Ein Tropfen auf den heißen Stein: Hertha BSC gelingt zwar der wichtige Sieg vor der Bundesligapause – doch nicht nur die sportliche Zwischenbilanz ist wenig verheißungsvoll.
Zuletzt hatte Kevin-Prince Boateng vor dem Rückspiel in der Relegation Mai 2022 eine Ansprache an die Mannschaft von Hertha BSC gehalten. Vergangenen Sonnabend war das nun wieder der Fall – und verdeutlicht damit, wie wichtig die letzte Partie des Jahres für die Hauptstädter gewesen ist. Das verrät auch der Blick auf die Tabelle nach dem 2:0-Erfolg gegen den 1. FC Köln: Denn schon im Fall eines Remis hätte die „Alte Dame“ auf einem direkten Abstiegsplatz „überwintern“ müssen, da der VfL Bochum drei Punkte in Augsburg einfahren konnte. Der Revierclub liegt aber weiterhin auf Platz 17, nur einen Zähler hinter den Berlinern, während diese noch den Relegationsplatz aufgrund des besseren Torverhältnisses an den VfB Stuttgart abgeben konnten. Für den Kopf ganz ohne Frage ein wichtiger Aspekt in diesen spielfreien Tagen. Nach nur einem Sieg aus den vorangegangenen neun Partien sowie drei Niederlagen in Folge hatte sich die sportliche Situation von Hertha BSC zuletzt ja zusehends verschlechtert – eben auch, weil der FC Schalke 04 und Bochum dreifach punkten konnten und somit der Vorsprung auf die direkten Abstiegsränge dahinschmolz. Der Druck im Vorfeld war also gewaltig – in der Partie kam dann aber auch neben einer engagierten Leistung über die komplette Spieldauer in bestimmten Situationen auch das nötige Spielglück hinzu, um den wichtigen Dreier einzufahren.
Winterpause ohne Abstiegsrang
Da ist sicher zum einen der frühe Führungstreffer zu nennen, bei dem sich die Abwehr der Domstädter nicht wirklich wach zeigte: Eingeleitet durch einen Einwurf von Marvin Plattenhardt, den Herthas Kapitän wieder zurückgespielt bekam und den Ball relativ ungehindert vor das gegnerische Tor flanken konnte. Dort zeigte sich Wilfried Kanga gedankenschneller als sein Gegenspieler und köpfte zum 1:0 ein. Nach dem Siegtreffer gegen Schalke ja erst der zweite Treffer des Franzosen, aber wieder ein äußerst wichtiger. In der Folge ließen beide Teams gute Gelegenheiten ungenutzt, Höhepunkt dabei aber sicher der Fehlschuss von Kölns Adamyan, der den Ausgleich aus kürzester Distanz verpasste, weil er den aufspringenden Ball noch über die Querlatte beförderte. Aber auch Kanga, der am Mittwoch zuvor in Stuttgart noch wegen einer Magenverstimmung nicht von Beginn an dabei war, verpasste einen (weiteren) Torerfolg. Bedeutender aber sicher, dass dem Gegner nicht der zwischenzeitliche Ausgleich gelingen sollte, sondern Marco Richter nach beherztem Solo von Dodi Lukebakio den Abpraller wuchtig zum 2:0 einschoss. Das war kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit, und so ließ sich die Partie mit einem sichereren Vorsprung deutlich besser für Hertha BSC gestalten. Die Schützlinge von Sandro Schwarz standen nun auch defensiv stabiler, ließen die Kölner kaum noch zu torgefährlichen Aktionen kommen und hätten ihrerseits sogar noch bei den Kopfbällen von Marc Kempf und Lucas Tousart das Ergebnis positiver gestalten können. Trotzdem konnte Jean-Paul Boetius nach dem Schlusspfiff erleichtert konstatieren: „Wir haben uns endlich mal belohnt, haben gekämpft und waren eklig heute.“ Und auch Marco Richter unterstrich noch einmal die Bedeutung des Sieges: „Hier mit einem positiven Gefühl rauszugehen war extrem wichtig“, während Trainer Schwarz schlicht „stolz auf die Jungs“ war.
So präsentierte sich zum Jahresabschluss die Stimmung im Lager der Blau-Weißen weitgehend harmonisch – wenig verwunderlich, da dies ja auch schon in den erfolgloseren Zeiten zuvor der Fall war. Seit Kay Bernstein zum Präsidenten von Hertha BSC gewählt wurde, ist das Verhältnis zwischen Mannschaft und der Fankurve ja auffällig positiv. Und auch die Verantwortlichen haben für ein Klima gesorgt, in dem das Team durchaus phasenweise einen attraktiveren und engagierteren Fußballstil an den Tag legt. Die nüchternen Zahlen des Zwischenfazits allerdings sind dennoch bedenklich: Nach einem 15. Spieltag hat Hertha BSC seit der Abstiegssaison 2009/10 nicht mehr weniger Punkte erreicht. Sogar in der vergangenen, als die Hauptstädter am Ende den Klassenerhalt eben in der Relegation sichern mussten, waren es zu diesem Zeitpunkt immerhin vier Zähler mehr. Und so liegt in dieser Harmonie auch weiterhin eine Gefahr: Denn nicht nur angesichts des minimalen Vorsprungs auf die Abstiegsplätze ist durch den dritten Sieg der bisherigen Spielzeit ja der Knoten noch längst nicht geplatzt – der Durchbruch, der immer wieder praktisch als zwangsläufig dargestellt wird, immer noch nicht geglückt.
Finanzielle Probleme
Für gewisse Beunruhigung sorgten auch die zuletzt bekannt gewordenen finanziellen Eckdaten der Berliner. So sickerten bereits vor der Mitgliederversammlung am vergangenen Sonntag die Zahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr durch: Demnach hat Hertha BSC hier ein beträchtliches Minus in Höhe von knapp 80 Millionen Euro erwirtschaftet. Damit beläuft sich der Gesamtverlust der vergangenen drei Jahre auf 210 Millionen Euro, die trotz oder gerade wegen der Investition von 375 Millionen Euro durch Lars Windhorst nun düstere Zukunftsperspektiven für den Verein aufziehen lassen. Die Verbindlichkeiten belaufen sich dabei auf 81 Millionen Euro – nicht von ungefähr also sah sich der Präsident zu einer Stellungnahme über die negativen Zahlen genötigt, die er als „Erblast“ bezeichnete. Die finanzielle Situation, so Bernstein, sei „herausfordernd“ – was eigentlich schon alles sagt. Dazu musste sich der Verein auf der Mitgliederversammlung – ganz unharmonisch – mit einem Abwahlantrag beschäftigen. Dabei ging es immerhin um Aufsichtsratschef Klaus Brüggemann, der bei der Präsidentenwahl mit seinem Kandidaten Frank Steffel durchgefallen war. Auch wenn die dafür nötige Mehrheit klar verfehlt wurde, eine Versöhnung zwischen den Lagern sieht sicher anders aus. Man darf also weiter gespannt sein, welche Schlagzeilen die „Alte Dame“ auch während der Bundesligapause produziert, bevor es dann im Januar weitergeht mit dem Gastspiel beim VfL Bochum – im Fall einer Niederlage dürfte der „schöne Schein“ jedenfalls kaum noch zu wahren sein.