Im September kosteten Starkregen-Ereignisse und Erdbeben in Marokko, Libyen und der Türkei mehrere Tausend Menschen das Leben und ihr Zuhause. Und es zeigte sich: Selbst in Zeiten größter Not ist nicht jede Hilfe willkommen.
In den ersten Wochen des Septembers trafen die Folgen der globalen Erwärmung die Ärmsten der Armen in mehreren Ländern der Welt. Während es bereits am 5. September in der Westtürkei zu starken Regenfällen und Überschwemmungen kam, erschütterte ein Erdbeben der Stärke 6,8 in der Nacht zum 9. September Marokko.
Das Beben, das laut US-Erdbebenwarte in einer Tiefe von 18,5 Kilometern, 70 Kilometer südwestlich von Marrakesch und 60 Kilometer nordöstlich der Stadt Taroudant, seinen Ursprung hatte, traf mehrere Städte und Regionen. Parallel dazu hatte die Katastrophenschutzbehörde vor weiteren Unwettern im Westen und Südwesten der Türkei gewarnt. Auch die Metropole Istanbul blieb nicht verschont und wurde von heftigen Überschwemmungen infolge von Starkregen heimgesucht.
300.000 Menschen in Marokko betroffen
Nachdem bis zum 14. September bereits rund 3.000 Todesopfer in Marokko bestätigt worden waren, versuchten sich die Hilfskräfte durch die zerstörten Gebiete zu kämpfen, um Vermisste zu finden. Viele Bergdörfer der Katastrophengebiete waren für Hilfskräfte nicht erreichbar. Hilfspakete wurden aus Flugzeugen abgeworfen und junge Freiwillige bemühten sich, die Güter schnellstmöglich in die betroffenen Berggemeinden zu verteilen.
Zwar hatte Deutschland Hilfspakete losgeschickt, doch kamen diese erst mit Verzögerung an, da Regularien und Vorschriften Marokkos den Weg in das Land versperrten. Das Königreich versuchte die Katastrophe zunächst aus eigenen Kräften selbst zu stemmen. Marokkos Hauptstadt Rabat, wo sich auch der Sitz des Königs befindet, nahm nur von wenigen Staaten Hilfe an, darunter Spanien und Großbritannien. Andere Hilfe, insbesondere von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich, wurde abgelehnt. Marokko selbst kündigte an, über einen Zeitraum von fünf Jahren rund 120 Milliarden Dirham, also circa elf Milliarden Euro, in den Wiederaufbau investieren zu wollen. Rund 50.000 Häuser wurden ganz oder teilweise zerstört. Circa 300.000 Menschen sind laut UN von dem Erdbeben oder dessen Folgen betroffen, darunter nach Informationen des UN-Kinderhilfswerks 100.000 Kinder. Neben einer Soforthilfe von 50.000 Euro durch die Caritas International sagten auch die Vereinten Nationen Unterstützung zu. Deutschland kündigte erste Hilfen in Höhe von zehn Millionen Euro an. Ein Großteil davon sollte in den Wiederaufbau von Häusern im Atlasgebirge und die Unterstützung von Kleinstunternehmen fließen. Daneben wurden hundert mobile Sanitäranlagen und Notunterkünfte mit Öfen für rund 500 Familien geschickt. Auch in die Wasserversorgung eines der zerstörten Dörfer sollte die Soforthilfe fließen.
Doch die Hilfe Deutschlands und zahlreicher weiterer Länder wurde nicht nur in Marokko gebraucht. Denn am 10. September erfasste der Sturm „Daniel“, der bereits in Griechenland, Teilen Bulgariens und der Türkei gewütet hatte, auch das Bürgerkriegsland Libyen mit rund sieben Millionen Einwohnern. Besonders traf es die Hafenstadt Darna, wo durch die Fluten zwei Dämme brachen. Daneben wurden auch Al-Baida, Al-Mardsch, Susa und Schahat überschwemmt. Der Bürgermeister von Schahat sprach nach Angaben der Presseagentur dpa von 20.000 Quadratkilometern überfluteter Gebiete – eine Fläche so groß wie Sachsen-Anhalt.
Schwerste Regenfälle seit 40 Jahren
Binnen Tagen war die Rede von 10.000 Vermissten. Der Ministerpräsident Abdul Hamid Dbaiba von der Regierung der Hauptstadt Tripolis sprach von den schwersten Regenfällen seit 40 Jahren. Zwei Tage, nachdem der Sturm Libyen erreicht hatte, vermutete man bereits mehr als 5.000 Tote. In Massengräbern nahe Darna wurden ganze Familien begraben. Ganze Viertel wurden von den Fluten weggeschwemmt und die betroffenen Gebiete zu Katastrophenschutzgebieten erklärt.
Bis zum 14. September hatte Libyen ein internationales Hilfeersuchen gestellt, das Katastrophenschutzverfahren der EU wurde aktiviert und auch die UN schickte ein Team nach Libyen. Deutschland sagte kurzfristig vier Millionen Euro Sofort-Hilfe zu, die UN weitere zehn Millionen Dollar. Auf eine EU-Soforthilfe in Höhe von 500.000 Euro kurz nach der Katastrophe folgten weitere 5,2 Millionen Euro. Viele Länder, so auch Ägypten, Tunesien, Algerien und die Vereinigten Arabischen Emirate, boten ihre Hilfe an. Die Türkei entsandte Rettungskräfte und Flüge mit Bergungstrupps, Booten, Zelten und Versorgungsgütern.
Ärzte ohne Grenzen, das Deutsche Technische Hilfswerk (THW) und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) unterstützten Libyens Wohlfahrtsorganisation Roter Halbmond. Alleine in Darna wurden laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) 30.000 Menschen obdachlos, man rechnete mit 20.000 Toten. Bis zum 25. September waren laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) rund 4.000 Todesopfer identifiziert und mehr als 8.000 Menschen vermisst. Mehrere Dutzend Kinder erkrankten durch verschmutztes Trinkwasser. Aufgrund der schlechten hygienischen Lage sorgten sich die Menschen vor einem Choleraausbruch.
Zu sorgloser Umgang mit dem Klimawandel
Unterdessen wurden 16 Menschen im Zusammenhang mit den Überschwemmungen und den Dammbrüchen in Darna angeklagt. Darunter ein früherer Vorsitzender der Behörde für Wasservorräte, der Leiter von Libyens Staudamm-Behörde und der inzwischen suspendierte Bürgermeister von Darna, Abdel Munim al-Ghaithi. Er und sieben weitere Beschuldigte kamen in Untersuchungshaft. Die Westregierung des Landes warf der Ostregierung eine Mitschuld an der Katastrophe vor. Der Libyen-Experte Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) erklärte laut dpa, die Katastrophe sei auch auf die politische Situation Libyens zurückzuführen. Unter dem Langzeitmachthaber Muammar al-Gaddafi sei versäumt worden, in die Infrastruktur und damit auch in die Wartung der Dämme zu investieren, obwohl das Geld dafür vorhanden gewesen sei. Der Generalsekretär der Weltwetterorganisation, Petteri Taalas, kritisierte ein fehlendes Frühwarnsystem.
Eine Forschungsgruppe um die Attributionsforscherin Prof. Dr. Friederike Otto untersuchte in der World-Weather-Attribution-Studie den Zusammenhang zwischen dem Starkregen und dessen Folgen und der globalen Erwärmung. Sie kam zu dem Schluss, dass für eine große Region im Mittelmeerraum, auch in Libyen, Extremwetterereignisse wie die geschilderten durch die globale Erwärmung wahrscheinlicher würden, auch wenn trotzdem eine gewisse Unsicherheit in den wissenschaftlichen Erkenntnissen bliebe.
Klimaforscher und Meteorologe Prof. Dr. Mojib Latif antwortete der Nachrichtenagentur auf die Frage, ob die Katastrophe in Libyen klar auf den Klimawandel zurückzuführen sei: „Ich vergleiche das immer mit dem berühmten gezinkten Würfel. Wenn wir einen Spielwürfel auf die Sechs zinken, kommt eben die Sechs häufiger. Aber man kann nie genau sagen: Welche Sechs ist nun auf das Zinken zurückzuführen und welche Sechs wäre ohnehin gekommen?“
Nach Latif seien die Menschen zu sorglos mit dem Klimawandel umgegangen. Ein Stück weit könne man sich anpassen, allerdings gebe es dabei Grenzen. „Bei solchen Wassermassen, was wollen Sie da noch tun?“