Im aktuellen Klimaschutzprogramm 2030 wird die Nutzung der Windkraft durch Flächenbeschneidungen weiter eingeschränkt. Dadurch gerät die Energiewende erheblich in Gefahr.
Es ist noch gar nicht so lange her, da galt die Windkraft hierzulande als das eigentliche Zugpferd der Energiewende. Doch ausgerechnet im Jahr 2019, in dem der Klimaschutz weltweit wie noch nie zuvor in der Geschichte in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses katapultiert worden ist, geht der hiesigen Onshore-Windenergie, sprich den an Land errichteten Anlagen, die Puste aus. Während die Windkraft-Branche global derzeit geradezu boomt, vor allem in Asien und Südamerika, „gilt sie hierzulande als so gut wie tot", wie es die „FAZ" jüngst auf den Punkt gebracht hatte. War Deutschland in Sachen Windenergie früher global führend, so erreicht es heute nur mehr mickrige 2,5 Prozent des entsprechenden Weltmarktvolumens.
Allerdings muss dem „Handelsblatt" widersprochen werden, das der im Wesentlichen nur mehr aus sieben Unternehmen bestehenden heimischen Windenergie-Branche (Marktführer ist Enercon) selbst in Europa die Spitzenposition entzogen hatte. Zumindest noch 2018 lagen die Leistungen der deutschen Onshore-Windenergieanlagen im europäischen Vergleich weit vor denjenigen Spaniens, Frankreichs oder Großbritanniens. Auch konnte die Windenergie im ersten Halbjahr 2019 hierzulande sogar laut neuesten Daten des Fraunhofer Instituts die Braunkohle im Strommix-Ranking hinter sich auf den zweiten Platz verweisen und war damit zugleich die wichtigste erneuerbare Stromquelle.
Aus all dem könnte der vorschnelle Schluss gezogen werden, dass es um die hiesige Windenergie ja gar nicht so schlecht stehen kann. Und doch steckt die Branche in der schwersten Krise ihrer Geschichte. Denn 2019 ist der Ausbau der Windenergie quasi zum Erliegen gekommen. Wodurch das ambitionierte Ziel der Bundesregierung, bis 2030 stolze 65 Prozent des deutschen Stromverbrauchs aus erneuerbarer Energie decken zu wollen (derzeit liegt der Wert ungefähr bei 44 Prozent), infrage gestellt wird. Der Stellenabbau in der Windkraftbranche, in der schon Zehntausende ihren Job verloren haben, wird wohl auch künftig weiter voranschreiten.
Im ersten Halbjahr 2019 wurde gerade mal ein Leistungszuwachs von 287 Megawatt dank lediglich 86 neuen Anlagen erreicht. Das bedeutete im Vergleich zum schon schwachen Vorjahreszeitraum einen Rückgang von 82 Prozent. Der Zuwachs reduzierte sich tatsächlich sogar auf nur noch 231 Megawatt, wenn die Leistung der 35 im gleichen Zeitraum stillgelegten Anlagen abgezogen wurde. Laut dem Bundesverband Windenergie (BWE) ist dies der schlechteste Wert seit Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2000. Laut dem BWE müssten jedoch zur Einhaltung des Klimaziels 2030 jährlich 65 Prozent neue Windräder mit einer Kapazität von rund 4.700 Megawatt gebaut werden. Wie es in den Jahren zwischen 2014 und 2017 mit einem Zuwachs von 4.600 Megawatt die Regel war. Zwar geht der BWE davon aus, dass bis Ende 2019 noch weitere neue Anlagen ihren Betrieb aufnehmen werden, doch schätzt er den Gesamtzuwachs für das Jahr 2019 auf maximal 1.500 Megawatt. Das dürfte viel zu wenig sein, um den Ausfall des Atomstroms (ab 2022) und der Kohleenergie (Ausstieg bis 2038) ausgleichen zu können.
Akzeptanz der Windenergie so hoch wie nie zuvor
Vor diesem Hintergrund kommen die in den Eckpunkten für das Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung enthaltenen Bestimmungen bezüglich „Ausbau des Anteils der Erneuerbaren Energien auf 65 Prozent" vom September einem Todesstoß für die Windenergie gleich. Denn mit der neuen Mindestabstandsregelung von 1.000 Metern, die jede künftige Neuanlage zur nächstgelegenen Wohnsiedlung einhalten sollte, wurde die potenzielle Fläche für Onshore-Windenergie nahezu halbiert. Das war dem verantwortlichen Bundeswirtschaftsministerium und seinem Chef Peter Altmaier durchaus bewusst, weil man eigens eine diesbezügliche, vom Fraunhofer Institut gemeinsam mit dem Energieberater Navigant erstellte Studie in Auftrag gegeben hatte. Laut der Studie würde die 1.000-Meter-Regelung zu einer Minderung der nutzbaren Fläche für Windenergieanlagen um 40 Prozent führen. Das Bundesumweltamt hatte zuvor schon die Folgen des 1.000-Meter-Mindestabstands auf 20 bis 50 Prozent taxiert. Für zusätzlichen Zündstoff sorgte eine von Altmaiers Ministerium formulierte Gesetzesvorgabe, wonach die Abstandsregelung nicht nur bei kleinsten Wohnsiedlungen, sondern sogar schon bei fünf Häusern angewendet werden sollte. Dass im Klimaschutzprogramm wie im Gesetzentwurf eine Ausnahmeregelung enthalten ist, wonach jedes Bundesland und jede Kommune geringere Mindestabstände festlegen darf, konnte die Wogen der breiten öffentlichen Kritik an Altmaiers Konzept kaum glätten. Laut Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter werde damit „nahezu um jede Gießkanne eine Ein-Kilometer-Sperrzone für Windkraftanlagen" gezogen. Auch nicht die erklärte Absicht, die Ausbauziele für Windenergie auf hoher See zu erhöhen (in der Seesparte ist das deutsch-spanische Gespann Siemens/Gamesa mit großem Abstand Weltmarktführer). Zumal im November durchgesickert ist, dass Altmaier die Windparkbetreiber zu einem Obolus zum stagnierenden und höchst umstrittenen Stromtrassen-Projekt der dem Bundeswirtschaftsministerium unterstehenden Bundesnetzagentur verpflichten möchte. „Der Netzausbauzuschuss ist der nächste Nagel im Sarg der Windenergie", sagte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ingrid Nestle.
Altmaier manövriert sich in Sachen Klimapolitik immer mehr in die Rolle des Buhmanns. Die „Zeit" hat ihn jüngst sogar schon zum „Verzögerer der Energiewende" deklariert und in einem weiteren Beitrag auf seine schon früheren unrühmlichen Aktivitäten betreffs der Solarenergie verwiesen. Damals habe der Umweltminister eine florierende Branche durch Deckelung des Ausbaus und der Einführung einer Ökostrom-Preisbremse in Mitleidenschaft gezogen. Heute sieht sich Altmaier als Bundeswirtschaftsminister angeblich in der Pflicht, die Bedenken oder gar die strikte Ablehnung der Windkraftanlagen durch viele Bundesbürger in seine Entscheidung mit einfließen zu lassen. Außerdem forderte das Bundeswirtschaftsministerium das SPD-geführte Umweltministerium dringend dazu auf, auf Natur- und Artenschutz basierende Hindernisse oder Blockaden für Windkraftanlagen schnellstmöglich aus der Welt zu schaffen.
Die neue Flächenbeschränkung ist allerdings nur ein weiteres störendes Glied in der Ausbau-Kette von Windenergieanlagen. Denn bislang schon sorgen langwierige Genehmigungsverfahren und Klagen von Natur- und Umweltschützern, der Deutschen Flugversicherung oder auch der Bundeswehr für einen großen Investitionsstau oder gar für einen Baustopp. Die höchste Klagequote gibt es für Projekte in Bayern und Hessen, wo jeweils mindestens 40 Prozent der genehmigten Anlagen vor Baubeginn vor Gericht landen. Bundesweit werden derzeit mehr als 300 Windkraftanlagen beklagt. Aktuell sind rund 1.000 Bürgerinitiativen gegen neue Windkraftanlagen im Einsatz. Die Genehmigungsverfahren haben sich von einem auf fast drei Jahre verlängert.
Dabei ist die Akzeptanz der Windenergie in Deutschland so hoch wie nie zuvor, wie aus einer im September vom Meinungsforschungsinstitut Forsa durchgeführten repräsentativen Umfrage abgeleitet werden kann. Demnach erachteten 82 Prozent der 1.013 Befragten die Nutzung und den Ausbau der Windenergie als wichtig oder sehr wichtig. Selbst im eigenen Wohnungsumfeld wollten 78 Prozent der Befragten die Errichtung von neuen Windanlagen mittragen.
72 Prozent der Befragten sprachen sich ausdrücklich dafür aus, dass Bund, Länder und Gemeinden ausreichend große Flächen für Windenergie zur Verfügung stellen sollten. Kompromisse scheinen in Sachen Windenergie also durchaus möglich zu sein, zumal wenn der Vorschlag, Kommunen und Leidtragende vor Ort besser wie bisher zu entschädigen, aufgegriffen werden sollte. Preislich konkurrenzfähig ist Windstrom ohnehin längst geworden. Und wenn möglichst schnell die letzten Atom- und Kohlekraftwerke ausgeschaltet würden, dann könnten Windkrafträder vor allem im Norden auch sämtlichen Strom bei steifer Brise in die Netze einspeisen, statt auf Kosten der Steuerzahler Ausgleichszahlungen dafür zu erhalten, dass sie wegen dann drohender Überlastung der Netze durch die klassischen Energiequellen zum Nichtstun gezwungen werden.