Die Journalistin, Autorin und Moderatorin Jenni Zylka ist neue Sektionsleiterin der Perspektive Deutsches Kino – und keine Unbekannte für Berlinale-Fans. Sie moderiert seit 1999 Pressekonferenzen und Filmgespräche während des Festivals. Zudem wählt sie seit Jahren die Filme in der Sektion Panorama mit aus.
Frau Zylka, sie sagten einmal, „Filme zu schauen, darüber nachdenken und sprechen zu können, mich faszinieren und berühren zu lassen – für mich gibt es kaum etwas Schöneres.“ Was gab den Ausschlag, die Sektionsleitung zu übernehmen?
Als die ehemalige Sektionsleiterin ging, dachte ich darüber nach, ob eine kleine Veränderung meines Berufsumfelds vielleicht noch mal interessant sein könnte … Ich bin seit über 25 Jahren selbstständig, sehr gern und leidenschaftlich, aber man lernt ja nie aus! Jetzt kann ich auch Bürosachen wie Outlook-Kalender, Fahrstuhl-Pitches, Team-Management und das Kennzeichnen von Joghurtbechern im Gemeinschaftskühlschrank.
Das Programm der Sektion steht fest, es werden zehn Spiel- und Dokumentarfilme gezeigt. Wie viele Einsendungen gab es?
Rund 200. Bei uns dürfen ja nur Abschluss- beziehungsweise Erstlingsfilme, höchstens der zweite Film, laufen – so viele sind das nicht. Von den Filmhochschulen kamen ungefähr 40, der Rest von Produktionsfirmen. Das ist also überschaubar – für das Panorama habe ich meist um die 800 Filme im Jahr geguckt.
Von den zehn Beiträgen sind sechs von Frauen. Spiegelte sich das auch in den Einsendungen wider?
Ja, ich könnte eine Quote ohne Not erfüllen. Tatsächlich spiegelt sich das ja auch in den Filmhochschulen wider. Die Studierenden sind zu etwa 50 Prozent weiblich, erst danach, im Alltag als Regisseurin, greifen die tief sitzenden, strukturellen Ungerechtigkeiten unserer – zum Teil – noch immer misogynen Gesellschaft.
Wer sucht die Filme mit aus und wie wird schließlich ein Konsens gefunden?
Ich habe mich entschlossen, für mein erstes Programm die gesamte Vorauswahl selbst zu machen, also alles selbst zu gucken, was reinkommt. Ich wollte mir einen Überblick verschaffen über die deutsche Nachwuchsfilmlandschaft. Danach habe ich einem Gremium von drei Leuten die engere Filmauswahl zum Sichten gegeben und darüber mit ihnen und meinem Team gesprochen. Außerdem beraten wir auch immer sektionsübergreifend – es schauen also immer eine Menge Leute auf einen Film!
Welche Kriterien sollte ein Film erfüllen, der ins Programm kommt?
Das kann man nicht pauschal sagen. Kulturevaluation hat ja keine festen Kriterien, es ist wie bei jedem anderen auch, der oder die einen Film guckt: Man verliebt sich in etwas im Film, das kann ein Charakter sein, das Thema, die Kamera, die Musik … irgendetwas muss einen bezaubern, faszinieren, überzeugen, berühren. Wenn mir das passiert, analysiere ich, woran das liegt, und ob das plausibel ist. Relevanz – leider auch ein etwas vages Wort – Relevanz ist ebenfalls ausschlaggebend. Das Tolle ist ja, dass wir diesen Nachwuchsfilmen hier die Chance geben können, auf einem A-Festival vor einem internationalen Publikum zu laufen. Natürlich müssen die Filme quasi eine universale Botschaft haben. Und das haben unsere Filme alle.
Mit dabei sind Filme mit hochaktuellen Themen wie Klimawandel oder Frauenrechte. War das mit ein Grund für die Auswahl?
Natürlich, da haben wir das mit der Relevanz. Allerdings muss ein Film gleichermaßen als Film überzeugen – das Thema allein reicht nicht. Ein Werk wie mein Eröffnungsfilm „Sieben Winter in Teheran“ zum Beispiel erzählt eine extreme, dringliche und unfassbare Geschichte – eine junge Frau im Iran wird nach sieben Jahren im Gefängnis gehängt, weil sie sich weigert, einen Vergewaltigungsvorwurf fallen zu lassen. Die Familie des Mannes, der sie vergewaltigen wollte, und den sie in Notwehr erstach, ruft das Prinzip der „Blutrache“ auf – darum wird sie mit dem Tode bestraft. Sie wählt quasi die Wahrheit und den Tod vor dem Leben. Dazu ist der Film formal sehr sehr angemessen, zurückhaltend und reduziert – es geht nur um die Protagonistin. Das hat mich ebenso auf formaler wie auf inhaltlicher Ebene beeindruckt.
Darf man als Auswählende auch einen „Lieblingsfilm“ haben?
Es ist tatsächlich schwierig … Ich habe mich, wie gesagt, in alle Filme verknallt, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Das ist so wie bei Kindern: Die liebt man ja auch alle gleich.
Die Berlinale ist ein Publikumsfestival und bringt Filmschaffende mit Zuschauenden zusammen. Gibt es zu allen zehn Filmen im Anschluss ein Publikumsgespräch?
Klar, sogar mehrere, auch bei den Wiederholungen, das ist ja das Besondere bei dem Festival. Neben der tollen Auswahl hat man nicht nur die Möglichkeit, wirklich ungewöhnliche Filme zu schauen, sondern man kann auch die Macherinnen und Macher kennenlernen. Ich mache diese Filmgespräche oder Q&As schon sehr lange und lerne immer sehr viel dabei.
In der neuen Reihe „Perspektive Match“ kommen diejenigen zu Wort, die man nicht sieht, aber für einen Film unverzichtbar sind, wie Drehbuchautoren, Kostüm- und Maskenbildner, Toningenieure, Komponisten …
Genau, das war die Idee: Film ist kollektive Kunst, 13 kreative Gewerke tun sich zusammen und vereinen ihre Kunst unter dem Dach der Geschichte. Das beeindruckt mich jedes Mal enorm. Anders als ein Autor, der quasi allein schreibt, arbeiten hier viele Kreative zusammen. Um das sichtbar, bewusst zu machen, bringen wir vier Nachwuchstalente aus verschiedenen Gewerken mit „alten Hasen“ beziehungsweise Häsinnen zu einem Gespräch vor Publikum zusammen und zeigen dazu noch einen Film aus dem Œuvre des alten Hasen. Ich bin sicher, dass das ganz interessante und tolle Einblicke in die Filmbranche gibt.
Es werden auch zwei „Gastfilme“ gezeigt. Warum? Und warum gerade die beiden?
Das ist schon eine lange Tradition bei der Perspektive. „Kash Kash“ ist der Gewinner des deutschen Nachwuchsfestivals First Steps Award, dem wir die Möglichkeit geben, vor einem internationalen Publikum zu laufen. Der andere, „Jakob der Lügner“, ist die einzige Oscarnominierung eines DDR-Films, und kommt aus dem Defa-Fundus. Wir haben eine Zusammenarbeit mit der Defa und zeigen eine neu restaurierte Fassung.
Zum Schluss die Frage: Nach zwei Jahren „Berlinale light“ – worauf freuen Sie sich in diesem Jahr?
Neben den Filmen finde ich es super, dass die ganzen Gespräche wieder stattfinden, dass wir tatsächlich wieder richtigen Austausch mit dem Publikum und zwischen den Filmemachern und Filmemacherinnen haben und hoffe auf köstliche Sponsorengetränke.