In unsicheren und bedrohlichen Zeiten brauchen Menschen Orientierung. Der vielstimmige Chor von Experten und Politikern schafft eher Unsicherheit und Unmut. Das muss nicht sein, erklärt der Kommunikationswissenschaftler Marcus Maurer. Die Hürden der Praxis kennt Saar-Regierungssprecher Julian Lange.
Steigende Gaspreise, atomare Drohungen und wieder mal Corona: An Krisen mangelt es derzeit wahrlich nicht. Im Alltag türmen sich Fragen über Fragen: Kann ich meine Gasrechnung noch bezahlen? Sollte man beim Einkaufen wieder eine Maske anziehen? Und wann ist eigentlich der perfekte Zeitpunkt, um Massen an Toilettenpapier zu horten? Über achtzig Prozent der Deutschen sind beunruhigt von der aktuellen Lage, zeigt der ARD-Deutschlandtrend. In einer so unsicheren Zeit ist es besonders schwierig, als Regierung über Krisen zu sprechen, ohne dabei gleich Panik auszulösen. Dabei kommt es auf die richtige Kommunikation an. Denn auch die durchdachteste Maßnahme wird wohl wenig Sicherheit bringen, wenn man sie nicht richtig verkauft.
Um der Frage nach guter Krisenkommunikation in Theorie und Praxis auf den Grund zu gehen, haben Prof. Dr. Marcus Maurer von der Johannes-Guttenberg-Universität Mainz und der saarländische Regierungssprecher Julian Lange einen Einblick in das Thema gegeben. Maurer ist seit 2014 Professor für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Politische Kommunikation und kann dementsprechend die nötigen theoretischen Grundlagen erklären. Lange dagegen kennt sich durch seine jahrelange Erfahrung als Ministeriums- und aktuell Regierungssprecher bestens in Fragen der Umsetzung aus.
Wenn die Regierung in Krisenzeiten kommuniziert, sind zwei Punkte zentral – da sind sich beide einig: erstens bestehende Ängste nicht verstärken und zweitens als Regierung nach außen einstimmig auftreten.
„Es gibt so die Idee bei manchen Kommunikatoren in Krisen, dass Menschen am ehesten in ihrem Sinne handeln, wenn sie Angst vor einem Problem haben", so Maurer. Genau das Gegenteil sei aber der Fall: Geraten die Bürger in Panik, besteht ein viel höheres Risiko, sich aussichtslos zu fühlen und zu resignieren. Ein gutes Beispiel dafür, wie wenig Angst in Krisen weiterhilft, sind wohl die Hamsterkäufe zu Beginn der Pandemie. Damals wurden Engpässe erst durch die übermäßige Nachfrage von Dingen wie etwa Toilettenpapier ausgelöst. Ein Problem sieht der Professor vor allem darin, „dass zu viele in der Politik versuchen, Aufmerksamkeit für sich zu schaffen, indem Sie irgendwelche steilen Thesen vortragen". Weil bedrohliche Nachrichten von Natur aus mehr Beachtung finden, funktioniert diese Strategie zwar, in der Krisenbewältigung hilfreich ist sie aber nicht. Statt auf Angst als Motivator zu setzen, schlägt Maurer vor, den Bürgern „einfach zu erklären, dass es zur Lösung des Problems wichtig ist, dass sie irgendetwas tun". In der aktuellen Krise würde es also wohl kaum ausreichen, die Bevölkerung zu kürzerem Duschen aufzufordern, wenn nicht erklärt und verstanden wird, warum genau das nötig ist. Insgesamt betont Maurer, es sei nicht Aufgabe der Regierung, die Bevölkerung zu beruhigen. Stattdessen solle sie eher durch die sachliche Einordnung von Problemen und das Aufzeigen von Lösungen Ängste nicht verschärfen.
Einstimmig, sachlich, lösungsorientiert
Auch Lange sagt, man müsse sich „frei von der Illusion machen, dass man jede Sorge in dieser krisenhaften und in Europa auch einer Kriegssituation tatsächlich wird nehmen können". Um die Ängste trotzdem nicht weiter zu befeuern, versuche die Landesregierung in Krisenzeiten überlegt und behutsam zu kommunizieren – etwas, das gerade zu Beginn der Corona-Pandemie häufig fehlgeschlagen ist. Praktisch sehen ließ sich die von Lange beschriebene Art der Krisenkommunikation in der Pressekonferenz von Landesgesundheitsminister Jung zur aktuellen Corona-Lage am 12. Oktober. Der Minister appellierte vor allem an die Vorsicht der Bevölkerung. Einige Experten aus der Wissenschaft haben die Situation gemeinsam mit Jung verständlich erklärt und auf das Wesentliche heruntergebrochen. So sollte nachvollziehbar gemacht werden, warum es wichtig ist, erneut Kontakte einzuschränken. Mehrfach wurde wiederholt, dass genügend Zeit bleibe, stärker einzugreifen, falls es erforderlich wird. Die Lage wurde also verständlich geschildert und eingeordnet, um den Appell nachvollziehbar zu machen, und es wurden Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt – erster Teil der Mission erfüllt.
Beim Thema „einstimmige Regierungskommunikation" dürfte sicherlich jedem mindestens eine Debatte einfallen, in der dies im Bund in letzter Zeit nicht wirklich funktioniert hat. Sei es die zurückgenommene Gasumlage oder das Dilemma des Atomausstiegs, ein besonders einiges Bild lässt sich kaum erkennen. Dabei wäre genau das in einer Krise wichtig, betont Maurer. Andere Meinungen sind zwar auch in einer solchen Zeit notwendig, aber das sei eher Aufgabe der Opposition und der Medien. Die Regierung dagegen sollte die Lage nicht durch ein uneiniges Auftreten verschlimmern. Bei Koalitionen sieht er hier eine besondere Herausforderung, weil diese die Interessen mehrerer Parteien unter einen Hut bringen müssen: „Das ist gar nicht einfach, das ist das Allerschwierigste." Je mehr Parteien dabei beteiligt sind, desto schwieriger. Im Bund dürfte sich das nach dem schlechten Wahlergebnis der FDP in Niedersachsen in nächster Zeit nur noch weiter verschärfen.
Auch auf Landesebene empfindet Julian Lange eine einstimmige Regierungskommunikation als „wahnsinnig wichtig", besonders in einer „Lage, in der die Menschen teils existenzielle Sorgen haben". In der Praxis heiße das natürlich nicht, dass die Regierung intern nicht über Themen diskutiert. Diese Debatten sollten nur nicht nach außen getragen werden. Auch dieser Grundsatz wurde in unserem Praxisbeispiel, der Pressekonferenz des saarländischen Gesundheitsministers, gut umgesetzt. Man präsentierte sich nicht nur als Regierung einheitlich, sondern auch mit den Vertretern aus Wissenschaft und Krankenhäusern im Einklang. Kurzum zeigt sich hier ein praktisches Paradebeispiel der theoretischen Ansprüche an gute Krisenkommunikation.
Natürlich ist das Corona-Beispiel nicht eins zu eins auf die Energiekrise anwendbar. Im Gegensatz zur Pandemie kommt es hier nicht darauf an, eigenes Handeln der Landesregierung zu erklären. Stattdessen geht es darum, noch stärker auf Informationsangebote hinzuweisen und eine Situation zu vermitteln, auf die die Landesregierung selbst wenig direkten Einfluss hat. Dennoch kann Julian Lange einige Lehren aus der Pandemie ziehen: Erstens sollte man als Regierung kommunikativ „eine lange Linie zeichnen", sprich nicht übereilt herangehen. „Das hätte, muss man, glaube ich, rückblickend kritisch sagen (betrifft gar nicht nur die saarländische Landesregierung), bei Corona schon gelegentlich geholfen, wenn es nicht das ständige Hin und Her gewesen wäre, was dann eben auch zu Verwirrung führte", so Lange. Zweitens ist es wichtig, ehrlich mit den Bürgern in Kontakt zu kommen, auch wenn vielleicht nicht all ihre Hoffnungen erfüllt werden können.
Zum Schluss bleibt allerdings die Frage, wie die Bürger die Botschaften annehmen. Auch wenn eine Corona-Pressekonferenz theoretisch alle Anforderungen an gute Krisenkommunikation erfüllt, heißt das nicht, dass die Bevölkerung den Appell tatsächlich beherzigt. Da spielen sicher noch viele weitere Einflüsse mit hinein. Allen vorweg, wie groß das Vertrauen in eine Regierung nach langen Krisenzeiten noch sein kann. Es ist also nicht damit getan, dass die Regierung die richtigen Signale sendet. Ebenso ist, wie diese von den Bürgern aufgenommen werden. Aber das ist noch mal eine ganz andere Frage.