Monika Mann war die Tochter des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann. Die Autorin Kerstin Holzer berichtet in „Monascella“ über sie und ihr Leben auf Capri.
Frau Holzer, Sie konnten für die Entstehung des Buches aus bislang unveröffentlichten Briefen schöpfen. Was für Briefe waren das?
Das waren Briefe, die Monika Mann an ihren italienischen Lebensgefährten Antonio Spadaro geschrieben hat. Rund 80 Briefe und Postkarten liegen wie ein Schatz im Münchener Literaturarchiv Monacensia. Ich hatte die Genehmigung, erstmals ausführlich daraus zu zitieren. Diese Korrespondenz war besonders spannend, weil Monika Manns Ton darin ein ganz anderer ist als der, den wir aus den fahrigen, hastigen, manchmal hysterischen Briefen kennen, die sie an ihre Familienmitglieder geschrieben hat. In den Briefen an Antonio Spadaro schlägt sie einen ruhigen, aufrichtigen Ton an. Man merkt, dass sie mit diesem Lebensgefährten eine gemeinsame Sprache gefunden hat, und mit ihrer Familie eben nicht.
Monika Mann litt unter Lieblosigkeit, geradezu seelischer Grausamkeit durch die Mutter. Lässt sich fassen, weshalb Monika von der eigenen Familie zur Außenseiterin gestempelt wurde?
Das hatte mehrere Gründe. Sie galt schon als Kind als nicht so genial wie ihre älteren Geschwister Erika und Klaus, die sehr eloquent und temperamentvoll waren. Auch galt sie als nicht so niedlich wie die Kleinen, Elisabeth und Michael. Monika war – wie ihr Bruder Golo – in einer undankbaren Mittel-Rolle gefangen. Sie hat sich als junge Frau schwergetan, einen beruflichen Weg zu finden. Sie hat es mit dem Zeichnen probiert, mit der Musik – das hat alles nicht funktioniert. Bei der Recherche fiel mir vor allem auf, dass auch Monika Manns klassisch konnotierte Weiblichkeit in der Familie als Störfaktor galt. Sie war im Gegensatz zu ihren Schwestern nicht so androgyn, hat etwa viel Wert auf ihre langen Haare gelegt und war damit Zielscheibe von Spott, von der „Pudel-Moni“ war die Rede. Hinzu kam ihre große Emotionalität. Monika Mann hat sich das Recht herausgenommen, ihre Verletzlichkeit zu zeigen – das war in dieser Familie untypisch und sogar verpönt. Man hat nicht gewusst, wie man mit diesem Kind umgehen sollte.
Rechnet Monika Mann in ihrem Buch „Vergangenes und Gegenwärtiges“ mit ihrer Familie ab oder idealisiert sie?
Sie rechnet überhaupt nicht mit der Familie ab, im Gegenteil. Über die Spannungen mit ihrer Mutter Katia verliert sie kein Wort, darüber erzählt sie nichts. Sie ehrt ihre Mutter und deren Klugheit. Mutter Katia schützt den Arbeitsraum des Vaters und hält die Familie zusammen. In ihrem Erinnerungsband äußert sich Monika eher dankbar für ihre Kindheit in einem privilegierten Elternhaus. Aber in ihre Schilderungen des bewunderten Vaters mischt sich auch durchaus kritische Distanz.
Monika Mann lebte von einer Apanage, später vom väterlichen Erbe – nie vom Schreiben. „Vergangenes und Gegenwärtiges“ war 1956 ein Erfolg und ist als einzige ihrer Veröffentlichungen noch auf dem Markt. Betrachtete sie sich als Schriftstellerin?
Aber natürlich! Sie war auch stolz, dass ihr Lebensgefährte in Capri an ihrer Haustür das Schild „Monika Mann, Scrittrice“ angebracht hatte. Erst auf Capri fand sie ihre Stimme als Schriftstellerin. Sie schrieb dort ihre fünf Bücher und alle ihre Feuilletons.
Sie haben ein Buch über Elisabeth Mann Borgese geschrieben. Sie war die jüngere Schwester und das Lieblingskind der Eltern. In welcher Beziehung standen die Schwestern zueinander?
Sie hielten durchaus Kontakt. Aber Elisabeth, die ihrer Mutter am nächsten stand, hatte den gleichen kritischen Blick auf Monika, den Katia vorgegeben hat. Es war gewissermaßen eine Familiendoktrin, Monika als Sonderling und als schwierig zu betrachten. Das gilt für alle Geschwister, mit Ausnahme von Klaus.
Ihre Absicht war, der „wohl faszinierendsten deutschen Künstlerfamilie ein bisher unbekanntes Kapitel hinzuzufügen“. Welches unbekannte Kapitel konnten Sie der Familiengeschichte hinzufügen?
Meine Recherche hat mir gezeigt, dass es sich bei Monika Mann wohl um das am meisten unterschätzte Mitglied dieser Familie gehandelt hat. Als ich auf Capri vor ihrem Haus stand, habe ich mich gefragt: Wie kann eine Frau, die ihre schlimmste Lebenserfahrung mit dem Meer gemacht hat, sich ausgerechnet hier, unmittelbar an der Steilküste, für 30 Jahre niederlassen? Bei einem Schiffsunglück war ja ihr Mann vor ihren Augen ertrunken: Auf der Flucht 1940 von England nach Kanada war das Schiff bombardiert worden, Monika Mann hat 20 Stunden im Meer ausgeharrt. Mein Eindruck war, dass diese Frau über mehr Lebensmut, Resilienz und Stärke verfügte, als die Schilderungen vermuten ließen. Das hat mich interessiert, ich habe mich auf Spurensuche begeben und konnte mit Zeitzeugen und Familienmitgliedern sprechen – auch deren Erinnerungen werfen ein neues Licht auf Monika Mann.