Mehrere Gefängnisse in Deutschland betreiben Kfz-Werkstätten, in denen Inhaftierte arbeiten. Manche sind für externe Kundschaft geöffnet. Sie versprechen Resozialisierung – und günstige Preise.
Wenn Kevin (30) seinen Kopf in den Motorraum steckt, vergisst er kurz, wo er ist. Sicher, das Werkzeug ist durchgezählt. Beim Blick durchs Fenster schimmert der Stacheldraht. Und bevor er in die Mittagspause geht, wird er mit einem Metalldetektor durchsucht. Trotzdem fühlt er sich frei: „Bei der Arbeit merke ich fast gar nicht, dass ich im Gefängnis bin“, sagt Kevin, den wir auf eigenen Wunsch nur beim Vornamen nennen. Tatsächlich sieht die Kfz-Werkstatt nicht anders aus als „draußen“: Hebebühnen, Diagnosegeräte, Autos mit geöffneter Motorhaube. Es riecht nach Benzin und heißem Gummi. Kevin sitzt in der JVA Zweibrücken in Rheinland-Pfalz ein. Vier Jahre und vier Monate, ein Verkehrsdelikt. In der Werkstatt trägt er Arbeitsschuhe und Blaumann – der Look eines angehenden Kfz-Mechatronikers. Jeden Werktag von 7 bis 16 Uhr führt er Inspektionen durch, repariert Unfallschäden, wechselt Reifen. „Vorher habe ich im Gefängnis die Flure geputzt“, erzählt Kevin. „Da ging die Zeit überhaupt nicht rum.“ Sein neuer Job in der Werkstatt passe viel besser zu ihm. Er zeigt auf einen Kia Niro, bei dem er soeben Zündkerzen und Öl gewechselt hat. „Dabei ist mir aufgefallen, dass die Bremsen defekt sind“, erzählt der Gefangene. Sein Meister nickt anerkennend. Er ist Justizvollzugsbeamter.
Die JVA Zweibrücken ist eines von 36 Gefängnissen in Deutschland, die eine eigene Kfz-Werkstatt betreiben. Schreinern, kochen, putzen – solche Tätigkeiten sind aus dem Knast bekannt. In Zweibrücken aber gibt es deutlich mehr. Hier können sich Gefangene zum Produktdesigner weiterbilden, Maurer werden oder – im gelockerten Vollzug – ihren Führerschein machen. Anders als in den meisten Bundesländern steht die Autowerkstatt in Zweibrücken der Allgemeinheit offen: Ob Tüv, Abgasuntersuchung oder Lackierarbeiten: „Wir bieten mehr an als so manche freie Werkstatt“, freut sich Kfz-Meister Jörg Vogelsang.
600 Aufträge hat die Werkstatt jährlich
Die Prozedur ist allerdings etwas umständlicher. Kundinnen und Kunden können nicht einfach vorbeikommen. Sie müssen anrufen, ihre Personalien hinterlegen und ihr Auto am Gefängnistor zurücklassen. Woraufhin ein Bediensteter den Wagen in eine Schleuse fährt, ihn durchsucht und anschließend in die Werkstatt bringt. Der Innenraum soll möglichst leer sein, damit keine Drogen oder Waffen nach drinnen geschmuggelt werden.
Teslas sind aus Sicherheitsgründen gar nicht erlaubt. Rundum verbaute Live-Kameras? Ein No-Go im Knast. Bei so viel Aufwand verwundert es nicht, dass rund zwei Drittel der 600 Aufträge, die die Knast-Werkstatt pro Jahr abarbeitet, von JVA-Angestellten oder deren Angehörigen kommen. Womöglich ist die Werkstatt hinter Gittern auch einfach nicht bekannt. Zwar gibt es auf der Gefängnis-Homepage einige Informationen. Aktiv Werbung macht die JVA mit ihrer Dienstleistung aber nicht. Langweilig wird es den neun Werkstatt-Mitarbeitern, allesamt Männer, aber trotzdem nicht. Falls ihre fünf Hebebühnen einmal nicht ausgelastet sind, warten sie die 18 Dienstfahrzeuge des Gefängnisses. Selbst einen E-Golf und ein Hybridfahrzeug hat die Werkstatt angeschafft. Schließlich sollen die Azubis für die Zukunft gewappnet sein, Stichwort: Elektromobilität.
Aland (20) sitzt wegen schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung ein. „Arbeiten? Das kannte ich draußen gar nicht“, gesteht der Auszubildende. „Jetzt will ich die Sache hier durchziehen, damit ich nach meiner Entlassung etwas in der Hand habe.“ An diesem Vormittag wechselt er die Bremsklötze bei einem Dacia, obwohl er eigentlich mehr auf Oldtimer steht. Auch die kommen manchmal in den Knast: In der angeschlossenen Lackiererei wird gerade ein Ford Capri, Baujahr 1973, restauriert. Macht dieser Job Spaß? „Joa, manchmal ist es schon ein bisschen viel“, sagt Aland. „Aber an den Feiertagen, wenn wir nicht arbeiten, merke ich direkt, dass mir was fehlt.“ Ob das in der Werkstatt alle so sehen, lässt sich schwer sagen. Die JVA hat Aland und Kevin als Gesprächspartner ausgewählt. Der Meister, der Betriebsleiter, die Leiterin des Bildungszentrums und der Gefängnischef bleiben während des Interviews in Hörweite. Die Botschaft, die die Verantwortlichen rüberbringen wollen, ist klar: Die Autowerkstatt ist nicht nur praktisch für die Kundschaft, sondern dient der Resozialisierung.
Keine Bespaßung, sondern Ausbildung
„Wir machen das nicht, um jemanden zu bespaßen“, betont JVA-Leiter Jürgen Buchholz. Um auf dem Arbeitsmarkt später eine Chance zu haben, bräuchten die Gefangenen eine vernünftige Ausbildung mit echten Fahrzeugen. „Im gespielten Rahmen funktioniert das nicht.“
Die Statistik scheint ihm Recht zu geben. Laut einer Untersuchung des Kriminologischen Dienstes Nordrhein-Westfalen geraten 80 Prozent der jugendlichen Straftäter wieder auf die schiefe Bahn, wenn sie nach ihrer Entlassung keinen Job finden. Finden sie hingegen eine Arbeit, ändern sich die Zahlen drastisch: Dann liegt die Rückfallquote nur noch bei 33 Prozent.
In der Autowerkstatt in Zweibrücken sollen die Gefangenen möglichst selbstständig arbeiten. Ein Beamter beobachtet im Nebenraum hinter einer Glasscheibe das Geschehen, ein weiterer steht in der Nähe des Eingangs. Hin und wieder gibt einer der Aufseher einen Kommentar ab: „Hast du schon den Reifendruck geprüft? Guck, dass die Unterdruckschläuche dran sind!“ Ansonsten werkeln die Gefangenen wortlos an ihren Fahrzeugen.
Welche Straftat sie begangen haben, spielt hier keine Rolle. „Die Ausbildung läuft unabhängig vom Delikt“, sagt Gefängnischef Buchholz. „Viel wichtiger ist, dass die Azubis zuverlässig sind, Grundkenntnisse in Mathe und Deutsch mitbringen und über ein gewisses motorisches Geschick verfügen.“ Ausbruchversuche habe er in der Werkstatt noch nie erlebt, „höchstens mal eine Rangelei.“ Niemand setze die Chance auf einen Berufsabschluss leichtfertig aufs Spiel; die Abschlussquote liege bei 90 Prozent.
Für Kundinnen und Kunden hat die Knast-Arbeit noch einen anderen Vorteil: günstige Preise. Zwar betont Kfz-Meister Jörg Vogelsang, dass die gleichen Verrechnungssätze gelten wie auf dem freien Markt: „Bei uns gibt’s keine Dumpingpreise“. Dann nennt er aber einen Reifenwechsel als Beispiel: Dieser koste etwa 15 Euro pro Reifen – ein günstigeres Angebot muss man draußen erst mal finden. Auch die Lohnkosten sind hinter Gittern geringer: In Zweibrücken verdienen die Kfz-Azubis nach Angaben der JVA zwischen 300 und 350 Euro im Monat, also rund dreimal weniger als ihre Kollegen in Freiheit. Der Mindestlohn gilt im Gefängnis nicht; die meisten Bundesländer verpflichten ihre Gefangenen zur Arbeit.
Viele fassen Fuß auf freiem Arbeitsmarkt
Auf dem freien Markt sind darüber nicht alle glücklich. Ob Buchbindereien, Malerbetriebe oder Schreinereien: Immer wieder stöhnen Firmen über die Kampfpreise aus dem Knast. Mehrere Bundesländer betreiben eigene Onlineshops, in denen man Produkte aus dem Gefängnis bestellen kann – vom Hundebett bis zum gestreiften T-Shirt. Auch Großunternehmen können im Gefängnis fertigen lassen – manche JVAs machen dafür recht unverblümt Werbung. „[Unsere] Lohnkosten entsprechen in etwa denen in Billiglohnländern“, schreibt etwa die JVA Sehnde in Niedersachsen auf ihrer Homepage.
Doch dieser „Standortvorteil“ könnte sich schon bald ändern. Im Juni 2023 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Gefangenengehälter in Deutschland zu niedrig sind. Die Bundesländer haben nun zwei Jahre Zeit, ihre Entgeltverordnungen nachzubessern.
In Zweibrücken stört die Gefängniswerkstatt bislang niemanden. Die Handwerkskammer teilt mit, man habe „noch keine Beschwerden über eine etwaige Konkurrenzsituation erhalten.“ Die Kfz-Innung sieht „keinen spürbaren Wettbewerbseffekt“, die Resozialisierung der Azubis stehe eindeutig im Vordergrund. Kfz-Meister Jörg Vogelsang empfindet sogar einen Hauch von Stolz, wenn er an seine Lehrlinge denkt: „Viele unserer Leute sind richtig gut. Wir sehen, dass das Konzept funktioniert.“ Er erzählt von einem Kollegen, der kürzlich einen ehemaligen Gefangenen auf der Meisterschule getroffen habe: „Wieder einer, der es geschafft hat“, freut sich Vogelsang. „Er arbeitet heute beim Tüv.“