden von Phoebe Philo bei Céline 2017 entstanden war. Seine Kreationen sind clean, minimalistisch, schnörkellos, elegant mit einem Schwerpunkt auf gerader Linienführung und feinem Tailoring. Er sorgt damit für eine Wiederbesetzung eines Marktsegments, das von vielen anderen Labels zugunsten der jüngeren und jüngsten Generation und deren Streetwear-Vorliebe aufgegeben worden war. Ohne dabei zu bedenken, dass der Großteil der weiblichen Klientel, die dazu bereit ist, für ein einziges Teil 3.000 Euro oder mehr auszugeben, in der Regel schon etwas fortgeschrittenen Alters ist. „Wir machen Tagesmode für die Frau, die das Beste aus ihrem Tag macht“, so Peter Do. Man könnte auch sagen: Das gute Old-Céline von Phoebe Philo für die moderne Business-Frau feierte mit Peter Do seine Wiederauferstehung. Was auch den Überraschungscoup beim ersten Pariser Auftritt im Sommer 2019 und das frühe Interesse von Stars wie Beyoncé, Solange oder Zendaya an den Kreationen des Newcomer-Labels erklären mag. Drei Jahre später, als der Umsatz schon auf sechs Millionen Dollar angestiegen war und die Marke bei weltweit 42 Fachhändlern bereits schwarze Zahlen geschrieben hatte, sollte sogar US-Präsidenten-Gattin Jill Biden bei Peter Do für Klamottennachschub anklopfen.
Nach und nach begann sich Peter Do etwas von Phoebe Philos Marken-DNA zu lösen und seinen persönlichen Stil zu entwickeln, wobei er selbst gern Vorbilder wie Helmut Lang oder Martin Margiela mit ins Spiel brachte. Von anderer Seite wurden ihm auch Anleihen bei Marken wie Comme des Garçons, Proenza Schouler oder Alexander Wang angedichtet. Aber dennoch gibt es weiterhin die Klassiker wie Röhrentops, oberschenkelhohe Schlitz-Röcke, ausgeschnittene Blazer, seidig gerade geschnittene Hosen, elegante Pantsuits, plissierte Lederteile oder asymmetrische Faltenröcke. Die durchsichtigen Sets nicht zu vergessen. Diese sind dank eines von Peter Do schon während seines Studiums entwickelten transparenten, exrem dünnen, faltenfreien, neoprenähnlichen und bestens isolierenden Stoffes namens „Spacer“ zu seinem Markenzeichen geworden. Auch Strickwaren rückten ab der Wintersaison 2020/2021 ins Sortiment vor, das mittlerweile im Sinne der Nachhaltigkeit komplett von jeglichem Plastik befreit ist. So zum Beispiel gerippte rückenfreie Strickpullover.
Natürlich hatte Peter Do, der 2020 zu den acht Gewinnern des renommierten LVMH-Preises zählte (wegen der Corona-Pandemie wurde kein einzelner Finalsieger ermittelt), bei Céline auch den unschätzbaren Wert von Accessoires zur Umsatzsteigerung kennengelernt. Darum hat er auch exklusive Handtaschen (und seit dem Sommer 2020 auch Damenschuhe) entworfen, zunächst mit dem italienischen Label Medea, ab der Sommersaison 2022 auch in Eigenregie mit Produktion in Italien.
In seiner ersten Kollektion für den Winter 2019/2020 waren kastenförmig geschnittene Mäntel, Cocooning-Jacken mit dekorativen Nähten, „Spacer“-Pieces oder ausgeschnittene Blazer, die sich in Weste oder Bolero verwandeln ließen die Highlights. Mit der Wandelbarkeit von Fashion-Teilen spielt Peter Do ohnehin sehr gern.
Auch für die Sommersaison 2020 gab es wieder ein Wandel-Teil in Gestalt einer verstellbaren Jacke, die frau zu einer rückenfreien Weste oder einem Bolero umstylen kann. In der Winterkollektion 2020/2021 gab es Bolero-Strickjacken und als Eyecatcher einen wasserdichten, wendbaren Trenchcoat. Die zweifarbige Hose mit kontrastierendem Leder nicht zu vergessen.
„Tagesmode für die Frau“
„Sex and the City“ - Foto: picture alliance / United Archives
Für den Sommer 2021 verblüffte Peter Do mit einem Seidenkleid, das sich leicht in ein elegant drapiertes Oberteil mit Cape-Rücken verwandeln ließ. Gelungen waren auch die langen Kleider aus T-Shirt-Jersey. In der Wintersaison 2021/2022 weitete Designer Peter Do sein Repertoire von der modisch-eleganten Tageskleidung auf die Abendkleidung aus. Wer es glamourös haben wollte, konnte sich für metallisch folierte Jeansmäntel oder eine silberfarbene Lederjacke entscheiden. Auffällig waren aber auch die sexy High Heels mit Knöchelreifen, die maßgeschneiderten Kilts oder die rippengestrickten Neckholder-Sets. Mit seiner ersten Teilnahme an einer Fashion-Week für die Sommersaison 2022 sorgte Peter Do in New York für Furore: mit funktionalen Looks in Pastellfarben, die teilweise von seinem vietnamesischen Erbe inspiriert waren, beispielsweise Tuniken, die über langen Hosen getragen wurden. In der Wintersaison 2022/2023 rückte er dann den Hosenanzug in den Mittelpunkt seiner Kollektion, aber es gab auch lange Faltenröcke, A-Linien-Kleider oder gerippte Pullover mit einem Tattoo-Logo auf einem Ärmel.
Für den Sommer 2023 sorgte Peter Do schließlich für einen weiteren Paukenschlag, indem er neben seiner Womenswear erstmals auch Kleidung für Männer und jede Menge androgyner Looks auf dem Catwalk präsentierte. „80 Prozent meiner neuen Kollektion sind mehr oder weniger geschlechtslos“, erklärt der Designer. Für die Herren konzentrierte sich Do auf scharf geschnittene Anzüge, Kaschmir-Hoodies oder Seidenblusen. Für die Damen hatte Peter Do lange Faltenröcke, leichte Kleider, feine Strickwaren oder elegante Anzüge in seinem Programm.
Aufsehen erregte auch Peter Dos neuerliches Bekenntnis zur Hinwendung zu nachhaltigen Materialien, die er gemeinsam mit dem biobasierten Spezialisten TomTex entwickelt hatte. Ein Tanktop mit Rundhalsausschnitt und eine Hose aus Lackleder waren aus einem neuartigen Vliesstoff-Biogewebe auf Basis von Garnelen- und Pilzabfällen gestaltet worden.