Er ist eine Neuentdeckung: Der österreichische Theaterschauspieler Felix Kammerer (27) spielt in seiner ersten Kinorolle Soldat Paul Bäumer in „Im Westen nichts Neues“, der Neuverfilmung des sensationellen Erfolgsromans von Erich Maria Remarque über die Schrecken des Ersten Weltkriegs.

Herr Kammerer, Paul Bäumer, die zentrale Figur von „Im Westen nichts Neues“, ist Ihre erste Kinorolle. Kaum zu glauben.
Ja, das ist schon ein ganz schönes Pfund. Natürlich kannte ich den Roman von Erich Maria Remarque. Ich habe das Buch während meiner Schauspielausbildung gelesen. Aber wirklich auseinandergesetzt habe ich mich mit dem Stoff erst, als mir die Hauptrolle in der Film-Adaption angeboten wurde. Meine Schauspielausbildung habe ich 2019 abgeschlossen und bin dann 2020 ans Burgtheater in Wien gegangen. Das Angebot, den Paul zu spielen, bekam ich ungefähr ein Jahr später.
Regisseur Edward Berger sagte, dass Sie Ihren Körper und Ihre Seele in die Rolle gelegt haben. Wie muss man sich das vorstellen?
Ich habe mich ein halbes Jahr intensiv auf die Rolle vorbereitet. Zugang zu Paul habe ich zunächst durch meinen Körper gefunden. Ich habe mit Waffentraining angefangen und gelernt, wie man mit einem Gewehr umgeht und natürlich auch schießt. Außerdem war eine Gewehrattrappe mein ständiger Begleiter. Auch während ich zum Beispiel auf der Couch saß und meinen Text lernte – das Gewehr stand daneben. So wollte ich eine Routine erlangen. Dann habe ich mich natürlich körperlich fit gemacht. Dreimal die Woche bin ich zehn Kilometer gerannt und hatte dabei eine zehn Kilo schwere Weste an. Dadurch wollte ich meine Kondition aufbauen. Denn als Soldat im Ersten Weltkrieg hat man meist mehr als zehn Kilo mit sich herumgeschleppt. Das stellte sich aber während des Drehs als ziemlich optimistisch heraus. Denn wenn sich die Uniform mit Regen vollgesogen hatte und ich 16 Stunden in knietiefem Schlamm gerobbt war, wog meine Ausrüstung tatsächlich fast 45 Kilogramm.
Gab es für Sie bei der Vorbereitung auf den Film – neben Roman und Drehbuch – noch andere Quellen?
Natürlich. Ich habe sehr viele Bücher über den Ersten Weltkrieg gelesen und mir auch Filme darüber angesehen. Und die Feldpost gelesen, die es aus dieser Zeit noch gibt, und viele dieser Originalfotos studiert. Das alles hat mich tief berührt. Auch die Audio-Aufnahmen. Es gibt noch eine Audio-Aufnahme vom Ende des Ersten Weltkriegs, aufgenommen an der Front. Zuerst hört man die unfassbar lauten Artillerie-Einschläge. Dann ist es elf Uhr. Das war der Zeitpunkt, an dem der Krieg offiziell aus war. Und dann suppt der Lärm aus, wie an Silvester, wenn die letzte Raketen knallen. Dann ist es still. Und dann hört man Vogelgezwitscher.
Als die Dreharbeiten begannen, ging es für Sie sehr schnell auf das 120.000 Quadratmeter große Schlachtfeld. In die Schützengräbern, den Dreck, die Blutlachen. Was hat das mit Ihnen gemacht?
Das hatte natürlich eine starke Wirkung auf die Psyche. Man riecht ja förmlich das Schlachtfeld. Und wenn man bis zur Hüfte in den Matsch einsinkt, merkt man plötzlich, was man an dem, was man vorbereitet hat, noch ändern muss. Wo man noch mehr in die Tiefe gehen muss, um wahrhaftiger zu sein. Viele Dinge kriegen da auch eine ganz andere Farbe. Das fand ich sehr spannend.
Wie sind Sie denn an die Rolle gekommen?
Ich war gerade ein Jahr als Ensemblemitglied am Burgtheater und spielte in dem Stück „Schwarzwasser“ von Elfriede Jelinek mit, eine Produktion, an der Sabrina Zwach als Dramaturgin arbeitete. Nach der Premiere kam dann ihr Mann auf mich zu und sagte: „Ich habe da vielleicht was für dich.“ Drei Wochen später kam der Corona-Lockdown. Da saß ich also eines Tages arbeitslos auf dem Sofa, als das Telefon klingelte. Der Anrufer meinte, ob ich nicht Interesse an der Neuverfilmung von „Im Westen nichts Neues“ hätte. Natürlich habe ich begeistert zugesagt!

Und wie sind Sie überhaupt zur Schauspielerei gekommen?
Ich bin in einer Künstlerfamilie groß geworden. Meine Eltern arbeiten an der Oper, wie auch viele Verwandte und Freunde. Oper, Theater und Bühne waren also in meinem Leben schon immer sehr präsent. Während meiner Zeit am Gymnasium habe ich dann angefangen, Theater zu spielen – und gemerkt, das kitzelt mich irgendwie … Da mir schon klar war, dass ich nie zur Oper gehen wollte, habe ich mich nach dem Abitur an Schauspielschulen beworben und wurde 2015 an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin angenommen. Nach vier Jahren hatte ich dann meinen Abschluss.
Was ist eigentlich das Besondere an der Schauspielerei?
Man schaut zu, wie jemand anderer etwas macht. Nichts anderes ist es. Und genau darin liegt die Kraft. Denn wir alle lernen doch hauptsächlich von außen. Um wirklich Neues zu lernen, muss ein Impuls von außen kommen. Wenn ich auf einer Parkbank sitze, beobachte ich sehr gerne Leute. Um etwas Neues herauszufinden. Und das ist ein extrem schöner Vorgang. Man lernt etwas über das Schauen. Und im Theater und beim Film passiert doch genau das.
Kann man wirklich etwas Neues lernen? Oder entdeckt man doch nur das, was schon in einem ist?
Nein, das glaube ich nicht. Sonst würde ich ja nur in einer Blase leben. Und dann wäre mein Lernhorizont wirklich sehr begrenzt. Nur wenn ich mich öffne und lerne, weil ich mir dieses oder jenes angucke, lerne ich wirklich. Und selbst wenn ich nichts lerne, muss ich mich doch dazu verhalten. Und zum Beispiel sagen: „Das mag ich – und das mag ich nicht!“ Einen in diese Position des „Darauf-Reagierens“ zu bringen, das ist doch die ganz große Qualität von Film, Schauspiel oder Kunst im Allgemeinen.
Der Hollywoodstar Christian Bale beharrt darauf, dass „jeder ein Schauspieler ist und wir alle immer Rollen spielen“. Ich glaube, das trifft die Sache nicht ganz. Würden Sie mir zustimmen, dass die Kunst des Schauspielens gerade in der Wiederholung liegt?
Auf jeden Fall. Diese Wiederholbarkeit ist ein Punkt, warum ich Schauspielschulen so wichtig finde. Viele sagen ja, schauspielern kann man „learing by doing“. Das glaube ich nicht. Für mich war es wichtig, dass ich das Schauspiel-Handwerk von Grund auf lerne, um es später auch beherrschen zu können. Natürlich gibt es Leute, die nie auf einer Schauspielschule waren und einen fantastischen Job machen. Aber ich weiß, dass ich geliefert wäre, wenn ich das Handwerk und die Technik nicht gelernt hätte.
Sie haben sich zur Vorbereitung den Kinofilm „Im Westen nichts Neues“ von 1930 und den TV-Film von 1979 angesehen. Hatten Sie keine Angst beeinflusst zu werden?
Nein. Den Impuls, etwas nachzumachen, habe ich nicht. Deshalb fühle ich mich relativ sicher, das anzuschauen. Und selbst, wenn ich etwas unterbewusst davon übernehmen würde, wäre es ja nicht unbedingt schlecht. Dann wäre das ein Zitat oder eine Hommage an das, was es schon einmal gab. Und das ist absolut legitim. Jemanden nachzuahmen ist aber ganz sicher nicht mein Ziel. Alles, was ich spiele, wird ja durch mich gefiltert.
Haben Sie als Schauspieler Vorbilder, an denen Sie sich orientieren?
Ich habe wenig Vorbilder. Was das Theater angeht, war Gerd Voss – übrigens auch ein Burgschauspieler – immer unglaublich gut. Beim Film bin ich ein Riesenfan von Gary Oldman. Weil ich seine Verwandlungsfähigkeit genial finde. Und einer meiner absoluten Lieblingsschauspieler ist Colin Farrell. Der beste Film, den ich je gesehen habe, ist „The Lobster“, wo er die Hauptrolle spielt. Den Film habe ich mir sicher schon 30-mal angesehen. Warum? Weil ich keinen Film kenne, der mich so emotional auf einer rationalen Ebene abholt.

Wie geht es jetzt mit Ihnen beruflich weiter?
Ich möchte, neben meiner Arbeit am Theater, auf jeden Fall auch weiterhin Filme machen. Ich will mich als Schauspieler weiterentwickeln und dabei viel lernen. Besonders reizvoll finde ich es, etwas zu machen, das ich nicht verstehe. Wenn ich zum Beispiel eine Figur spielen soll, die mir im wirklichen Leben nicht naheliegt. Das ist eine große Herausforderung für mich. Weil ich da viel suchen kann – und das ist immer spannender, als etwas zu spielen, was ich kenne. Wichtig für mich wäre auch, dass ich eine gute Zeit dabei habe. Sei es wegen der Regie, dem Stoff oder den Kolleginnen und Kollegen. Ich habe als Jugendlicher aus Spaß mit der Schauspielerei angefangen und habe jetzt das Privileg, dieses „Hobby“, diese Freude, beruflich ausüben zu dürfen.
Was bleibt von den Dreharbeiten zu „Im Westen nichts Neues“ übrig? Was haben Sie dabei gelernt?
Es war eine einzigartige Erfahrung! Ich habe gelernt, mich vor einer Kamera ganz natürlich zu bewegen und einen Film zu machen. Das war für mich – als gelernter Theaterschauspieler – nicht ganz einfach. Ich bin da einfach ins eiskalte Wasser gesprungen. Es fühlte sich an wie der Sprung aus einem Helikopter in den atlantischen Ozean – ohne Schwimmring oder Flossen. Aber wenn man es schafft, nach so einem Sprung wieder an der Wasseroberfläche aufzutauchen, dann kann man wirklich schwimmen.