Angesichts der unsicheren Weltlage muss der Westen geschlossen auftreten
Man kann es ohne Übertreibung sagen: Es gibt in diesem Jahr so viele Krisen auf der Welt wie lange nicht – und sie sind heftiger geworden. Alles wird überlagert durch die Corona-Pandemie, die den Globus fest im Griff hat. Nach zwei Jahren Virus-Horror sind die Menschen müde, die Politik ist stellenweise überfordert. Hinzu kommt, dass der Ton in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung rauer geworden ist.
Für zusätzliche Spannungen sorgt die zunehmende Aggressivität autoritärer Regime wie Russland und China. Der russische Staatschef Wladimir Putin droht dem Westen erstmals mit „roten Linien": keine Osterweiterung der Nato, keine Waffenlieferungen in die Ukraine. Peking zeigt mit seiner Politik der eisernen Faust in Hongkong oder der autonomen Region Xinjiang, was es von Menschenrechen nach westlicher Lesart hält: nichts.
Trotz dieser Ballung an Krisen besteht kein Grund zur Verzweiflung. In der Pandemie gilt: Gelassenheit, langer Atem und der Blick über die Grenze. Die ärmeren Länder – vor allem in Afrika – sollten noch mehr unterstützt werden. Das internationale Impf-Programm Covax hat zwar von den reichen Industriestaaten Geld und Spenden für Impfstoffe erhalten. Doch es ist zu wenig. In einer globalisierten Welt gibt es Sicherheit erst, wenn alle sicher sind.
Mit Blick auf Russland und China steht der Westen keineswegs auf verlorenem Posten. Der ausgebuffte Machtpolitiker Putin versucht, die geopolitische Großwetterlage für sich zu nutzen. Er hat erkannt, dass US-Präsident Joe Biden vor allem den Haupt-Rivalen China im Visier hat. An anderen weltpolitischen Fronten haben die Amerikaner zum Rückzug geblasen – siehe Afghanistan. Der Kremlchef sieht seine Chancen zusätzlich wachsen, weil sich Europa im Übergang befindet. Die neue Bundesregierung muss sich erst noch sortieren, die französische Präsidentschaftswahl im April kann durchaus Überraschungen bringen.
Die richtige Methode gegen Putins Vabanque-Spiel ist eine Doppelstrategie des Westens. Der Dialog zwischen Amerikanern und Russen am 9. und 10. Januar in Genf ist ebenso richtig wie die Reaktivierung des seit mehr als zwei Jahren stillgelegten Nato-Russland-Rats am 12. Januar. Sollte Moskau sich jedoch zu einer Militärintervention in der Ukraine hinreißen lassen, müssen härteste Sanktionen die Antwort sein. Der Ausschluss Russlands vom internationalen Zahlungssystem Swift bis hin zum Import-Stopp für russisches Öl und Gas gehören in den Instrumentenkasten. Essenziell ist jedoch: Amerikaner und Europäer müssen absolut geschlossen handeln.
Das Gleiche trifft auf China zu. Die Volksrepublik ist Partner (Klimapolitik, Kampf gegen Corona), Wettbewerber (Wirtschaft) und systemischer Rivale (autoritäres Regime versus demokratischer Rechtsstaat). Bei Menschenrechtsverstößen müssen Europäer und Amerikaner eine klare Sprache sprechen und im Schulterschluss auftreten. Im Extremfall dürfen auch Sanktionen kein Tabu sein. Megafon-Diplomatie ist allerdings kontraproduktiv. Der Dialog – und sei er auch informell –
sollte nie abreißen.
Die schwierige Weltlage wird auch zum Belastungstest für die neue Bundesregierung. Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist für seinen Pragmatismus vis-à-vis Russland und China bekannt, Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat sich immer wieder für klare Kante gegenüber Moskau und Peking stark gemacht. Beide müssen auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Eine dissonante deutsche Position würde nicht nur die Ampelkoalition, sondern auch Europa schwächen.
Dazu gehört auch die enge Abstimmung mit Amerika. Präsident Biden steht innenpolitisch unter Beschuss. Er bekommt die Pandemie in seinem Land nicht unter Kontrolle, das große Klima- und Sozialpaket liegt auf Eis, seine Popularitätswerte sinken. Sein Vorgänger Donald Trump lauert. Sollten dessen Republikaner bei den Zwischenwahlen zum Kongress in knapp einem Jahr eine der beiden Kammern zurückzugewinnen, würde eine Eigendynamik gegen Biden entstehen.
Für die Europäer heißt dies: Sie sollten alles tun, damit der Präsident Erfolg hat. In einer unsicheren Weltlage wie dieser kommt es noch mehr als sonst auf die Solidarität der Demokraten an. Wenn 2024 erneut Trump oder ein Trumpist im Weißen Haus säße, dann hätte Europa ein echtes Problem.