Der österreichische Krisen- und Blackout-Berater Herbert Saurugg über die Folgen eines längeren Stromausfalls, die richtige Vorsorge und warum ein rationaler Umgang mit der eigenen Angst hilfreich ist.

Herr Saurugg, was sind die Unterschiede zwischen einem Stromausfall und einem Blackout?
Ja, das ist ganz wichtig. Ein Blackout würde zu einem überregionalen und länger andauernden Strom-Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall führen, weil massive Probleme in der kritischen Infrastruktur, bei IT-Systemen, aber auch in der Produktion und Logistik zu erwarten sind. Kaum ein Bereich bliebe davon verschont. Auch wenn die Stromversorgung wieder funktioniert, würde es noch wesentlich länger dauern, bis die anderen Versorgungsleistungen wieder funktioniert und zur Verfügung stehen. Das wird immer unterschätzt, weil man nur von einem etwas größeren Stromausfall ausgeht.
Wie lange könnte ein solcher Blackout dauern?
Das ist schwierig vorherzusagen, weil die Erfahrungen fehlen und das von vielen Rahmenbedingungen abhängig ist. Etwa von der Größe des Ausfalls oder dem betroffenem Gebiet und den dort verfügbaren Kraftwerken. Wir in Österreich rechnen damit, dass es etwa bis zu zwei Tage dauern kann, bis wieder alle versorgt sind. Auf europäischer Ebene könnte es durchaus eine Woche dauern. Das ist aber auch schon die äußerste Grenze, wo das noch irgendwie beherrschbar ist. Das Entscheidende ist nicht nur die Dauer selbst, sondern auch, wie großflächig der Stromausfall ausfällt. Denn damit werden viele andere Dinge losgetreten, die bei einem normalen Stromausfall kaum passieren.
Was wäre konkret anders bei einem Blackout im Vergleich zu einem „normalen" Stromausfall?
Zunächst sind beide gleich. Wenn es zu einem großflächigen Ausfall kommt, wird auch die Telekommunikationsversorgung rasch nicht mehr funktionieren –
was bei einem lokalen Ausfall nicht sein muss –, weil dann alles gleichzeitig betroffen ist. Ohne Handy, Festnetz und Internet ist zeitnah keine Kommunikation und keine Koordination mehr möglich. Wenn eine einzelne Ampel ausfällt, ist das lästig. Wenn alle Ampeln gleichzeitig ausfallen, steht alles still. Je nach Region und Vorbereitung kann auch die Wasserversorgung betroffen sein.
Es würde nach dem Stromausfall wahrscheinlich noch Tage dauern, bis das Handy- und Festnetz und damit auch das Internet wieder funktionieren. Ohne Telekommunikationsversorgung funktioniert aber keine Produktion, Logistik, Warenverteilung oder Treibstoffversorgung.
Und hier ist das größte Problem, dass ein Großteil der Bevölkerung, nämlich zwei Drittel, spätestens nach einer Woche nichts mehr zu essen hat. Wenn ich nichts zu essen habe, dann komme ich nicht in die Arbeit, um die Produktion wiederaufzunehmen und um die Systeme wieder hochzufahren. Diesen Teufelskreis kann man dann kaum mehr durchbrechen.
Manche Experten befürchten einen wochenlangen Blackout im kommenden Winter. Teilen Sie diese Ansicht?
Ein großflächiger Stromausfall über eine Woche ist der Weg zurück in die Steinzeit. Weil die Infrastrukturen dann nicht mehr hochgefahren werden können. Ab 72 Stunden steigt das rasant an, weil dann die meiste Notstromversorgung aus ist. Das Personal kommt nicht, weil es nichts zu essen hat, um etwas zu reparieren. Ab einer Woche ist es nicht mehr beherrschbar, wie auch bereits vor zehn Jahren das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag festgestellt hat. Haben wir darauf reagiert? Nicht wirklich.
Ich denke, dass Übertreibungen generell kontraproduktiv sind, weil damit die Menschen nicht ins Tun kommen, weil sie dann sagen: „Dann ist es sowieso egal, ich kann eh nichts mehr machen".
Ein großflächiger Stromabfall ist ab 72 Stunden kaum mehr beherrschbar, da viele IT-Systeme dann wahrscheinlich nicht mehr starten, vor allem in den Backbone-Systemen, also dem Rückgrat der Telekommunikationsversorgung. Was derzeit kaum jemand mehr abstreitet, ist, dass wir im kommenden Winter Lastabschaltungen, zuerst freiwillig und wenn das nicht ausreichen sollte, Flächenabschaltungen erleben könnten. Damit soll auch ein Blackout verhindert werden.
Leider werden hier die Auswirkungen noch häufig unterschätzt. Denn auch bei einer nur mehrstündigen großflächigen Stromabschaltung ist bereits mit erheblichen Infrastruktur- und Produktionsschäden zu rechnen. Unsere Systeme sind nicht dafür ausgelegt.
Diese Kaskadeneffekte aufgrund der Komplexität in unserer heute hoch vernetzten Welt und Infrastruktur haben nur wenige Akteure auf dem Radar. Die Bevölkerung sowieso nicht. Aber auch nicht die Verwaltung, die Politik oder Verantwortungsträger generell, weil jeder nur in seinem kleinen Kastl denkt.
Es wird ja auch immer häufiger von geplanten Abschaltungen oder Lastabwürfen gesprochen, um einen Blackout zu verhindern. Was meinen Sie dazu?
Unser System ist zu komplex und zu vernetzt, um die tatsächliche Gefahr, die davon ausgehen würde, richtig einschätzen zu können. Es kann durchaus funktionieren, wie wir das in Südafrika seit Jahren beobachten können. Doch bei uns würde es bei den ersten Malen wohl zu massiven Infrastrukturschäden kommen. Sind diese einmal behoben und die Leute daran gewöhnt, dann kann es funktionieren. In der Theorie und auf Papier hört sich das alles einfacher an, als es dann wirklich ist.
Das heißt, ein Dominostein nach dem anderen würde umfallen, weil alles miteinander zusammenhängt?
Ja, da treten dann chaotische Rückkopplungseffekte auf. Kleine Ursachen können zu verheerenden Auswirkungen führen. Mein Hintergrund ist ein system- und komplexitätswissenschaftlicher, mit dem ich die Zusammenhänge betrachte. Das ist leider nicht „state of the art". Viele Menschen sind noch im klassischen linearen maschinellen Denken unterwegs, weil das ja auch bisher erfolgreich war und funktioniert hat. Wir haben aber die Rahmenbedingungen massiv verändert.
Was sind denn die Bedingungen für einen Blackout? Warum könnte es überhaupt dazu kommen?

Grundsätzlich ist das europäische Stromversorgungssystem das sicherste und verlässlichste der Welt. Damit wird auch argumentiert und gesagt, ein Blackout kann nicht passieren. Es gibt aber in meiner Fachwelt auch die sogenannte Truthahn-Illusion, die besagt, dass der Truthahn mit jeder Fütterung mehr Vertrauen in seinen Besitzer gewinnt. Die wesentliche Information, dass diese Fürsorge nur einem Zweck dient, dass er dann verspeist werden soll, weiß er nicht. Daher erlebt er am Tag vor Thanksgiving durch die Schlachtung eine böse Überraschung. Wir ticken ähnlich und schauen in den Rückspiegel, wie es bisher gelaufen ist, und denken „Das muss immer so weiter gehen". Doch in den letzten Jahren, aber vor allem in den letzten Monaten sehen wir massivste Umbrüche und kumulierte Probleme im europäischen Verbundsystem. Beginnend mit dem Ukrainekrieg und den Problemen in der Gasversorgung, die sehr eng mit der Stromversorgung zusammenhängt. Wir haben seit Sommer dieses Jahres das große Problem in Frankreich, wo die Hälfte der Kernkraftwerke aus Sicherheitsgründen vom Netz genommen wurde. Das soll angeblich bis zum Winter behoben werden, wobei die erste Anlage bereits wieder ausgefallen ist. Die Frage ist, ob Frankreich es schaffen wird, genügend Kraftwerke wieder ans Netz zu bringen, um den eigenen Bedarf zu decken. Frankreich hat aber bisher auch massiv exportiert, etwa nach Italien, wodurch es auch dort ein massives Problem geben wird. Es gibt zusätzlich das große Problem mit der Trockenheit, das heißt Wasserkraftwerke haben kaum mehr oder deutlich weniger produziert. In Österreich war das im August 37 Prozent weniger als üblich. Auch die Kühlung kalorischer Kraftwerke wurde damit sehr erschwert. In Deutschland muss nach der Zerstörung von Nord Stream 1 ab November mit massiven Problemen bei der Gasversorgung gerechnet werden. Auch sehen wir derzeit verstärkt Sabotageaktivitäten auf kritische Infrastrukturen, wo wir noch nicht wissen, wer dahintersteckt. Wir befinden uns im Krieg, auch wenn wir das noch nicht realisiert haben. Also können wir nicht ausschließen, dass man genau jetzt unsere Schwächen bei der Energieversorgung und Infrastruktur weiter ausnützen wird und uns einfach mit uns selbst beschäftigen lässt. Wir wissen noch nicht, wer hinter der Bahnsabotage war.
Wichtig ist auch: Wir haben ein europäisches Verbundsystem aus 29 Ländern, was nur im Ganzen funktioniert. Wo permanent genau so viel Strom erzeugt werden muss, wie gerade verbraucht wird. Und da haben wir ein Problem mit den Erneuerbaren. Wobei das nicht per se deren Schuld ist, sondern die der Politik und Regulierung, die falsche Anreize gesetzt hat und weiterhin setzt. Ein Ausbau von Wind und Fotovoltaik ohne ausreichend Puffer und Speicher funktioniert nicht.
Wenn daher zeitgleich in mehreren Regionen, wie sich das derzeit abzeichnet, massive Probleme auftreten, könnte das zu einem ungeplanten, großflächigen Ausfall führen. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist die Temperatur. Sollte auch noch eine Kältewelle dazukommen, dann wird es sehr kritisch.
Ist die Bundesregierung aus Ihrer Sicht gar nicht für einen Blackout gewappnet?
Es geht nicht darum, ob die Bundesregierung vorbereitet ist. Ist sie nicht. Es geht darum, ob die Bevölkerung vorbereitet wäre. Wenn die breite Masse von uns sich nicht für zumindest vierzehn Tage selbst versorgen kann, dann nützt auch die beste staatliche oder organisatorische Vorbereitung nichts, weil niemand Millionen Menschen helfen kann.
Ich habe bisher kaum eine Vorbereitung in Deutschland wahrgenommen. Ausnahmen bestätigen die Regel. Dabei ist in vielen Regionen mit massiven Problemen bei der Wasserversorgung zu rechnen. Wenn die Wasserversorgung nicht mehr funktioniert, gibt es eigentlich keine Krisenbewältigung mehr, vor allem nicht in den Städten.
Bayern ist eine positive Ausnahme, wo jetzt auch immer mehr Aktivitäten starten. Aber nicht von oben herunter, sondern von engagierten Bürgern aus. Meine Mitstreiterin Sandra Kreitner treibt das auch sehr intensiv voran. Von offizieller Seite wird das Thema aber nach wie vor heruntergespielt.
Ist Österreich da möglicherweise besser aufgestellt?
Grundsätzlich ja. Die Medien gehen deutlich seriöser mit dem Thema um und es gibt eine breite Auseinandersetzung, auch wenn es genug Akteure gibt, die das Thema noch herunterspielen. Es bleibt aber sicher noch genug Luft nach oben.
In Deutschland war es bis vor wenigen Monaten verpönt, überhaupt davon zu sprechen. Auch heute noch bringen viele Medien das Thema sofort mit Panik- und Angstmache, Preppern und Nazis in Verbindung, was völlig dumm ist. Damit schafft man noch mehr Polarisierung und Verunsicherung, anstatt sachlich aufzuklären und Hilfestellungen zu bieten.
Sie hatten das Stichwort Panik angesprochen. Wir haben viele angstbesetzte Krisen: erst Corona, dann Inflation, Energiekrise und der Krieg in der Ukraine verbunden mit der Furcht vor einem Dritten Weltkrieg. Jetzt kommen noch die Warnungen vor einem möglichen Blackout dazu. Dabei kann niemand mit hundertprozentiger Gewissheit sagen, ob, wann und in welcher Form es dazu kommen könnte. Ist es sinnvoll, die Menschen auch noch mit diesem Schreckensszenario zu belasten?
Ja! Denn wir sehen eine konkrete Gefahr, die nicht durch Wegschweigen oder Ignorieren verschwinden wird. Sollten die Menschen unvorbereitet überrascht werden, wäre das ein viel schlimmerer Schock.
Und vor allem kann man mit sehr geringem Aufwand seine Selbstwirksamkeit deutlich erhöhen. Ich rate auch dezidiert von Spezialausrüstung oder Notstromaggregaten ab. Das ist in den meisten Fällen nicht erforderlich. Wenn man sich einmal darauf konzentriert, sich für zumindest 14 Tage mit dem Notwendigsten selbst versorgen zu können, schaffen wir schon einen sehr wichtigen Sicherheitspuffer.
Mir ist es wichtig, dass man nicht diese Angst verstärkt. Natürlich ist man verunsichert, wenn man sich der eigenen Verwundbarkeit bewusst wird. Wenn wir schaffen, diese Vorsorge zu treffen, dann kann man damit umgehen. Wenn ich mich darauf einstellen kann, dass es jetzt mal ungemütlich wird, dann tue ich mir leichter mit der Bewältigung, als wenn ich die Erwartung habe, dass alles immer in Ordnung ist und bleiben wird. Hier fehlt aber die notwendige Sicherheitskommunikation.
De Maizière hat das Thema schon 2016 angesprochen. Doch von anderen Parteien und auch von den Medien ist ihm gleich Panikmache unterstellt worden. Sofort war das Thema vom Tisch.
Daher haben aus meiner Sicht die deutschen Medien eine große Mitschuld, auch weil sie, nicht nur hier, immer die Extreme ausreizen.
Vorsorge schafft Sicherheit und Selbstwirksamkeit. Dann sollte man sich nicht mit allen Informationen zumüllen, die derzeit über die unterschiedlichsten Kanäle verbreitet werden. Das heißt auch, bewusst den Medienkonsum einzuschränken, um wieder einen klareren Kopf zu bekommen. Also vorbereitet sein und andererseits sich nicht ständig nur mit diesem Thema beschäftigen.
Das heißt ein rationaler Umgang mit der Angst?
Angst ist grundsätzlich sehr schlecht, weil Angst lähmt. Aufrütteln ist wichtig, weil sonst keine Veränderung passiert. Es ist ein schmaler Grat und es hängt auch viel von der Art und Weise der Kommunikation ab. Das andere ist: Wir müssen einander helfen, weil niemand Millionen Menschen helfen kann, wenn nichts mehr funktioniert.
Wie kann man sich als Einzelner gut vorbereiten?
Das beginnt immer mit der Akzeptanz, dass so etwas überhaupt möglich ist. Dann sind Absprachen in der Familie wichtig: Wie kann die Familienzusammenführung funktionieren, wenn der öffentliche Verkehr nicht mehr funktioniert? Zwei Liter Wasser pro Person und Tag für mehrere Tage sind wichtig. Medikamente, eine Erste-Hilfe-Ausrüstung und Lebensmittel, die länger haltbar sind, wie Nudeln, Reis, Konserven. Je nachdem, wie lange der Strom ausgefallen ist, kann ich dann auch relativ bald wieder kochen. Aber ich kann nichts einkaufen, weil das erst wieder anlaufen muss. Bargeld ist kein Fehler, damit ich nachher, bis die Zahlungssysteme wieder funktionieren, was zahlen kann. Dann kann man das noch mit Leuchtmitteln ergänzen. Am besten keine Kerzen. Die Brandgefahr ist besonders gefährlich, weil, wenn es einmal brennt, man keinen Notruf absetzen kann.

Wie schätzen Sie die wirtschaftlichen Folgen ein?
Katastrophal, weil hohe Schäden in der Produktion drohen. Es wird uns sehr lange beschäftigen. Aber das Erste, was sicherzustellen ist, ist die Überlebensfähigkeit der Menschen. Die wirtschaftlichen Schäden werden unterschiedlich sein. Totalschäden kann es in Glashütten oder der Stahl- und Aluminium-Industrie geben. Wo es um Flüssigkeiten geht, die Wärme verbrauchen. Auch in anderen Bereichen wie der Landwirtschaft oder in Molkereien kann es große Schäden geben. Viele Dienstleistungen werden dann wohl nicht schnell wieder benötigt werden, wenn man gerade andere und dringlichere Probleme hat.
Wie würde sich ein längerer Blackout auf die Gesellschaft auswirken?
Oft wird erwartet, dass es ziemlich schnell rund geht und Anarchie herrschen wird. Das wird durch Hollywoodfilme gespeist. Die Wissenschaft und die Erfahrungen aus anderen Regionen zeigen Gegenteiliges. Menschen helfen in Krisen zusammen. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Solange wir mit unserem Umfeld im Austausch bleiben und gemeinsam versuchen, die Probleme zu lösen, können wir Eskalationen hinausschieben. Irgendwann kommt immer der Kipppunkt. Wobei wir wissen: Einzelkämpfer sind die Ersten, die aussterben. Die Gruppe ist immer stärker. Zum anderen beeinflussen wir auch mit unserer negativen Erwartung gewisse Entwicklungen. Dazu gibt es einige Beispiele aus der Psychologie. Daher grundsätzlich von einem positiven Menschenbild ausgehen und trotzdem achtsam bleiben, um negative Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen und ihnen aus dem Weg zu gehen.