Noch immer werden E-Autos aus China gern belächelt. Zu Unrecht, wie der MG4 zeigt. Trotz kleinerer Macken hat der Kompaktwagen das Zeug, den hiesigen Markt aufzumischen.
Da kann man noch so oft über Reichweite, Ladeleistung und Akku-Kapazität diskutieren: Auch bei einem Elektroauto entscheidet bei vielen immer noch der erste Eindruck. Und der ist beim MG4 ziemlich positiv. Das Auto wirkt sportlich, vorne mit schnittigen LED-Lichtern und markanten Lufteinlässen, hinten mit einem zweigeteilten Heckspoiler und einem extravaganten Leuchtband. Ein richtiger Hingucker!
Verwundern müsste das eigentlich nicht, denn MG („Morris Garages“) ist eine traditionelle britische Sportwagenmarke – zumindest war sie es mal. Nach der Pleite Anfang der 2000er-Jahre haben die Eigentümer gewechselt. Inzwischen gehört MG zur Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC), dem größten chinesischen Autohersteller, der sich wiederum in Staatsbesitz befindet. Die bisherigen E-Autos der Marke waren im Test durchaus solide, zum Beispiel der Kombi MG5 oder der SUV namens MG ZS EV. Nur: Vom Aussehen her rangieren sie in der Kategorie Langeweile. Jetzt also ein sportlicher Kompaktwagen. Die Nachfrage nach einem solchen Modell dürfte groß sein, denn die meisten Hersteller konzentrieren sich immer noch auf SUVs, statt kleinere, bezahlbare E-Autos zu produzieren. In der Kompaktklasse wird außer dem VW ID.3, dem Opel Astra Electric und dem Renault Mégane E-Tech derzeit nur wenig geboten.
Sicht nach hinten kaum vorhanden
Ein Blick ins Innere: sieht aufgeräumt aus. Die Sitze bieten einen guten Halt, hinten geht es klassentypisch enger zu. Hinter dem Lenkrad sitzt ein kleiner Bildschirm, der die wichtigsten Statusfunktionen anzeigt und an den ID.3 von VW erinnert. In der Mitte des Armaturenbretts gibt es zusätzlich einen 10,25 Zoll großen Bildschirm, über den sich Navi, Klimaanlage, Musik und allerlei Fahrzeugfunktionen steuern lassen. Beim Blick nach hinten ist außer Kopfstützen leider nicht viel zu sehen. So schön das Design von außen auch wirkt – für die Rundumsicht ist das kleine Guckloch hinderlich – genau wie beim Konkurrenten, dem Renault Mégane E-Tech.
Während bei den meisten E-Autos die Gänge an der Mittelkonsole oder über einen Hebel am Lenkrad eingelegt werden, gibt’s beim MG4 eine Art „Tisch“, der vom Armaturenbrett aus hervorsteht. Er dient gleichzeitig als Handyablage – mit Ladefunktion. Das Problem: Die darunterliegenden Becherhalter werden durch den Tisch blockiert, fast schon abgedeckt. Dadurch stoßen die Getränke beim Herausnehmen fast immer an – schwapp!
Als ich losfahre, meldet sich das Auto zu Wort: „Haben Sie Spaß und lieben Sie Ihr Leben!“ Er hat auch noch weitere Glückskeks-Weisheiten im Repertoire, die mir spätestens am dritten Tag auf die Nerven gehen. Immerhin macht die Fahrt wirklich Spaß. Nichts wackelt, nichts knarzt – leise stromert der MG4 durch die Stadt. Der Tacho zeigt eine Animation der direkten Umgebung an (wie bei Tesla), die allerdings nicht immer stimmt. So entpuppt sich ein vermeintlicher Lkw des Öfteren als normales Auto, während Fußgänger und Fahrräder ebenfalls verwechselt werden.
Auch der Spurhalteassistent gerät im Dunklen und Regen an seine Grenzen. Vor allem in unübersichtlichen Autobahn-Baustellen greift er unnötig ein. Das Navi funktioniert zuverlässig, teilweise sogar besser als Google Maps. Als auf der A 38 in der Ferne ein Stau zu sehen ist, rät der MG4 flugs zum Abbiegen. Das sonst so vorbildliche Google Maps, das ich zum Vergleich mitlaufen lasse, hält eine Umfahrung hingegen nicht für notwendig. Kurz darauf verkündet das Radio, dass es sich um einen umgestürzten Baum handelt, der für lange Wartezeiten sorgt – gut, dass ich aufs Auto gehört habe!
Weit weniger praktisch ist die Minischrift auf dem Hauptdisplay, die derart klein daherkommt, dass man schon fast eine Lupe braucht. Hinzu kommen ein paar sprachliche Probleme („Abbiegen auf die A ein“) und Flüchtigkeitsfehler. Wieso steht bei der Batterieanzeige dauerhaft „Wird geladen“, selbst wenn gar kein Stecker angeschlossen ist?
Unterschiedliche Akku-Varianten
Während sich solche Kleinigkeiten leicht verschmerzen lassen, versagt das Navi in einer anderen Disziplin: Nicht nur, dass es bei einer längeren Strecke keine Ladestopps einplant. Es bemerkt nicht einmal, wenn ein Ziel außerhalb der eigenen Reichweite liegt. Stattdessen warnt es während der Fahrt, dass der Strom zur Neige geht. Dann fängt die Fummelei erst richtig an: Da nahe gelegene Ladestationen auf der Karte als Symbole anzeigt werden, muss man diese mit dem Finger „treffen“ – leichter gesagt als getan, wenn es holpert, zumal die Symbole – genau wie der Text – in Größe XS ausfallen. Hier sind VW und Renault inzwischen besser, Tesla mit seinem eigenen Ladenetz sowieso.
Wie weit der MG4 kommt, hängt von der gewählten Ausstattungsvariante ab. Das Serienmodell verfügt über eine Lithium-Eisen-Phosphat-Batterie mit einer Normreichweite von 350 Kilometern. Die Premiumversion „Trophy Extended Range“ kommt mit ihrem Nickel-Kobalt-Mangan-Akku auf bis zu 520 Kilometer. Mein Testfahrzeug („Luxury“-Version) liegt mit 435 Kilometern im Mittelfeld. Da ich bei Frost und Schneeregen unterwegs bin, muss ich auf der Autobahn etwa alle 250 Kilometer an die Ladesäule. Solche „Kälte-Einbußen“ bei Elektroautos gibt es öfter.
Einmal angeschlossen, lädt der MG4 mit bis zu 135 Kilowatt nach – zumindest unter idealen Bedingungen. Bei meinem Schmuddelwetter sind es immerhin noch 100 Kilowatt, und das sogar über einen längeren Zeitraum. Viele Konkurrenten regeln die Ladeleistung bei Kälte deutlich herunter, um den Akku zu schonen. Was für die Lebensdauer letztlich besser ist, wird sich in ein paar Jahren zeigen – für den Reisealltag ist die MG-Variante gleichwohl die praktischere. So dauert es keine halbe Stunde, bis es weiter geht. In einem Punkt liegt der Renault Mégane allerdings vorne: Er kann an langsamen Ladesäulen mit bis zu 22 Kilowatt Wechselstrom laden. Sowohl MG als auch VW und Opel schaffen nur die Hälfte.
Grundversion ab 34.990 Euro
Bei der Pause offenbart sich noch ein weiteres Extra, das gar nicht groß beworben wird: Die Sitzlehnen lassen sich weit zurückklappen. Ein echtes „Bett“ wie beim BMW i7 entsteht dadurch zwar nicht, wohl aber eine Möglichkeit für ein Nickerchen. Ebenfalls vorbildlich: die serienmäßige „Vehicle to load“-Funktion. Damit können externe Geräte über die Autobatterie Strom ziehen, also Laptops, Smartphones oder Powerbanks.
Der MG4 wird derzeit in fünf verschiedenen Ausstattungen angeboten. Los geht es ab 34.990 Euro (abzüglich Umweltbonus). Beim Testfahrzeug handelt es sich um die teurere „Luxury“-Variante (41.990 Euro). Diese hat nicht nur einen größeren Akku, sondern ist zusätzlich mit einer 360-Grad-Kamera, beheizten Vordersitzen und einem Navi ausgestattet. Die meisten Assistenzsysteme sind aber bereits serienmäßig an Bord, etwa die adaptive Geschwindigkeitsregelung, ein Notbremsassistent, intelligentes Fernlicht sowie Tempomat und Spurhalteregelung.
Bleibt die Frage der Herkunft. Möchte man wirklich ein Auto fahren, das vom Staatskonzern einer Diktatur produziert wird? Andererseits betreibt auch VW ein Werk in der chinesischen Provinz Xinjiang, in der die Volksgruppe der Uiguren unterdrückt wird. Die Fabrik ist ein Gemeinschaftsunternehmen mit SAIC, also genau dem Staatskonzern, der den MG4 produziert. Wie auch immer man zu diesen geopolitischen Fragen steht, die Grenzen erscheinen hier durchaus fließend.
Hat der MG4 also das Zeug, es mit der westlichen Konkurrenz aufzunehmen? Durchaus, denn er ist zwar mitnichten ein perfektes Auto. Sonderlich schlechter als die Traditionshersteller ist der vergleichsweise günstige Chinese aber auch nicht – für mich die wohl größte Überraschung.