Dzsenifer Marozsán ist Europameisterin, Olympiasiegerin und irgendwie Saarländerin. Nach über 100 Länderspielen tritt sie aus der Nationalmannschaft zurück – vier Monate vor der Weltmeisterschaft.

Die Olympiasiegerin und Europameisterin Dzsenifer Marozsán verlässt die deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen. Das hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) in der vergangenen Woche mitgeteilt. Ihren Schritt begründet sie mit einer Knieverletzung, die sie sich im vergangenen Frühjahr zugezogen hatte. Ihr Knie sei „nicht mehr das alte“, und es sei „einfach zu viel“, sowohl für ihren Verein Olympique Lyon als auch für die Nationalmannschaft zu spielen.
Am 11. April wird Marozsán im Spiel gegen Brasilien ein letztes Mal für die Nationalmannschaft auf dem Platz stehen. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg sagte, sie habe „den allergrößten Respekt“ vor Marozsáns Entscheidung und würdigte sie als „großartige Persönlichkeit und überragende Fußballerin, die unglaublich viel für den deutschen Fußball geleistet hat.“ Joti Chatzialexiou, der Sportliche Leiter Nationalmannschaften beim DFB, nannte Marozsán „eine der brillantesten Fußballerinnen, die für Deutschland gespielt haben“. Mit „besonderer Ballfertigkeit und einzigartigem Spielverständnis“ habe sie in der Nationalelf „eine Ära geprägt“ und werde der Mannschaft fehlen. Marozsán spielte mehr als zwölf Jahre in der Fußballnationalmannschaft der Frauen, teils als deren Kapitänin. In ihren 111 Länderspielen erzielte sie 33 Tore. Ihre Karriere als Nationalspielerin hatte sie bereits im U15-Nationalteam begonnen. 2013 gewann sie mit der Nationalmannschaft die EM in Schweden und 2016 die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Brasilien. Von 2017 bis 2019 wurde Marozsán dreimal in Folge zu Deutschlands Fußballerin des Jahres gewählt.
Mehr als zwölf Jahre im DFB-Team

Ihre Anfänge in der A-Nationalmannschaft machte Marozsán 2010. Und obwohl ihre Zeit als Nachwuchsspielerin lange her ist, kann sie sich immer noch in die jüngeren Teamkolleginnen hineinversetzen. Sie erinnert sich gut an ihr internationales Debüt im Jahr 2010, damals ebenfalls im Alter von 18 Jahren, als sie neben zwei Legenden des deutschen Spiels – Birgit Prinz und Inka Grings – gegen Australien auf dem Platz stand. „Es war hart, weil viele großartige Spieler im Team waren, und ich war wirklich schüchtern“, erinnert sich Marozsán. „Ich habe zu ihnen aufgeschaut, ich wollte genau wie sie sein. Aber es war auch großartig, denn so kann man sein Spiel verbessern. Es hilft den jungen Spielerinnen sehr.“ Geboren in Ungarn, aber als Deutsche eingebürgert, hat Marozsán eine ganze Menge erlebt, seit sie zum ersten Mal das Deutschland-Trikot trug. Drei Jahre, bevor sie Olympiasiegerin wurde, gehörte sie auch schon zu dem Team, das 2013 die Europameisterschaft in Schweden gewann. Auch die Erfolge der Angreiferin auf Vereinsebene sind nicht zu übersehen: Mit dem 1. FFC Frankfurt und Olympique Lyon hat sie die Champions-League-Trophäe insgesamt schon sechsmal gewonnen. Nach ihren Jahren in Lyon ist Marozsáns Bekanntheitsgrad in Frankreich mittlerweile fast größer als in Deutschland. „Ich bin in einem anderen Land und lerne viele neue Leute kennen, das verbessert mich als Person. Ich bin wirklich stolz auf mich selbst, jetzt spreche ich auch ein wenig Französisch“, so Marozsán.
Das Jahr 2018 änderte viel
Die Karriere der wohl besten Spielmacherin kam 2018 jedoch auf beängstigende Weise zum Stillstand. Marozsan erlitt eine Lungenembolie, die durch ein verstopftes Blutgefäß in der Lunge verursacht wird. Sie verpasste drei Monate der Saison, zwischenzeitlich war sogar fraglich, ob sie jemals wieder Fußball spielen würde. „Meine ganze Familie war schockiert“, erzählt Marozsán. „Es war wirklich keine schöne Situation. Ich bin froh, dass ich viel Unterstützung von meinem Verein, vom Nationalteam, meiner Familie und von meinen Teamkolleginnen erhalten habe. Das war wirklich wichtig. Jetzt bin ich einfach glücklich, wieder auf dem Platz zu sein.“
Für eine Weile war Marozsan zurückhaltend und wollte nicht offen über ihren Gesundheitszustand sprechen. Sie muss jetzt viel vorsichtiger sein, aufpassen, was sie isst und trinkt, und sie muss auf langen Reisen Kompressionsstrümpfe tragen. Die gesamte Erfahrung hat ihre Sichtweise auf das Leben verändert. „Wenn man in solch einer Situation ist, merkt man erst, wie wichtig es ist, jeden Tag zu genießen, denn es kann jeden Tag etwas Schlimmes passieren“, sagt Marozsán. „Also bin ich jetzt ganz ruhig. Wenn ich eine kleine Verletzung erleide, sage ich mir: Es gibt viele schlimmere Dinge. Bleib ruhig, und es wird dir bald wieder besser gehen. Jetzt genieße ich einfach jeden Moment“, sagte sie 2019.

Ihre unfassbare Karriere hängt ganz eng mit dem 1. FC Saarbrücken zusammen. Doch es war eine andere Personalentscheidung des damaligen Drittligisten, die dem Verband eines der größten Talente des Fußballs beschert hatte. 1996 holte Saarbrücken János Marozsán von Pécsi Mecsek. Der vierfache ungarische Nationalspieler war mäßig erfolgreich – doch er blieb nach dem Ende seiner Karriere in Deutschland.
Und so landete Dzsenifer Marozsán, die in Budapest geboren wurde, in den deutschen Auswahlmannschaften. Die Mutter hatte noch versucht, die Tochter mit dem Kauf eines Klaviers zum Tanzen zu bringen, ihr gefielen die aufgeschlagenen Knie nicht, mit denen ihr Kind nach Hause kam. Mama Marozsán hatte keine Chance: „Bei uns stand schon immer der Fußball im Mittelpunkt, und für mich war sehr früh klar, dass ich nichts anderes machen möchte und auch diesen Weg gehen möchte“, erzählte Marozsán einst dem Magazin „Fussball“. Der DFB profitierte von dieser Entscheidung. Welche Bedeutung Marozsán für die Nationalmannschaft hatte, zeigte sich beim größten Erfolg der vergangenen Jahre: 2016 gewann Deutschland bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro die Goldmedaille, im Finale hatte Marozsán den Ball zur Führung in den Winkel geschlenzt – und mit einem Freistoß-Pfostenschuss ein Eigentor zum 2:1-Endstand erzwungen. Dafür wurde sie mit dem Silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet, der höchsten sportlichen Ehrung der Bundesrepublik Deutschland.
Mit 15 debütierte sie beim FCS

Seit jeher begleiten sie Lobeshymnen. Als „beste Spielerin des Planeten“, bezeichnete sie einst die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „11Freunde“ schrieb: „Sie kann Dinge am Ball, für die andere ein Leben lang vergeblich trainieren“ und für die „Süddeutsche Zeitung“ gehört sie zu den „technisch versiertesten und begabtesten Fußballerinnen der Gegenwart“. Marozsán kann mit ihren Schüssen, Pässen und Standardsituationen jedes Spiel entscheiden. Olympia-Gold sollte dennoch ihr größter Triumph mit dem DFB bleiben, mit der EM 2013 und zwei Siegen beim prestigeträchtigen Algarve-Cup kamen zwar noch weitere Titel hinzu, doch vor allem bei Weltmeisterschaften hatte Marozsán allzu oft mit ihrem Körper zu kämpfen. Ein Innenbandriss im rechten Knie verhinderte ihre Teilnahme an der WM in Deutschland 2011, eine Sprunggelenksverletzung hemmte sie bei ihrer ersten WM 2015. Bei der WM 2019 brach ihr eine chinesische Gegenspielerin im Auftaktspiel den Zeh, Marozsán kam erst beim Achtelfinale gegen Schweden wieder zurück, das die DFB-Auswahl jedoch verlor. „Für mich persönlich war diese WM leider vom ersten Spiel an eine Katastrophe und eine Qual“, sagte sie damals dem „Kicker“. Danach folgte die Lungenembolie, für die scheinbar die Anti-Baby-Pille verantwortlich gewesen ist. Auch bei der EM 2022, während der die deutschen Fußballerinnen euphorisch bis ins Finale flogen, war sie nicht dabei, diesmal verhinderte ein Kreuzbandriss ihre Teilnahme. Diese Knieverletzung brachte nun auch den Entschluss hervor, ihre Karriere in der Nationalelf zu beenden – um ihre Titelsammlung im Vereinsfußball noch weiter ausbauen zu können.
Mit 15 debütierte sie für den 1. FC Saarbrücken in der Bundesliga, 2015 gewann sie mit dem 1. FFC Frankfurt die Champions League, ein Erfolg, der ihr mit Olympique Lyon noch weitere fünfmal gelingen sollte. Viermal wurde sie Französische Meisterin, viermal gewann sie den DFB-Pokal, viermal wurde sie zu Deutschlands Fußballerin des Jahres gekürt. Es können noch mehr Pokale hinzukommen. Nach einem Intermezzo in den USA spielt sie wieder in Lyon. Im Viertelfinale der Königsklasse trifft ihr Club auf Chelsea. In der französischen Ligue 1 steht ihr Team wieder auf dem ersten Platz. Und ein Länderspiel wartet ja noch auf Marozsán, womöglich gegen die Brasilianerin Marta, eine der wenigen Spielerinnen, die technisch mit Marozsán mithalten kann. Es ist das passende Ende einer unfassbaren Nationalspielerin – die dem Vereinsfußball glücklicherweise noch erhalten bleiben wird.