Zum ersten Mal haben Bund und Länder gemeinsam mit Frankreich über dessen komplizierten Entsendegesetze gesprochen. Am Ende soll die Großregion im Südwesten ein Experimentierraum für den Abbau von EU-Bürokratie-Hindernissen werden.
Grenzgänger zwischen Deutschland und Frankreich brauchen einen langen Atem, zum Beispiel wenn sie einen Handwerksbetrieb suchen. Nicht nur, weil Handwerker dies- und jenseits der Grenze immer knapper werden, sondern vor allem auch, weil der bürokratische Aufwand die Betriebe abschreckt. Der Nachweis der Sozialversicherungspflicht, in Deutschland die A1-Bescheinigung, in Frankreich die „carte d’identité professionnelle" (BTP), die Umsatzsteueranmeldung im anderen Land, die vorherige Meldung in einem eigens geschaffenen Portal, wann, wie viel und wie lange entsendete Arbeitnehmer im Nachbarland tätig sein wollen, die Benennung eines Verantwortlichen. All das hat dazu geführt, dass viele Betriebe schon bei der Anfrage dankend ablehnen.
Johannes Ullrich, Präsident der Handwerkskammer Freiburg, kann ein Lied davon singen. „Viele Deutsche wohnen im grenznahen Elsass, finden aber kaum deutsche Handwerker, die dort für sie tätig sein sollen. Das Geschäft ist regelrecht eingebrochen." Gleiches sagt Ralf Hellrich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Koblenz. Und auch zwischen Lothringen und dem Saarland sieht es nicht besser aus. Dabei gilt Freizügigkeit in der EU, sprich freier Waren- und Dienstleistungsverkehr, freie Arbeitsplatzwahl, freie Wohnortwahl. Nun haben erstmals gemeinsame Gespräche zwischen dem Bund, den betroffenen Ländern Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Baden-Württemberg sowie dem französischen Arbeitsministerium stattgefunden, um die Hürden der Bürokratie zumindest teilweise abzubauen. Fokussieren soll die bilaterale Vereinbarung vor allem auf Schwarzarbeit und das Einhalten der Mindestlöhne.
Theoretisch funktioniert die EU, in der Praxis hapert es gewaltig. Dabei sei das französische Entsendegesetz doch zum Schutz der Arbeitnehmer gegen Sozialdumping gemacht worden, erklärt Antoine Foucher aus dem französischen Arbeitsministerium in Paris. Die erste Fassung des Gesetzes gab es bereits 1996 mit zwischenzeitlichen Änderungen. Als 2007 Bulgarien und Rumänien der EU beitraten, hatten besonders Deutschland und Frankreich Angst, billige Arbeitskräfte könnten den heimischen Markt überschwemmen und für unliebsame Konkurrenz sorgen. Schon 2004, bei der ersten EU-Osterweiterung, machte das Bild des „plombier polonais", des polnischen Klempners als billige Arbeitskraft die Runde in Frankreich. „Ungleiche Löhne, ungleiche Sozialabgaben, ungleiche Qualität – das ist unfair und nicht im Sinne der EU", bringt Foucher die Haltung Frankreichs auf den Punkt. Und daran habe sich bis heute nichts geändert. „Diese Ungleichheiten einfach so hinzunehmen, spielt den europakritischen Populisten wie dem Rassemblement National oder der AfD nur in die Hände", warnt Foucher vor den Folgen.
Gesetz zum Schutz vor Lohndumping
Dass es Firmen gab, insbesondere am Bau, die mit sittenwidrigen Löhnen für Osteuropäer unter prekären Arbeitsbedingungen in der EU Geschäfte gemacht haben, bestreitet auch hierzulande niemand. Auch im Saarland wurden Fälle von teils haarsträubendem Lohn- und Sozialdumping aufgedeckt. Aber die vielen Unternehmen, die es ehrlich meinen und schon jahrelang grenzüberschreitend und vertraut zusammenarbeiten, leiden gewaltig unter der aufgeblähten Bürokratie.
Bei den Entsenderegularien werde teilweise mit Kanonen auf Spatzen geschossen, so die Kritiker. Schon die Definition, wann es sich um eine Entsendung handelt, erhitzt die Gemüter. Ist der Busfahrer, der die deutschen Kinder in die französische Kita kurz über die Grenze fährt, schon entsendet? Und wehe dem, der noch französische Kinder auf dem Rückweg mitnimmt. Was ist mit dem Kundendienst, der nur für zwei Stunden zu einer routinemäßigen Wartung einer Maschine ins Nachbarland fährt? Was ist mit Mitarbeitern, die statt zehn Tage zwölf Tage an der Baustelle brauchen? Wie sieht es bei einer Tagung aus, wenn Franzosen von ihren Unternehmen ins Saarland geschickt werden? Ganz zu schweigen von Notdiensten oder den vielen Freiberuflern. „Selbst wir als Staatsvertreter brauchen beständig eine Genehmigung, wenn wir zu Gesprächen mit Kollegen nach Frankreich fahren", erklärt Julian Lange vom saarländischen Wirtschaftsministerium.
Trotz offener Grenzen treibt der Protektionismus gewaltige Blüten. Dabei wäre es längst an der Zeit, dass die Politik den Bürgern auf beiden Seiten der Grenze etwas Brauchbares und Praktikables beim Thema Entsendung an die Hand gibt, betont Eugen Roth, stellvertretender Vorsitzender des DGB Rheinland-Pfalz/Saarland. Er mahnt aber zugleich, nicht sofort wieder etwas für alle Grenzregionen in der EU gleichzeitig erfinden zu wollen, denn „das ist erfahrungsgemäß zum Scheitern verurteilt". Ein Modell zwischen Deutschland und Frankreich zum Ausprobieren sei da besser „und wenn nicht wir hier im Saarland, wer dann?"
Wirtschaftsstaatssekretär Jürgen Barke aus dem Saarland sieht das ähnlich. Er will für die Wirtschaft praktikable Lösungen, die auch den Bedenken der Franzosen Rechnung tragen. „Es nutzt nichts, wenn wir alles nur durch die deutsche Brille betrachten. Wir müssen aufeinander zugehen." Für die Unternehmen dies- und jenseits der Grenze sei es wichtig, das vorhandene Kundenpotenzial in einer 360-Grad-Betrachtung, also in alle Richtungen, nutzen zu können. Gleichzeitig zeigt er auch Verständnis für die Position des Bundes, denn Deutschland habe nicht nur eine Westgrenze zu Frankreich, sondern auch eine Grenze zu osteuropäischen Staaten. „Berlin und Paris müssen das aushandeln unter Berücksichtigung der Interessen der Bundesländer Saarland, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und der Region Grand-Est in Frankreich" – ein „Experimentierraum" des Abbaus bürokratischer Hindernisse, so Barke.
Lösung für beide Seiten gesucht
Klar ist: Wie es zurzeit läuft, so kann es nicht weitergehen – darin sind sich Frankreich und Deutschland einig. Vereinbart haben die Vertreter aus den drei an Frankreich angrenzenden Bundesländern sowie dem Bund und dem französischen Arbeitsministerium bei ihrem Treffen Mitte Oktober in Saarbrücken zumindest eine Roadmap. Bis Januar 2020 soll ein Vorschlag auf den Tisch, der alltagstaugliche Erleichterungen für den Grenzraum bringt. „Es könnte ein Dekret sein, das speziell für einen noch zu definierenden Grenzraum in einem bestimmten Zeitraum die Entsenderegularien erleichtert", so Antoine Foucher.
Dabei könnte es sich um eine Präqualifikation handeln, die alle grenzüberschreitend tätigen Unternehmen einmalig erstellen müssen: mit Nachweis über Qualifikation, Sozialversicherung und so weiter. Diese könnten für einen bestimmten Zeitraum bei den französischen Behörden hinterlegt werden. Das würde dafür sorgen, dass nicht bei jedem Grenzübertritt alles aufs Neue detailliert ausgefüllt werden müsste. Foucher setzt dabei vor allem auf die Digitalisierung, die den verwaltungstechnischen Aufwand für Behörden und Unternehmen begrenzen würde.
Ein gut gemeinter Vorschlag, der allerdings Gefahr läuft, wieder zerredet zu werden. Schon bei der Definition, was zur Grenzregion gehört und was nicht, scheiden sich die Geister. Am besten wohl die drei Bundesländer und Grand-Est. Aber wie geht man dann mit einem saarländischen Unternehmen um, das beispielsweise nach Bordeaux oder in die Gegend um Toulouse Personen entsendet? Außerdem brauchen die betroffenen Bürger und Unternehmen mehr Informationen über das Thema Entsendung. Pragmatismus sei gefragt, betont Staatssekretär Dr. Rolf Schmachtenberg aus dem Berliner Arbeitsministerium. „Die EU ist eine sehr dialektische Veranstaltung. Es wird um das Ganze gerungen, ohne nationale Souveränität aufgeben zu wollen, und das mit 28, beziehungsweise bald 27 Staaten." Für ein konkretes Miteinander in der deutsch-französischen Grenzregion soll ein Modellprojekt her. „Das muss im Sinne von mehr Erlebbarkeit Europas bis Januar auf den Tisch."
Leben können alle Beteiligten mit der Lösung der Präqualifikation. Funktioniert das Modell in der Praxis, wäre die Kuh ein Stück weit vom Eis. Eine größere Auswahl von anbietenden Betrieben, mehr Produkte und Dienstleistungen, weniger Bürokratie und trotzdem ausreichender Schutz gegen Lohn- und Sozialdumping im Sinne Frankreichs – das wären klare Vorteile für alle Bürger in Europa. Aber wie so oft in der Vergangenheit könnte Europas Fortschritt an den Egoismen der Nationalstaaten scheitern.