Nur mithilfe von Supercomputern kann die Menschheit herausfinden, wie sich das zukünftige Klima entwickelt. Diese Rechner benötigen allerdings viel Energie. Laut Michael Böttinger und Dr. Hendryk Bockelmann vom Deutschen Klimarechenzentrum (DKRZ) sind sie trotzdem alternativlos.

Herr Böttinger, Sie beschäftigen sich seit mehr als 30 Jahren mit der Visualisierung von Klimasimulationen. Die Hochleistungsrechner, die uns die bedrohliche Dimension der Klimakrise veranschaulichen, verbrauchen selbst viel Energie. Ist das ein Problem?
Böttinger: Für Gesellschaft und Politik ist es gerade beim Klimathema wichtig, verlässliche Informationen zu möglichen Klimaentwicklungen zu erhalten. Hierfür sind Simulationen auf Hochleistungsrechnern unabdingbar, die natürlich auch Strom benötigen. Aber wollen wir deswegen die Notwendigkeit dieser Forschung infrage stellen?
Das CERN (Europäische Organisation für Kernforschung) braucht etwa hundertmal so viel Strom wie wir. Diesen Stromverbrauch muss sich die Gesellschaft leisten – für die Erforschung der Grundlagen, und um informiert zu sein.
Hinter vielen Dingen in unserer Freizeit, hinter Videos, die man sich am Abend ansieht, stecken um ein Vielfaches größere Rechenzentren als unseres. Sie stehen in vielen Ländern, weil das sogenannte Cloud Services sind. Bei allem, was wir über das Internet machen, wird in Rechenzentren Energie verbraucht. Wir sind das gewohnt, ohne an den Energieverbrauch zu denken: Wir stellen dem Netz eine Frage und bekommen sofort eine Antwort.
Wer hat Zugang zu solchen Rechnern?
Jede Klimaforscherin oder jeder Klimaforscher in Deutschland kann sich um Rechenzeit am DKRZ bewerben. Der Antrag muss etwa beschreiben, welche wissenschaftlichen Fragestellungen mit welchen Rechenprogrammen untersucht werden sollen und welche Ressourcen benötigt werden. Wichtig ist dabei auch, dass die Rechenprogramme beziehungsweise die Simulationsmodelle wirklich auf einen Hochleistungsrechner angewiesen sind, um die gewünschten Ergebnisse in einem überschaubaren Zeitraum zu erzielen.
Wie hoch ist der Energiebedarf derzeit?
Die Leistungsaufnahme unseres neuen Rechners Levante liegt in der Größenordnung von zwei Megawatt. Zum Vergleich: Ein einziges Kreuzfahrtschiff, das im Hamburger Hafen an den Landstrom angeschlossen wird, benötigt ungefähr vier Megawatt – dafür, dass der Hotelbetrieb an Bord weitergeht.
Herr Bockelmann, wie hoch ist die Rechenleistung von Levante?
Bockelmann: Alle fünf oder sechs Jahre wechseln wir auf die jeweils neueste Rechnertechnologie. Die CPU-Partition von Levante besteht aus knapp 3.000 einzelnen Computern, die über ein Hochgeschwindigkeitsnetzwerk miteinander verbunden sind. Diese haben zusammen eine Spitzenrechenleistung von 14 Petaflops: Das sind 14 Billiarden mathematische Operationen pro Sekunde. Indem die Abwärme des Supercomputers zur Beheizung von Laboren im Nachbargebäude der Universität beiträgt, holen wir das Beste heraus.
Warum ist eine Förderung durch das Bundesforschungsministerium im Falle der Hochleistungsrechner so wichtig?

Ein möglichst effizientes Hochleistungsrechnersystem für die Erdsystemforschung ist alternativlos. Und wenn wir das klimafreundlich machen wollen, geschieht dies zum Beispiel dadurch, dass wir passende Hardware kaufen und das System möglichst energieeffizient betreiben.
Die auf unserem Hochleistungsrechner durchgeführten Klimasimulationen betreffen unseren Lebensraum und unsere Zukunft direkt. Wie ändern sich unsere Lebensbedingungen, wenn wir dieses oder jenes tun? Das ist bei einem Teilchenbeschleuniger oder anderen Projekten der Grundlagenforschung oft nicht der Fall.
Was soll Ihr Green-HPC-Projekt EECliPs für die Energieeffizienz bewirken?
In diesem konkreten Projekt geht es um das Co-Design von Klimasimulationen. Wir versuchen die Hardware, die wir haben, dahingehend auszulegen, dass Simulationen möglichst energieeffizient laufen. Sie können nicht irgendeinen beliebigen Rechner verwenden und hoffen, dass die Nutzer ihre Codes selbst anpassen. Erst wenn man sich aufeinander abstimmt, kann man eine schnelle und jetzt auch kleinräumig den realen Dimensionen sehr nahekommende physikalische Simulation ermöglichen, die trotzdem energieeffizient ist.
Das liegt zum einen an der Tatsache, dass klassische CPUs zunehmend durch energieeffiziente GPUs, das heißt durch Grafikprozessoren, unterstützt werden. Zum anderen profitieren wir von der besonderen Nähe zu unseren Nutzerinnen und Nutzern, sodass in einer engen Zusammenarbeit gemeinschaftlich Programmcodes entwickelt und optimiert werden können.
Worauf achten Sie dabei?
Im Bereich des Hochleistungsrechnens haben sich aktuell zwei Typen von Hardware etabliert: CPU- und GPU-basierte Rechensysteme. Letztere sind in jüngster Vergangenheit immer populärer geworden, weil sie potenziell weniger Energie verbrauchen. Was man jedoch häufig unterschätzt, ist die Frage, ob die Simulation, die darauf läuft, auch wirklich schneller wird oder nicht vielleicht langsamer. Eine energieeffiziente Hardware ist nur dann gut, sofern ich sie gezielt nutze, wenn ich sie gerade brauche.
Welchen direkten Nutzen haben Bürgerinnen und Bürger von solchen Supercomputern in der Klimaforschung?
Böttinger: Sie können bei uns mittlerweile sehen, in welcher klimatischen Verfassung ihre Umgebung am Ende des Jahrhunderts sein könnte. Mit unserem neuen Rechner ist es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erstmals gelungen, ein globales Klimamodell mit einem Kilometer Auflösung zu rechnen: die ganze Welt mit einem Kilometernetz umspannt. Es wird damit möglich, sehr kleinräumige Ereignisse in globalen Modellen darzustellen. Leider benötigt man aber noch viel leistungsfähigere Computer, um mit solchen Modellen auch längere Simulationen durchzuführen.
Jeder normale Bürger und jeder politische Entscheider kann davon profitieren, dass unterschiedliche plausible Szenarien auf einem Hochleistungsrechner berechnet werden. Deren Ergebnisse kann sich jeder auf unserer Website anschauen und Visualisierungen herunterladen. Daraus kann man politische und persönliche Entscheidungen treffen. Wir bieten dazu auf unserer Website die Möglichkeit, Ergebnisse von Klimasimulationen selbst interaktiv zu visualisieren.
Können Sie ein Beispiel nennen?

Man kann sich das so vorstellen: Eine Stadt wie Hamburg möchte wissen, wie sie für eine zwei Grad wärmere Welt die Deiche höher bauen müsste. Für die Anpassung an den menschengemachten Klimawandel, der nicht mehr vermeidbar sein wird, benötigt man eine solide Datengrundlage. Und dafür ist effiziente Rechenkapazität alternativlos.
Die Idee eines digitalen Zwillings praktiziert die Klimaforschung bereits seit 30 Jahren – mit einem Klimamodell, in dem ein unserem Klima entsprechendes Wetter abläuft. Mit so einer Modellerde kann man herumexperimentieren, ohne der richtigen zu schaden.
Und je nachdem, wie leistungsfähig der Rechner ist, ist es dann eine relativ grobe Erde oder – neuerdings – eine Darstellung mit bis zu einem Kilometer Genauigkeit. Mit so vielen Details, dass eine Visualisierung des digitalen Zwillings kaum von einem Bild des Originals zu unterscheiden ist. Die Abbildungen werden immer spannender. Und die sparsam eingesetzte Energie lohnt sich.