Was 20 Jahre währt, wird endlich gut: Am 15. April 2023 gingen die letzten Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz – nicht ohne Widerstand. Die Bundesregierung blieb bei ihrer Linie und richtete den Fokus auf die erneuerbaren Energien.
Am 15. April 2023 wurden die letzten drei noch laufenden Atomkraftwerke (AKW) Emsland, Neckarwestheim 2 und Isar 2 abgeschaltet. Ein Plan, der seit mehr als 20 Jahren existierte, wurde endlich real. Um das zu feiern, kamen auf dem Odeonsplatz in München laut BUND Naturschutz etwa 1.500 Menschen zusammen. Auch andernorts in Deutschland feierten viele Atomkraftgegner den Tag, auf den sie so lange gewartet hatten.
Die Bundeszentrale für politische Bildung hat die Geschichte der Atomkraft in Deutschland festgehalten. Was 1959 mit dem ersten Atomgesetz und 1960 mit dem ersten Versuchs-AKW Kahl begann, sorgte für hochradioaktive Abfälle in einer Größenordnung von 27.000 Kubikmetern. In den 1970er-Jahren bildete sich die Anti-Atomkraft-Bewegung. Die nicht enden wollenden Debatten um die Kernenergie reichen bis ins Jahr 2023.
Obwohl nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima 2011 bereits beschlossen wurde, die letzten deutschen AKWs Ende 2022 vom Netz zu holen, stimmte die Bundesregierung am 11. November 2022 dafür, die Laufzeit der AKWw Emsland, Neckarwestheim 2 und Isar 2 noch bis Mitte April zu verlängern. Grund dafür war der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die Sorge um die Energiesicherheit in Deutschland.
Reserve für schlechte Zeiten?
Schon im Sommer 2011 wurde nicht nur die Abschaltung der AKWs terminiert, sondern es wurden auch Neuregelungen für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) beschlossen. Erneuerbare Energien sollten einen Mindestanteil im Energiemix ausmachen – 2022 lagen sie bei 46,3 Prozent, noch immer hinter den fossilen Energieträgern. Im ersten Quartal 2022 machte die Kernenergie laut Statistischem Bundesamt sechs Prozent im deutschen Energiemix aus.
Aus diesem Grund kamen von der Unionsfraktion (CDU/CSU) und der FDP kritische Stimmen. Beide Parteien plädierten dafür, die AKWs wenigstens als Reserve für schlechte Zeiten am Netz zu halten. Auch mit Blick auf die deutschen Klimaziele wurde die Atomenergie als CO₂-arme Energiequelle idealisiert. Die EU-Kommission hatte 2022 eine neue Taxonomie-Verordnung beschlossen, in der Investitionen in Kernenergie unter bestimmten Umständen als nachhaltig klassifiziert wurden. Auf Twitter postete FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai nach dem Ausstieg: „Die #Kernenergie muss auch nach dem Ausstieg eine Zukunft in Deutschland haben. Dazu gehört, dass wir die Forschung auf dem Gebiet der Kernfusion ausweiten und die Chancen neuer und sicherer #Technologien der Kernspaltung nutzen.“
Wo die rund 27.000 Kubikmeter hochradioaktiver Müll gelagert werden sollen, bleibt bis heute ungeklärt. Aktuell gibt es in Deutschland nur zwei zentrale Zwischenlager: im westfälischen Ahaus und im niedersächsischen Gorleben. Dazu gibt es zwölf dezentrale Zwischenlager in der Nähe von ehemaligen AKWs. Laut Bundesumweltministerium kann der geplante Termin, bis zum Jahr 2031 ein Endlager gefunden zu haben, voraussichtlich nicht eingehalten werden. Deshalb könne man vor 2050 nicht mit der Inbetriebnahme eines Endlagers rechnen.
So setzte sich der Beschluss der Bundesregierung durch und die drei noch laufenden AKWs wurden trotz hitziger Diskussionen abgeschaltet. Zumal Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) versicherte, dass die Energieversorgung in Deutschland gesichert sei. In einer Presseerklärung vom 13. April erklärte er: „Die Energieversorgungssicherheit in Deutschland ist und bleibt gewährleistet; sie ist auch im internationalen Vergleich weiterhin sehr hoch.“ Auch er berief sich auf den „massiven Ausbau“ der erneuerbaren Energien, die bis 2030 80 Prozent des Stroms in Deutschland ausmachen sollen. Laut Statista und Statistischem Bundesamt lag der Anteil in den vergangenen Monaten bei oder knapp über 60 Prozent.
„Tschüss #Atomkraft“
In anderen Ländern dagegen ist die Atomenergie weniger umstritten. Allen voran Frankreich, das die Hälfte der Atomenergie in ganz Europa produziert und damit wohl mit am meisten von der neuen Taxonomie-Verordnung profitiert. Das Land bildete im Februar 2023 gemeinsam mit den Niederlanden, Polen, Finnland und Rumänien die „Nuklear-Allianz“. Sie will Europa mithilfe von Kernenergie unabhängiger von fossilen Energieträgern machen sowie neue Technologien entwickeln. Deutschland, Österreich und Spanien sprachen sich gegen diesen Kurs aus. Europaweit wurden laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2021 insgesamt sieben Prozent mehr Strom in Kernkraft investiert als noch im Jahr 2020. In 13 der 27 Mitgliedsstaaten werden Atomkraftwerke betrieben.
Als die letzten drei deutschen AKWs abgeschaltet waren, twitterte Grünen-Chefin Ricarda Lang, damit sei „der endgültige Einstieg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien“ geschafft. Die SPD-Fraktion im Bundestag schloss sich an mit: „Tschüss #Atomkraft! Tschüss unsichere, unsaubere, nicht wirtschaftliche Energiepolitik!“ Auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) ist davon überzeugt, dass der Ausstieg die richtige Entscheidung war. „Der Atomausstieg macht unser Land sicherer, die Risiken der Atomkraft sind letztlich unbeherrschbar“, erklärte sie am 13. April. „Arbeiten wir also weiter an Lösungen für ein atomares Endlager und setzen alle Kraft in den Ausbau der erneuerbaren Energien.“
Der Fokus der Bundesregierung nach dem Ausstieg ist demnach eindeutig. Und ein 80-prozentiger Anteil an erneuerbaren Energien scheint bis 2030 in nicht so weiter Ferne. Fraglich bleibt jedoch weiterhin, wohin mit dem radioaktiven Müll. Antworten gibt es darauf wohl so schnell keine. Dann ist es vielleicht keine so schlechte Idee, nicht noch mehr davon zu produzieren.