Die Aufhebung geschlechtsbezogener Kleidung macht auch vor der traditionellen Männermode nicht halt. Deren Verwandlung verläuft so grundlegend, dass sich auch die Herren, endlich wieder neuen Trends folgend, aufhübschen können.
Die grundlegende Verwandlung der klassischen Herrenmode hat auch in Post-Covid-Zeiten unverändert weiter an Fahrt aufgenommen. Die Lust am Experimentieren hat sich in vielen Kollektionen des Sommers 2023 niedergeschlagen, wobei Designer die Menswear komplett neu zu definieren suchen. Schließlich haben Gender-Diskussionen und die zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz von Themen wie Fluidität und Queerness dazu geführt, dass die traditionelle Geschlechtertrennung in der Fashion-Welt zunehmend durch einen spielerisch-fließenden Übergang ersetzt wird. Das hatte ganz offensichtliche Auswirkungen auf den Laufstegen gezeigt, wo nicht-binäre oder transsexuelle Models ganz selbstverständlich die Männerklamotten an der Seite von Cis-Herren oder Cis-Damen präsentiert hatten. Einige Labels wie Bottega Veneta oder Bally sind sogar dazu übergegangen, ihre Herrenmode gleichsam als Begleiter in einer gemeinsamen Show mit der Womenswear vorzustellen. Andere Marken wie die kometenhafte Aufsteiger-Brand Peter Do gehen sogar noch einen Schritt weiter Richtung fluider Looks und ergänzen diese nur noch durch ausgewählte Pieces für Mann und Frau.
Es ist auch zu beobachten, dass feminine Elemente immer häufiger bei Männerklamotten aufgegriffen werden. Aber diesen Sommer tauchen neben Crop-Tops, Perlen- oder Kettenschmuck, Plissee-Teilen, Pyjama-Dressing, knielangen Röcken, Seidentüchern, Umhängetaschen sowie Mesh- oder Häkel-Pieces auch wieder nicht ganz so ernst gemeinte maskuline Kleidungs-Archetypen wie Wildwest-Outfits, Hawaiihemden mit grellen Prints, Cargohosen, Denim-All-over in Gestalt kanadischer Smokings oder Bomberjacken-Evergreens auf. Und auch dem Herrenanzug haben die Designer wieder ihre besondere Aufmerksamkeit geschenkt, allerdings in einer lässigeren, farbenfrohen und teils mit verrückten Mustern aufwartenden Umsetzung. Zudem gab es auf den Catwalks reichlich nackte Männerhaut zu bestaunen, nicht nur dank Mini-Shorts, sondern auch wegen des völligen Verzichts auf Hemden oder T-Shirts unter Blazern oder Jacken oder dem Einsatz von Westen als einzigem Oberteil auf dem blanken Körper. Die wichtigsten Menswear-Trends des Sommer 2023:
Crop-Tops, Perlen- und Kettenschmuck
Cargo-Shorts: Lange als schlimmer Mode-Fauxpas verschrien, haben sich die kurzen Hosen mit den geräumigen Taschen diese Saison wieder laut zurückgemeldet. Am besten mit einem schicken Hemd und Sneakers kombinieren, damit das Outfit nicht zu uncool rüberkommt.
Mini-Shorts: Für Herren, die gern Bein zeigen, ist die Shorts-Kurzversion eine ideale Alternative bei hochsommerlichen Temperaturen. Ziemlich unkonventionell sind Exemplare mit Falten an der Vorderseite. Der trendige Renner sind allerdings Mini-Shorts aus Leder, idealerweise in der Farbe Schwarz. Besonders Prada hat sich für dieses Kleidungsstück aus Leder in der Kollektion stark gemacht. Bei Walter Van Beirendonck werden sie von breiten Streifen gesäumt.
Jorts/Jeansshorts: Kurze Shorts aus Denim sind zurück, aber diesmal groß und vergleichsweise lang, fast ein wenig an den Dad-Style erinnernd. Überraschend, dass die Jorts sogar bei Luxus-Labels wie Givenchy oder Louis Vuitton im aktuellen Sortiment vertreten sind.
Schlaghosen: Mit der Berufsbekleidung der Zimmerleute haben die neuen Umsetzungen eigentlich nur noch den trichterförmigen Verlauf vom Knie abwärts gemein. Aktuelle Schlaghosen gibt es aus allen erdenklichen Materialien von Leder über Baumwolle bis Leinen.
Wide-Legs-Jeans: Noch ein nostalgisches Hosen-Revival, wobei das lässig weit geschnittene Denim-Teil bequemen Tragekomfort garantiert und sich eigentlich mit allem kombinieren lässt. Baggy geschnittene Jeans sind spätestens seit Justin Bieber wieder megaangesagt und finden sich in Kollektionen von Louis Vuitton bis hin zu JW Anderson. Wer den weiten Schnitt lieber an Hosen aus einem anderen Material schätzt, wird überhaupt keine Mühe haben, Flowing Trousers mit ihrer entspannten Passform in Hülle und Fülle sowie allen nur erdenklichen Farben zu finden.
Krawatten und Seidentücher: Schnürhals-Muffel können diesen Sommer zu exquisiten Seidenschals greifen, die locker in einem Knoten zusammengebunden werden und deren Enden lässig über T-Shirts oder Hemden gen Körpermitte fließen können. Auch für Krawatten-Fans gibt es diese Saison wieder ein kaum überschaubares Angebot, von Kenzo über Prada bis zu Celine oder Dries Van Noten. Wobei Letzterer ein Revival der Pete-Doherty-Skinny-Krawatte eingeleitet hat. Den Vogel schoss aber MSGM mit Doppelkrawatten ab.
Crop-Tops: Bauchblitzer werden künftig nicht mehr den Damen vorbehalten sein. Allerdings muss man es nicht gleich übertreiben und sich für einen Mikro-Stofffetzen entscheiden, wie ihn Rick Owens neben einem Bikinioberteil für die männliche Brust auf dem Laufsteg präsentiert hatte. Zum Herantasten an diesen ungewohnten Oberteil-Look sind daher die Crop-Tops von Thom Browne, Moschino oder MSGM besser geeignet. Zum Einsteigen sind die gekürzten und durchsichtigen T-Shirts von Wooyoungmi ein Geheimtipp.
Oberteile aus Mesh oder Häkelstrick: Dezente Durchblicke auf die nackte Haut sind bei diesen Teilen natürlich erwünscht, zudem sind sie bei warmen Temperaturen luftig-tragefreundlich. Echte Mesh-Pieces haben beispielsweise Celine oder Amiri in ihren aktuellen Kollektionen, netty Knickers gibt es unter anderem von Lazoschmidl oder Lukhanyo Mdingi. Doch die schönsten Häkelteile in vornehmem Schwarz haben fraglos Louis Vuitton sowie Dolce & Gabbana präsentiert.
Gerippte Tanks: Was einst schon eher als Peinlichkeit angesehen wurde – die weiß-gerippten Tanks aus der Unterwäscheabteilung als T-Shirt-Ersatz zu tragen – wird diesen Sommer salonfähig.
Pyjama-Anzüge: Der Lingerie-Look der Damen hält nun auch Einzug in die Herrenmode. Wer also künftig im Schlafanzug spazieren gehen möchte, sollte sich eines der Teile aus luftig-dünnen Stoffen wie Popeline oder anderen seidigen Materialien von Labels wie Givenchy, Bianca Saunders oder Emporio Armani schnellstens zulegen.
Anzüge: Nachdem viele Männer vorübergehend ihren Zwei- oder Dreiteiler zugunsten von Jeans oder Trainingsanzügen in die hinterste Ecke ihres Kleiderschranks verbannt hatten, hat sich das klassische Garderoben-Essential diese Saison wieder ganz vehement auf den Laufstegen zurückgemeldet. Diesmal kommt der Anzug allerdings bei Louis Vuitton, Zegna, Dior Men oder Dries Van Noten betont lässig mit lockeren, teils übergroßen Schnitten aus leichten sommerlichen Materialien daher. Sowohl in monochromen Farben verfügbar als auch mit dekorativen Verzierungen versehen, zuweilen sogar im Destroyed-Look gehalten. Es gibt natürlich weiterhin körperbetont geschneiderte Pieces, beispielsweise von Prada oder Celine. In Sachen Nadelstreifenanzug haben sich die Designer und Designerinnen mit cremefarbenen Modellen etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Und der Clou des Ganzen: Hemd oder T-Shirt getrost in der Schublade lassen, die Jacke einfach auf blanker Haut tragen, wie es die Models von Versace, Moschino oder Ahluwalia auf dem Catwalk vorgemacht hatten.
Auf ins Fitnessstudio: Nach den fast zweijährigen Work-outs im häuslichen Umfeld haben Labels wie Marine Serre, Loewe oder Saul Nash wieder all die sportiven Klamotten im Programm, die man beim stylischen Besuch eines Fitnessstudios benötigen könnte. Wobei auch solo getragene Track Pants wie bei Ami oder Bluemarble ausreichen können.
Zerrissene Jeans in Distressed-Optik
Ärmellos: Westen sind das Key-Piece dieses Sommerlooks. Sie sollen nach den Vorstellungen vieler Designer als einziges Oberteil auf nackter Haut getragen werden. Die Arme bleiben ja ohnehin stoffbefreit und der Körper ist ganz notdürftig bedeckt. Wer also in die Fußstapfen des Wrestling-Königs Hulk Hogan treten möchte, hat dafür diese Saison reichlich Gelegenheit. Bei Brunello Cucinelli wurden die Westen zu Shorts getragen. Bei Etro gab es bestickte Westen zu eleganten Hosen, Kenzo hatte sich für superenge-körperbetonte Pullover-Westen entschieden, bei Dior waren die Teile sogar durchsichtig geschneidert.
Go Wild West: Eigentlich als Komplett-Look bisher nur etwas für die Karneval-Saison. Und dort auch meist von kleinen Jungs als Verkleidung favorisiert. Doch nun sollen sich auch gestandene Männer öffentlich als Epigonen von Buffalo Bill oder Billy the Kid bekennen dürfen. Nur der obligatorische Revolver muss außen vor bleiben. Aber ansonsten darf man in die Vollen gehen mit Wildlederhemden, Seiden-Westernhemden, Leder-Boho-Krawatten, Gürteln mit übergroßen Schnallen, Cowboystiefeln, Reiterchaps, Cowboyhüten, ärmellosen Jeansjacken und allen nur erdenklichen Pieces aus der Zeit des Wilden Westens. Wer sich Anregungen für stilsichere Kompositionen holen möchte, sollte sich am besten mal die Laufsteg-Looks von Thom Browne, Wales Bonner oder Dries Van Noten anschauen. Sofern das Outfit spielerisch und nicht zu ernst daherkommt, wird man damit durchaus punkten können.
Denim-News: Zerrissene Jeans in fadenscheiniger Distressed-Optik sind wieder en vogue, wobei das japanische Label Taakk den Vogel abgeschossen hat, weil es seine Hosen zusätzlich noch mit Stickereien aufgepeppt hat. Noch offensichtlicher ist die Wiederhinwendung zum Doppel-Denim, für die der kanadische Smoking bekanntermaßen das Paradebeispiel ist. Prada kombinierte Westernhemden mit Jeans, Givenchy ärmellose Westen mit zerrissenen Denim-Trousers, Casablanca ein Cowboyhemd mit Chaps.
Leder, Leder, Leder: Obwohl der vergangene Sommer die Temperaturen in Rekordhöhen getrieben hatte, lassen sich viele Designer auch für die kommende warme Jahreszeit nicht von ihrer Vorliebe für Lederklamotten abbringen. Bei Prada, Dries Van Noten oder Alyx schlug sich das in Biker-Looks mit entsprechenden Racing-Jacken, Handschuhen und protektiven Hosen nieder. Manche Labels setzten auf Lederblazer (Dunhill), Leder-Jumpsuits (Alexander McQueen), Lederbomberjacken (Louis Vuitton) oder XXL-Lederjacken (Fendi).
Kindliches: Erinnerungen an glückliche Kindheitstage haben manche Labels in entsprechenden Prints auf Hemden oder T-Shirts heraufbeschworen. Von Seepferdchen bei Hermès über Pilze bei Egonlab bis hin zu Kinderfigürlichem bei Martine Rose reichte dabei die Themen-Palette. JW Anderson schmückte seine Streifenshirts mit einem Print, der einen Jungen beim Reinbeißen in einen Apfel zeigt.
Frottee: Fraglos ein ungewöhnliches Material, das die Designer aber mal für flippige Hütchen, ein andermal wie bei Marine Serre für interessante Hemdhosen-Sets benutzt hatten.
Vielzahl von Kapuzenpullovern
V-Ausschnitt: Ziemlich unerwartet läuft der V-Ausschnitt diesen Sommer dem Rundhalsausschnitt häufig den Rang ab. Egal ob bei Pulloverwesten wie bei Kenzo, Argyle-Strickwaren wie bei Ami oder bei einfachen T-Shirts.
Sommer-Strickwaren: Auffällig ist die Vielzahl von Kapuzenpullovern mit Reißverschlüssen. Daneben gibt es natürlich auch leichte Pullis und Strickwesten.
Knielange Röcke: Sie erinnern schon ein wenig an Kilts, allerdings ohne das dabei übliche Plaidmuster. Bei Rick Owens gibt es sie sogar als Plissee-Variante. Aber auch Britanniens First Label Burberry macht bei diesem Trend mit.
Trenchcoat: Auch diesen Sommer geht an dieser Mantelvariante wieder kein Weg vorbei. Mal im klassischen Stil geschnitten, mal dekonstruiert gestaltet. Aber auf jeden Fall sind die Macs heute strapazierfähig, lang, einreihig und meist frei von Epauletten, die früher die Silhouette definiert hatten.
Umhängetaschen: Nicht sonderlich groß gestaltet, dafür aber funktional und in einer cremigen Trendfarbe durchaus als Eyecatcher geeignet.
Klobige Halsketten und zierliche Perlenketten: Chunky Halsketten, wie sie in der Womenswear zuletzt angesagt waren, sollen nun auch das Interesse der Herren finden. Bei einigen mag das gut aussehen. Für weniger muskulöse Männer haben die Designer vielmehr zierliche Perlenketten vorgesehen, die sich ideal als Ergänzung der traditionellen Lederarmbänder einsetzen lassen.
Skurrilste Pieces: Da wären beispielsweise Kenzos Elefantenrüssel-Krawatte, Egonlabs Ohrclip-Zigarettenhalter oder JW Andersons mit einem echten, mittig zerbrochenen Skateboard geschmückte Pullover zu nennen. Und auch die galaktischen Metallic-Stücke sollen hier noch erwähnt werden, bei Bianca Saunders beispielsweise gab es einen kastenförmigen Anzug in silberfarbenem Lamé samt passenden Schuhen. Nicht zu vergessen die Reminiszenzen an die Natur, was sich bei Loewe in Mänteln, aus denen Gras herauszuwachsen scheint, oder bei Diors von Gärten inspirierten Schmuckelementen auf diversen Klamotten niedergeschlagen hat.
Purple Rain: Lilatöne zählen zu den ungewöhnlichsten und auffallend häufig anzutreffenden Farbgebungen der Menswear-Sommersaison 2023. Wobei sich die Designer und Designerinnen wahlweise für Magenta, Flieder, Wacholder oder Mauve entschieden haben. Überhaupt ist das sogenannte Dopamin-Dressing mit fröhlichen Farben und Prints diesen Sommer in der Menswear besonders beliebt.
Angesagteste Prints: Bei den Prints lässt sich kein eindeutiger Sieger ausmachen. Von daher kann sich man je nach persönlichem Geschmack zwischen Streifen, Karos oder Blumen frei entscheiden. Auch Tie-Dye bleibt ein Evergreen. Wer sich traut, kann sich einen Anzug im All-over-Print mit Camouflage zulegen.