Der Kia e-Soul wirkt von außen unspektakulär. Unter der Haube versteckt sich ein zuverlässiges E-Auto mit vielen Assistenz- und Sicherheitssystemen. Reicht das, um ihn zu kaufen?
Da gleitet er dahin. Ruhig, übersichtlich, von Sensoren und Kameras überwacht. Wenn man im Kia e-Soul sitzt, der elektrischen Variante des koreanischen Kompaktautos, passiert erst einmal nichts Aufregendes. Weder röhrt der Motor noch sorgt ein futuristisches Cockpit für Aha-Momente. Adrenalin-Junkies finden das vielleicht langweilig, aber ich fühle mich in einem solchen „Vernunft-Auto“ auf Anhieb wohl.
Der e-Soul ist kein Porsche. Mit seiner plattgedrückten Schnauze, den markanten Bumerang-Rückleuchten und dem abgehackten Heck qualifiziert er sich höchstens für einen Designpreis als bester elektrischer Schuhkarton. (Der Vorgänger gewann 2009 tatsächlich den renommierten „Red Dot Award“.) Doch es gibt wichtigere Dinge bei einem Auto als optische Spielereien: Sparsamkeit, Sicherheit, Zuverlässigkeit.
Zuerst zur Sparsamkeit. Billig ist der e-Soul mit einem Grundpreis von 46.950 Euro jedenfalls nicht – aber welches Elektroauto ist das schon? Bestellen lässt sich aktuell nur die teure Ausstattungslinie mit dem großen Akku (64 kWh). Für Kunden ist das zunächst einmal ärgerlich, weil eine kleine Batterie auch einen geringeren Preis bedeuten würde. Immerhin: Zum Trost enthält das Serienpaket bereits zahlreiche Sicherheits- und Assistenzsysteme, die bei anderen Herstellern obendrauf kommen. Auch 17-Zoll-Leichtmetallfelgen, ein Head-up-Display und eine gemütliche Ambiente-Beleuchtung sind inbegriffen. Sparen kann man beim e-Soul vor allem langfristig. Das geht am besten, wenn man per Knopfdruck den sogenannten Öko-Modus aktiviert. Dann zieht der e-Soul nicht mehr mit voller Power durch – denn mal ehrlich: Wer braucht ein E-Auto, das in 7,9 Sekunden von null auf hundert km/h kommt? Der e-Soul könnte es, frisst dann aber unverhältnismäßig viel Strom.
Öko-Modus bringt mehr Reichweite
Also der Öko-Modus! Hier fährt er auf der Autobahn immer noch passabel; Lkw lassen sich problemlos überholen. Es gibt sogar eine noch sparsamere Stufe, Eco+. Dann allerdings schaltet die Klimaautomatik ab und die Insassen müssten die Kabine mit ihrem Schweiß kühlen. Nun ja, Sparsamkeit kennt Grenzen.
Der Hersteller gibt die Akku-Reichweite mit 452 Kilometern an, was bei moderatem Fahrstil in greifbare Nähe rückt. Wer ausschließlich langsamer fährt, also in der Stadt, kommt sogar deutlich weiter. Bei unserer Testfahrt von Bonn nach München pendelt sich der Verbrauch bei etwa 17 Kilowattstunden ein. Auf der 550 Kilometer langen Strecke ist folglich ein Ladestopp nötig. Vorbildlich: Der Stromanschluss befindet sich vorne, wodurch sich die meisten Ladestationen gut ansteuern lassen.
Doch so sparsam der elektrische Schuhkarton auch fährt, so gemütlich lässt er es beim Stromtanken angehen. Von zehn auf 80 Prozent dauert es eine Dreiviertelstunde, wohlgemerkt: bei frühlingshaften Temperaturen. Bei Frost im Winter dürfte es noch länger dauern, wenngleich der e-Soul mit einer Batterieheizung ausgestattet ist. Solche Zeiten bedeuten keinen Weltuntergang – Stichwort „Vernunftauto“ –, aber auf der Höhe der Zeit ist man damit nicht mehr. Die meisten E-Autos, die heute auf den Markt kommen, schaffen es schneller – übrigens auch bei Kia. Mit dem EV6 hat der Hersteller einen Turbo-Lader im Angebot, der nur 20 Minuten braucht, aber auch (noch) mehr kostet.
Was dem e-Soul an Schnelligkeit fehlt, gleicht er mit serienmäßigen Extras wieder aus. Ein Toter-Winkel-Assistent ist automatisch an Bord, ebenso ein Notbrems- und Spurhalte-Assistent sowie ein Müdigkeitswarner. Ebenfalls nützlich: der sogenannte Querverkehrswarner, der beim Ausparken zum Einsatz kommt. Setzt der e-Soul zurück, während ein anderes Auto, Fahrrad oder eine Person den Weg kreuzt, reagiert er mit einem lauten Warngeräusch. Fährt man dennoch weiter, tritt das Auto selbstständig auf die Bremse, wie ich auf einem Parkplatz feststelle. Gut gemacht, e-Soul!
Leider reagieren nicht alle Assistenten so bravourös wie der Querverkehrswarner. Vor allem die Verkehrszeichen-Erkennung liegt öfters daneben. Dieses an sich nützliche Feature blendet im Tacho das aktuelle Tempolimit ein – oder das, was es dafür hält. Denn sowohl in der Stadt als auch auf der Autobahn stimmen die Angaben regelmäßig nicht. Schlimmer noch: Sobald man das vermeintliche Limit überschreitet, fängt der e-Soul an zu piepsen. Das nervt.
Sprachsteuerung funktioniert gut
Ansonsten lässt sich das Auto sehr intuitiv bedienen. Anders als etwa bei VW oder Tesla gibt es für die wichtigsten Funktionen echte Knöpfe, während sich die „Gänge“ mit einem Drehrad einlegen lassen. Hinterm Lenkrad sitzen zwei Schaltwippen, über die die sogenannte Rekuperation gesteuert wird. Hierbei legt man fest, wie viel Energie der e-Soul beim Bergabfahren zurückgewinnt. Mit ein wenig Übung kann man damit auch bremsen: Sobald sich der Fuß vom Strompedal löst, rekuperiert der e-Soul und verringert dadurch die Geschwindigkeit.
In der Mitte befindet sich ein 10,25 Zoll großer Touchscreen, der das – ebenfalls serienmäßige – Navi samt Batteriefüllung anzeigt. Auch hier arbeitet der Kia zuverlässig mit aktuellem Kartenmaterial und Live-Staumeldungen. Die Ladestationen, die in der Nähe angezeigt werden, existieren auch tatsächlich, zumindest bei unseren Stichproben in Bonn, Nürnberg, München, Freiburg und Mainz.
Ein großes Manko, das sowohl Kia als auch den Schwesterkonzern Hyundai betrifft, schlägt aber auch hier zu: Das Navi kann keine automatischen Ladestopps planen. Liegt das Ziel außerhalb der Akku-Reichweite, erscheint eine Warnung. Wo man unterwegs aber am besten anhalten und laden soll, verrät das Navi nicht.
Einen solchen Service sollte ein E-Auto im Jahr 2023 wirklich bieten. Dass viele andere Hersteller es auch nicht können, macht die Sache nicht besser.
Kaum Platz im Kofferraum
Der Komfort im Innenraum bewegt sich im Mittelfeld. Die Sprachsteuerung funktioniert super. Navi bedienen, Personen anrufen, Wetter abfragen – alles kein Problem. Die Sitze sind okay, wenn auch keine Bequemlichkeitsmeister. Rund um die Türgriffe befinden sich ein paar pfeilartige Design-Elemente. Ansonsten viel Kunststoff und mehrere Lautsprecher der Marke Harman/Kardon, die erstaunlich blechern klingen.
Eine Besonderheit bietet der Tacho: Sowohl die aktuelle Geschwindigkeit als auch die Akku-Reichweite werden in gleich großen Ziffern angezeigt. Gerade dann, wenn beide Werte nah beieinander liegen, ist nicht sofort klar, um welchen Wert es sich gerade handelt.
Der Kofferraum? Na ja. Während die Vorder- und Hintersitze genug Platz für Familien bieten, wird’s für die Fracht eng. Ein Rollkoffer, eine Reise- und eine Laptoptasche bringen das Gepäckabteil an seine Grenzen. Mit umgeklappten Sitzen lässt sich noch etwas mehr Platz gewinnen, einen zusätzlichen Stauraum unter der Motorhaube („Frunk“) gibt es jedoch nicht. Für 700 Euro extra montiert Kia eine Anhängerkupplung ans Heck. Leider lassen sich damit allenfalls Fahrräder transportieren, weil eine Anhängelast beim e-Soul nicht freigegeben ist. Seltsam, denn andere Kia-Modelle, zum Beispiel der Niro-EV, bieten diese Möglichkeit.
Unser 14-tägiger Test endet so, wie er anfing: unspektakulär. Der e-Soul leistet sich keine Aussetzer, zeigt zuverlässig die Reichweite an, lädt problemlos und bietet ein angenehm ruhiges Fahrerlebnis. Reicht das, um fast 50.000 Euro auszugeben? Für Pragmatiker mit gut gefülltem Konto vermutlich schon. Doch die Konkurrenz schläft nicht. Vergleicht man die Ausstattungslinien anderer Hersteller, liegt etwa der VW ID.3 Pro S auf einem ähnlichen Preisniveau. Er lädt allerdings schneller und kann zudem auch Ladestopps berechnen. Auch der Renault Megane E-Tech spielt in dieser Liga.