Mitunter werden sie als Ganoven verniedlicht und filmisch glorifiziert. Doch in der Popkultur verarbeitete Geschichten über organisierte Verbrecher erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. Woher kommt das Interesse am Gangsterfilm?
Robert De Niro hat seinen Ehrenplatz in der Historie des Filmes unter anderem durch ein Kunststück sicher, das ihm und Marlon Brando 1972 und 1974 gelingt. Bis Anfang der 70er-Jahre bringt Brando seit einigen Jahren nichts künstlerisch Bleibendes mehr hervor – dann sahnt er als Don Vito Corleone in „Der Pate" einen Oscar ab. Zwei Jahre später verkörpert Robert De Niro den jungen Don Vito im zweiten Teil und nimmt ebenfalls einen Goldjungen mit nach Hause. Damit wird die Tradition fortgeführt, als Schauspieler in einer Schurkenrolle groß raus zu kommen oder ein Comeback zu feiern. Die „Pate"-Filme stehen ebenfalls in einer Tradition: Sie sind spektakuläre Neuauflagen des vielleicht amerikanischsten aller Genres nach dem Western: dem Gangsterfilm.
Die Blaupause dafür bilden „Scarface – Narbengesicht" von 1932 und die bereits 1931 erschienenen Streifen „Der kleine Cäsar (Little Caesar)" und „Der öffentliche Feind (The Public Enemy)". In den drei Hollywood-Klassikern ist bereits so ziemlich jedes spätere Klischee für alle weiteren Filme über das organisierte Verbrechen vorhanden: die rohe Gewalt, die Drive-by-Shootings, die unübersehbar teuren Anzüge der Mobster und Verfolgungsjagden in den Schluchten der Großstadt. „Narbengesicht" bedient sich dabei relativ unverblümt der Aufstiegsgeschichte Al Capones, die anderen beiden sind zumindest davon inspiriert.
Rechtfertigung im Privatleben
Bereits hier ist auch schon der seltsame Ehrenkodex zu sehen. Nach diesem wird all das Böse, werden all die Morde, der Drogenhandel, die Steuerhinterziehungen, die Entführungen und die körperliche und sexuelle Gewalt mehr oder minder dadurch gerechtfertigt, dass man außerhalb des schmutzigen Geschäfts durchaus karitativ unterwegs ist und nur der Familie verpflichtet ist. Al Capone beispielsweise soll Suppenküchen für Bedürftige eingerichtet und die Krankenhausrechnungen zweier Zeitgenossen bezahlt haben – die übrigens bei einem Anschlag auf ihn selbst verletzt wurden. Gleichzeitig wird der wohl bekannteste Unterweltler seiner Zeit mit um die 300 Morden in Verbindung gebracht. Der Killer und Steuerhinterzieher pflegt jedoch eine gute Beziehung zur Presse und lässt sich gern in Szene setzen. Seinem Platz als Mythos der Unterwelt dürfte auch die Berichterstattung zum Valentinstag-Massaker zuträglich gewesen sein – es war 1929 noch ein Novum, dass man Bilder von blutigen Leichen abdruckte. Capone wird mit diesen Morden in Verbindung gebracht.
Der Gangsterfilm boomt also. Hollywood produziert allein 1931 und 1932 jeweils bis zu 40 Filme um schnelle Fäuste und sinkende Hemmschwellen. Die Welle läuft sich dennoch tot, und spätere Stars wie Humphrey Bogart, die im klassischen Gangsterfilm noch Nebendarsteller waren, läuten mit ihrem unterkühlten Spiel den Film Noir ein. Immerhin verabschiedet James Cagney die klassische Ära noch mit seinem hochgelobten psychopathischen Cody Jarrett in „Maschinenpistolen (White Heat; 1949)". „Made it, Ma! Top of the world!" ist eines der bekanntesten Filmzitate.
Fahrt nimmt der amerikanische Gangsterfilm im Grunde erst wieder auf, als sich Faye Dunaway und Warren Beatty 1967 als Clyde Barrow und Bonnie Parker in die Herzen der Kinoliebhaber ballern. Ikonisch ist die Schießerei am Ende, als die Schwerverbrecher und ihr Auto von Kugeln durchsiebt werden. Dass es vorher eine ganze Weile dauert, bis der Antiheld des Gangsterfilms wieder im Fokus der Traumfabrik steht, ist unter anderem auf den Hays Code zurückzuführen. Mit dieser Zusammenstellung von Richtlinien sollte überwacht werden, ob die Darstellungen vor allem von sexuellen, politischen und kriminellen Handlungen dem US-Publikum zumutbar waren. Die großen Dramen, Screwball Comedies und Ausläufer des Film Noir bis in die 60er-Jahre sind deutlich psychologischer angelegt und enthalten deutlich weniger Gewalt.
Nach den 60ern weniger Gewalt
Gewaltreich und ultrabrutal zeigt sich auch das eher lose Remake von „Scarface". Als Tony Montana liefert Al Pacino 1983 eine der eindrucksvollsten Leistungen seiner Karriere ab. Als kubanischer Flüchtling spricht er nicht nur ein weiteres berühmtes Filmzitat – „Say hello to my little friend!" –, sondern setzt sich mit seiner kompromisslosen „The world is yours"-Attitüde im kollektiven Gedächtnis der Gangsta-Rapper fest. Nicht nur zollt Nas mit einem gleichnamigen Song dem Film Respekt. Viele andere Künstler des Sprechgesangs berufen sich auf die düstere Nacherzählung des amerikanischen Traums: Ice Cube, Jay Z, The Notorious B.I.G. zitieren aus „Scarface". French Montana, Chief Keef aka Sosa und Brad „Scarface" Jordan widmen ihm sogar ihren Künstlernamen.
Anscheinend können sich die oftmals aus einfachen und schwierigen Verhältnissen stammenden Gangsta sehr gut mit dem skrupellosen Werdegang Montanas und seinem Faible für Kokain und Gewalt identifizieren. Auf eine verdrehte Art sind die gewalttätigen Reibereien in den 90er-Jahren zwischen Rappern der East Coast und der West Coast beinahe schon ebenso ikonisch wie das Valentinstag-Massaker. Das Leben scheint gar die Kunst imitieren zu wollen, als innerhalb von wenigen Monaten zuerst Tupac Shakur (West Coast; 1996) und dann The Notorious B.I.G. (East Coast; 1997) erschossen werden. Seinen Werdegang als Film-Gangster jedenfalls setzt Al Pacino unter anderem mit „Donnie Brasco" und „Carlito‘s Way" fort. Zum Star wurde Pacino übrigens durch seine Darstellung des Michael Corleone in „Der Pate".
Derzeit ist die Schauspiel-Legende in der für Furore sorgenden Netflix-Produktion „The Irishman" zu sehen. Die Geschichte um den mutmaßlichen Attentäter, der Gewerkschaftsführer Jimmy Hoffa tötete, wird bereits als heißer Oscar-Kandidat gehandelt. Nach dem genialischen Gangster-Epos „Heat" (1995) und dem extrem vernachlässigbarem „Kurzer Prozess – Righteous Kill" (2006) ist „The Irishman" die dritte Zusammenarbeit von Pacino und De Niro. Letzterer verkörpert den Attentäter. Mit einem geschätzten Budget von 160 Millionen Dollar braucht sich das Prestigeprojekt nicht hinter den großen Studioproduktionen zu verstecken.
Regie bei „The Irishman" führte der Italo-Amerikaner Martin Scorsese. Sein Name steht quasi synonym für den modernen Gangsterfilm. 1973 hatte er seinen ersten Achtungserfolg: In „Hexenkessel" ist De Niro bereits dabei und spielt einen Kleinkriminellen mit kurzer Lunte. 1990 bringen die beiden mit „Good Fellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia" einen Streifen auf die Leinwand, den viele für einen der definierenden Mob-Filme schlechthin halten. Joe Pesci und De Niro sind 1996 in „Casino" dabei und nun auch in „The Irishman". Scorsese blieb seinem Sujet jedoch auch mehrfach ohne De Niro treu. In „Gangs of New York" (2002) und „Departed – Unter Feinden" (2006) brilliert Leonardo DiCaprio.
Eine eigene Handschrift trägt der britische Gangsterfilm. Guy Ritchie mixt erfolgreich Gewalt und Humor in seinen ersten beiden Filmen „Bube, Dame, König, grAS" und „Snatch – Schweine und Diamanten". Zuvorderst stehen jedoch die berüchtigten Kray-Zwillinge, deren Geschichte mehrfach umgesetzt wurde. Beispielsweise mit den Kemp-Brüdern, die vor allem als Teil der Schmusepopper Spandau Ballet bekannt wurden. 2015 schlüpft Tom Hardy in die Doppelrolle der Zwillinge. Sogar die Komiker der Truppe Monty Python nehmen sich den Krays an – in ihrem „Piranha Brothers"-Sketch verulken sie die immer weiter aufkeimende Psychose von Ronnie Kray: Dinsdale Piranha wird vom riesigen (Zeichentrick-)Igel Spiny Norman verfolgt.
Es gibt auch lustige Gaunergeschichten
Zwar finden in anderen Komödien immer wieder Parodien von Gangsterfilmen Einzug, doch richtig gute Gaunerkomödien sind rar gesät. In den beiden „Keine halben Sachen"-Filmen ist Bruce Willis zu sehen, als ihm seine Rollenauswahl noch nicht komplett egal war. Michelle Pfeiffer geht in „Die Mafiosi-Braut" in ein Zeugenschutzprogramm. Im Erfolg „Reine Nervensache" und seiner Fortsetzung therapiert Billy Crystal den Mafia-Kopf Paul Vitti – dargestellt von Robert De Niro. Die vielleicht lustigste Gaunerkomödie ist aber auch nach 60 Jahren wohl immer noch „Manche mögen’s heiß" mit Marilyn Monroe. Auslöser der Flucht von Tony Curtis und Jack Lemmon ist ein Anschlag, der auf das Valentinstag-Massaker anspielt.
Al Capones Siegeszug in die Popkultur wiederum erfährt so manche skurrile Umsetzung. Der weltweite Top-Ten-Hit „Smooth Criminal" vom King of Pop, Michael Jackson, hieß in seiner Ursprungsversion „Al Capone". Bei Youtube ist dieses Stück zu sehen und zu hören. Sogar in einem Band der „Tim und Struppi"-Reihe ist der Gesetzesbrecher dabei. In „Tim in Amerika" bekommt es der furchtlose Reporter mit dem Chicagoer Gangster-Syndikat zu tun. Das britische Quartett Queen erwähnt Capone in dem Song „Stone Cold Crazy", der als Vorläufer des Speed Metal gilt.
Ein anderer Gesetzesbrecher ist derzeit auf dem Vormarsch: John Wick. Der furios in Szene gesetzte Auftragskiller mit Keanu Reeves in der Titelrolle ist ein neuer Vertreter des Gangsterfilms. In den bislang drei Filmen steht nicht mehr der Kampf gegen die Obrigkeit im Mittelpunkt – im Gegenteil existiert in dem Universum eine Staatsgewalt überhaupt nicht. Alles wird von einem Killer-Konstrukt in Eigenregie geregelt. Wick wiederum hat nach dem Mord an seiner Frau und seinem Hund keine Familie mehr – wie anscheinend auch sonst keiner der Charaktere. Man ist allein und mordet halt. Auch eine Form der Sozialkritik.